Part 143

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Der Spiegel erzählte mir am nächsten Morgen, dass ich dringend wieder ins Bett gehen sollte und Marieke stieg immerhin beim ersten Anlauf falschherum in ihre Reithose.

„Das kann doch nicht.", ächzte sie, zog die Hose aus und richtig herum wieder an und knäulte ihre Haare im Nacken zu einem sehr nachlässigen Knoten zusammen. Wir fuhren gemeinsam bei blauem Himmel, Sonnenschein und eiskaltem Wind mit dem Fahrrad zu Benthe, was uns wenigstens etwas mehr Zeit verschaffte, um wach zu werden. Trotzdem waren wir beide so müde, dass wir unterwegs kaum ein Wort sprachen. Während Marieke direkt im Stall verschwand, ging ich in Zeitlupe auf die Haustür zu und hoffte gerade, dass nicht abgeschlossen wäre, als Benthe die Tür aufmachte und mich schief grinsend von Kopf bis Fuß musterte.

„Julian", rief sie nach drinnen. „Deine Tochter ist aufgetaucht. Gesund und müde, wie es sich für einen Sonntagmorgen gehört. Habe ich dir doch gesagt."

Von drinnen hörte ich ein erleichtertes Seufzen und Benthe tätschelte mir im Vorbeigehen die Schulter. „Guten Morgen, Kim."

„Morgen.", murmelte ich, striff dabei die Schuhe ab und tapste in die Küche, wo mein sich Vater gerade Kaffee nachenkte. „Moin."

„Moin." Er wollte zu etwas ansetzen, dass ich schon in meinen Ohren hören konnte und womit er nicht Unrecht hatte: Ich hätte Bescheid sagen können. Er hatte sich garantiert Sorgen gemacht. „Kim, ich...."

„Ich weiß.", wehrte ich direkt mit einem entschuldigenden Lächeln ab und warf einen hungrigen Blick in den Brotkorb, wo ich Weißbrot und noch mehr Weißbrot sah. „Sorry. Der Akku war leer und der Abend lief anders als geplant. Mir geht's gut, ich habe bei Marieke geschlafen und ich mache ein Nickerchen, bevor ich reite. Ich will dich ja nicht beleidigen." Damit ließ ich mich am Frühstückstisch nieder, verteilte sehr großzügig Schokostreusel auf dem Brot und mein Vater ließ die Schultern sinken.

„War's gut?", fragte er und musterte mein blasses Gesicht mit den tiefen Augenringen. Er guckte mich etwa so an wie ich mein Spiegelbild nach dem Aufstehen angestarrt hatte. Echt jetzt??

„War nett, ja." Ich biss herzhaft vom Streuselweißbrot ab, fragte mich, wie Benthe immer noch schlank sein konnte, wenn sie doch jeden Morgen puren Zucker aß und vermied es, meinem Vater zu viel von dem Abend mit Marieke und ihren Freundinnen zu erzählen, so neugierig er auch guckte. „Was hast du heute mit mir und Highlight vor?" Nicht, dass mich die Antwort in dem Moment wirklich interessiert hätte, aber die Frage lenkte ihn von meinem Abend ab und während er erzählte, was er sich für die Stute und mich ausgedacht hatte, schweifte ich in Gedanken ab und hörte kaum noch mit halbem Ohr zu. Als er das merkte, stand er mit einem tiefen Seufzen auf, wuschelte mir im Vorbeigehen einmal durch die Haare, wie er das zuletzt vor Jahren gemacht hatte und ließ mich mit dem Frühstück alleine.



Highlight schnaubte im Takt ihrer Galoppsprünge, während ich die Zügel und meinen Körper nochmal sortierte, bevor ich auf die Diagonale abwendete, um noch einmal und mit letzter Konzentration die Dreierwechsel auszuprobieren. Das Ganze auf Kandare, zählen, Fleiß erhalten, umstellen und eben nicht umwerfen: ich verlor so langsam mal wieder den Überblick darüber, wo eigentlich mein rechter und wo mein linker Fuß war, aber bis zum letzten Wechsel, bei dem Highlight mich rettete, kriegte ich die Sache mit der Koordination gerade noch hin.

Das „Gut so- fertig" aus der Mitte war fast so erlösend, wie es mich traurig machte, weil ich in dem Moment, in dem ich im Galopp die Zügel langsam länger werden ließ und Highlight überschwänglich lobte, realisierte, dass ich gleich wieder im Auto nach Hause sitzen würde. Die Stute, die tatsächlich wie von Benthe beschrieben eine ganz „engagierte Lady" war, würde ich wirklich vermissen. Sie machte Spaß, sie war sensibel, bemüht und so sicher in den Lektionen, dass ich wirklich eine Menge von ihr hatte lernen können. Zuletzt hatten sich meine Versuche im Viereck so sehr nach Dressurreiten angehört, als ich im Sommer vor meiner Abreise nach München mit Rubinstein, dem alten Erfolgspferd meines Vaters mein Glück versucht hatte. Und damals hatte selbst der wirklich gnädige Hengst irgendwann den Dienst quittiert, als ich mich immer wieder erfolglos an Serienwechseln und Arbeitspirouetten versucht hatte.

Marieke, die sichtlich erledigt neben Benthe auf der Bank saß, reckte beide Daumen in die Luft als ich strahlend und atemlos zum Schritt durchparierte und auch Benthe sah zufrieden aus. Eigentlich schuldete ich ihr für dreimal Highlight und dreimal niederländisches Frühstück mehr als nur ein Danke, aber als ich ihr das sagte während sie Highlight die Abschwitzdecke überwarf, schüttelte sie bloß den Kopf.



Nachdem ich meine Tasche in den Kofferraum des Autos meines Vaters geworfen, Marieke umarmt und mit ihr Handynummern ausgetauscht hatte, fuhren mein Vater und ich Benthe hinterher zum Strand. Wir wollten noch einen kurzen Spaziergang mit den Hunden am Wasser machen, bevor wir die nächsten Stunden im Auto absitzen würden. Pip und Bella fetzten wie schon am Freitag am Strand entlang und ich ließ die beiden zwischendurch einen alten Tennisball apportieren, was bei den beiden mehr Begeisterung hervorrief, als ich mir hatte vorstellen können. Auch, als ich den Ball längst wieder an Benthe übergeben hatte, liefen beide Hunde neben mir her und sahen mich erwartungsvoll an, als hofften sie darauf, dass ich es mir doch nochmal anders überlegen könne.

„Die beiden hätten nichts dagegen, wenn du hierbleibst.", rief mir Benthe lachend gegen den Wind zu und löste dabei genau das bittersüße Gefühl aus, dass ich schon gehabt hatte, als ich nach der Reitstunde Highlight auf die Weide gebracht hatte. Ich wollte nach Hause und noch mehr wollte ich zu Paul, aber Highlight, die Hunde, das Meer, das gemütliche alte Haus mit dem großen Kamin- das würde mir zuhause trotz der kurzen Zeit hier mehr fehlen, als ich es mir am Freitagmorgen noch hatte vorstellen können. Es war ein bisschen wie Amrum zu verlassen- eigentlich wollte ich noch gar nicht weg und zurück in meinen Alltag. Vielleicht umarmte ich Benthe auch deshalb beim Abschied hastig und flüchtig, weil ich nicht zu intensiv daran denken wollte, dass das Renesse nicht um die Ecke war und ich wohl kaum zu einem spontanen Strandausritt im Sommer vorbeikommen würde. Während mein Vater und Benthe sich verabschiedeten, stieg ich schon ein, zog ganz wie auf der Hinfahrt sofort meine Schuhe aus, zog mein Handy aus der Tasche und schrieb Paul, dass wir unterwegs waren. 



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Da ist die Kim doch noch echt Dressur geritten (oder hat es zumindest versucht) und hat jetzt Abschiedsschmerz. Wer kann es ihr verdenken?

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