Part 33

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Ulrich Hasse, mein Chef aus München. Was machte er hier? Niemand von seinen Leuten ritt hier. Das wusste ich, schließlich hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, die Starterlisten zu überfliegen und zu schauen, ob jemand aus München dabei war. Und wieso nur am Sonntag? Der fuhr doch nicht nur für einen Tag quer durch Deutschland. Ich hätte ihn doch gesehen, wenn er schon in den letzten Tagen hier gewesen wäre. Nervös reckte ich den Hals, um die beiden beobachten zu können, aber ich sah nur noch, wie sie sich vom Einritt abwandten und aus meinem Blickfeld verschwanden. Was wollte er von ihr? Warum redete er mit ihr? Und was erzählte er ihr? Ohne weiter darüber nachzudenken, sprang ich auf und hastete in der Hoffnung, die beiden zu finden, in Richtung Abreiteplatz. Ich zwang mich dazu, nicht zu rennen, aber mein Herz schlug mir trotzdem bis zum Hals. Du weißt nicht mal, ob er es weiß, du weißt nicht, wie viel er weiß, sagte ich mir währenddessen wieder und wieder, aber ich wollte trotzdem um jeden Preis verhindern, dass er die Gelegenheit hatte, ihr in meiner Abwesenheit irgendetwas zu erzählen. Ich sah ihn schon von Weitem, wie er neben meiner Mutter an der Umzäunung stand und versuchte, meine Schritte nochmal zu verlangsamen und durchzuatmen.

Mit einem trotzdem noch ziemlich abgehetzt klingenden „Hallo" unterbrach ich die beiden und stellte ich mich neben meine Mutter, die mich sichtlich überrascht ansah.

„Kim!" Ulrich nickte und lächelte freundlich, als er mir die Hand hinstreckte. „Wie geht's? Du bist in Zivil heute?"

„Ja, L'Oiseau hatte eine Kolik. Ich reite heute nicht." Tatsächlich hatte ich meine Reitsachen am Morgen noch gegen Jeans und T-Shirt getauscht. „Wie geht es dir? Alles gut bei euch im Süden?", versuchte ich das Gespräch von mir wegzulenken.

„Alles geht seinen gewohnten Gang.", sagte er. „Ich habe gerade schon deiner Mutter erzählt, dass ich dich doch sehr in meinem Team vermisse."

„Ach, wirklich?", fragte ich lahm und schluckte schwer. Ich vermisste es ganz sicher nicht, Teil des Teams zu sein.

„Ich bedaure immer noch, dass du nicht bleiben wolltest." Er hatte mir nach der Ausbildung eine Stelle angeboten, das stimmte. Als ich abgelehnt hatte, hatte ich nicht den Eindruck gehabt, dass es ihn gewundert hatte. Er hatte gelächelt- wie jetzt. Dieses Mal war ich mir sicher, dass es ein schuldbewusstes Lächeln war.

„Ich wollte halt zurück nach Hause.", sagte ich mit trockenem Mund und warf meiner Mutter einen Seitenblick zu, die mich verwundert ansah. Weder ihr noch meinem Vater hatte ich je von dem Jobangebot erzählt.

„Es geschehen noch Zeichen und Wunder.", sagte sie kühl und ich wusste, dass unser Streit der letzten Tage nicht vergessen war.

„Und was machst du hier?", fragte ich Ulrich, ihren Kommentar ignorierend. „Warst du die letzten Tage auch schon hier?"

„Nein, leider nicht. Wir hatten eine Familienfeier in der Gegend und Lene wollte auf dem Rückweg mal hier vorbei. Du kennst sie ja- völlig turnierverrückt. Ich wollte ihr den Gefallen tun und mich interessiert es ja auch." Er grinste und ich hatte das Gefühl, man zöge mir den Boden unter den Füßen weg.

„Alena ist hier?" Lene war Thomas kleine Schwester. Hätte Thomas sie nicht regelmäßig am Stall abgeholt, dann wäre ich ihm nie begegnet. Dann wäre München einfach nur ätzend und keine Katastrophe gewesen. Alena war 15- wenn sie jetzt nicht bei ihm war- wo war sie dann?

„Die holt sich gerade was zu Essen."

Ich konnte regelrecht spüren, dass ich bleich wurde. Ich wollte ihn nicht fragen, ob Thomas mit seinen Eltern diese dämliche Familienfeier Richtung Heimat verlassen hatte oder mit ihm und Alena hier war. Das musste ich auch nicht. Ich hörte sein Lachen und merkte, wie mein ganzer Körper sich anspannte. Er war tatsächlich hier, an diesem Wochenende, das ohnehin nicht schlimmer hätte laufen können. Vor meiner Mutter, der ich nie ein Wort von ihm erzählt hatte. Vor Ulrich, der zumindest wusste, dass wir kurz zusammen gewesen waren. Vor Paul, dem ich gerade erst von ihm erzählt hatte.

„Oh, Tom- gucke mal, wer da ist!", hörte ich Alena sagen.

„Ich seh's."

Und ich hörte den bissigen Tonfall. Langsam drehte ich mich um, während ich mich einfach nur weit weg wünschte.

Ich fixierte den Boden vor seinen Füßen. „Hallo, Tom."

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