Part 160

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Am nächsten Morgen hakten wir den ersten Punkt von unsere Liste mit Dingen, die wir uns für dieses Wochenende vorgenommen hatten, ab. Wir waren noch vor acht im Stall und sattelten Highlight und einen jungen, schokobraunen Wallach, der von allen nur Pete genannt wurde und ritten dann zum Strand. Wir verzichteten auf wilde Aktionen und bummelten im Schritt am Wasser entlang und ich konnte schon hören, wie Marieke uns damit aufziehen würde. Mir war das nur Recht. Ich war damit beschäftigt, vor Glück darüber, dass Paul da war nicht zu platzen und jeden Moment, den wir zu zweit hatten, in vollen Zügen zu genießen. Dazu gehörte einfach auch, dabei zuzusehen, wie Paul erst vorsichtig, dann immer mutiger Pete im Wasser herumplantschen ließ und dabei nicht weniger strahlte als ich beim ersten Mal. Das die Sonne sogar rauskam und wir auf dem Rückweg das Gefühl hatten, als würde beinahe schon der Frühling anbrechen, machte es nur noch schöner.

Am späten Vormittag trafen wir uns mit Marieke in einer kleinen Brasserie etwas außerhalb vom Stadtzentrum zum Brunchen. Ich hatte mir gewünscht, dass Paul zumindest sie besser kennenlernte, damit er eine Ahnung hatte, mit wem ich arbeitete und von wem ich abends sooft erzählte. Außerdem hatte Marieke mir immer wieder damit in den Ohren gelegen, dass sie auf Dauer mehr als nur ein Gesicht brauchte, wenn ich ihr weiterhin regelmäßig damit auf die Nerven gehen wolle, dass ich Paul vermisste. Der war zwar nicht unbedingt scharf darauf, die wenige Zeit, die wir hatten mit anderen Leuten zu teilen, aber meine farbenfrohe Beschreibung des Buffets überzeugte ihn schließlich doch. Marieke ließ ihn dann auch bis zu seinem zweiten Pfannkuchen weitgehend in Ruhe, fragte mich nach unserem Ausritt aus und grinste wie von mir prognostiziert gönnerhaft, als ich erzählte, dass wir eigentlich nur ein bisschen mit den Pferden im flachen Wasser herumgeplantscht hatten.

„Du musst mal mit mir mitkommen.", sagte sie dann an Paul gewandt. „Kim ist kein guter Fremdenführer."

„Ich bin eigentlich ganz zufrieden.", sagte Paul, zwinkerte mir zu und trank einen großen Schluck Kaffee. „Ich habe jetzt schon alles in Renesse gesehen, wofür ich hergefahren bin."

Marieke streckte grinsend ihre Beine aus. „Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich würde die Augen trotzdem offenhalten- sonst verpasst du was. Renesse hat schon noch mehr zu bieten als nur deine Freundin."

„Und was empfiehlst du da?", fragte Paul zurück und ich hörte aus seinem Tonfall heraus, dass er nicht ehrlich interessiert an ihren Tipps war- und eigentlich auch mehr davon ausging, aufgezogen zu werden.

Sie überraschte ihn damit, dass sie uns erzählte, wo man gut Seehunde beobachten konnte und dass es in der Nähe ein Schloss gäbe, dass eine Besichtigung wert sei. „Und natürlich gibt es mehr als eine Sauna. Falls sonst alle Aktivitäten, bei denen du deine Freundin in Klamotten sehen musst für dich eher nichts sind."

Paul räusperte sich peinlich berührt und fuhr sich verlegen mit der Hand in den Nacken und für einen Moment fürchtete ich, er könne Marieke diese Provokation übelnehmen. „Autsch. Punkt für dich.", murmelte er stattdessen und lächelte sie zum ersten Mal wirklich offen an, als sei er jetzt erst so richtig im Gespräch angekommen. Vermutlich war das auch so und ich war mir ziemlich sicher, dass Marieke vorher genau gemerkt hatte, dass er mit seinen Gedanken nicht bei uns am Tisch gewesen war.

Sie sah jedenfalls sehr zufrieden mit sich aus, als sie nach ihrem Kakao griff und das Thema wechselte. „Ich habe dich übrigens gestalkt, weil Kim immer so viel von dir erzählt. Du kannst ja echt anständig reiten, habe ich gesehen."

„Ach, echt?" Er sah mich lächelnd an und griff nach meiner Hand, die in meinem Schoß lag. „Man gibt sich Mühe."

Marieke lachte kehlig. „Tue nicht so. Du weißt, dass du gut bist."

„Vielleicht." Er drückte meine Hand und grinste in sich hinein. Ich war mir nicht sicher, ob er sich geschmeichelt fühlte oder ob er wirklich genau wusste, wie gut er war. Im letzten Jahr war es für ihn einfach gut gelaufen und gleichzeitig war so viel losgewesen- zwischen uns, mit uns, mit mir- dass wir nie richtig darüber gesprochen hatten, wie es sich für ihn anfühlte, dass es nach Jahren des Stillstands auf einmal mit gewaltigen Schritten nach vorne ging. Vielleicht hatte er sich auch bewusst zu dem Thema ausgeschwiegen, weil meine Leistungskurve derweil so steil bergab gezeigt hatte.

„Wie voll ist dein Turnierkalender so?", fragte Marieke und ich ächzte schon bei dem Wort vernehmlich. Uns standen diese ätzenden sechs Wochen bevor, weil er einfach jedes Wochenende unterwegs sein würde.

„Frage nicht.", murmelte ich also und rutschte frustriert auf meinem Stuhl nach unten, während Paul mit einem sehr unglücklichen Gesichtsausdruck meine Hand fester drückte.

„Voll.", beantwortete er Mariekes Frage und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. „Echt voll."

Marieke, die zu spüren schien, wie die Katerstimmung sich aufbaute, wechselte schnell das Thema. Dennoch, am Abend holte uns trotzdem die Erkenntnis ein, wie schnell ein gemeinsames Wochenende umging. Während wir kochten, wurde Paul immer stiller und auch ich konnte mich nicht dagegen wehren, sauer darauf zu sein, dass das erst der zweite und gleichzeitig schon der letzte gemeinsame Abend sein sollte. 


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Diese unseligen letzten Abende in Fernbeziehungen. 

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