Part 43

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Es war gerade Mittag, als ich das Auto direkt vor Lukas' Haustür abstellte. Er hatte sich ziemlich lange gewehrt, bis er am Telefon eingeknickt war und mir gesagt hatte, dass ich kommen könnte. Es ginge ihm gut, er wolle doch eigentlich was für die Uni tun, ich müsse doch nun wirklich arbeiten. Am Ende hatte ihn nur umgestimmt, dass ich ihm angedeutet hatte, selbst einige Dinge mit ihm besprechen zu wollen. Ich öffnete die Autotür und hörte noch im gleichen Moment Lukas Stimme von oben.

„Na immerhin musstest du nicht den dicken Geländewagen hier reinfahren." Er lehnte am geöffneten Küchenfenster im ersten Stock und grinste zu mir herunter.

„Hätte ich auch geschafft.", rief ich hoch, ging zur Tür und drückte sie direkt auf, als ich den Türsummer hörte.

Lukas stand in der geöffneten Wohnungstür, als ich die Treppe hochkam. „Hey.", sagte er, zog mich in eine kurze Umarmung und ließ mich dann rein. „Wie geht's dir?"

„Längere Geschichte." Ich striff mir meine Turnschuhe von den Füßen und ließ meine Tasche im Flur auf den Boden fallen. „Und dir?"

Er seufzte. „Längere Geschichte, aber trotzdem gut. Willst du was essen?"

„Wenn du dabei diese längere Geschichte erzählst."

Er lachte und griff nach dem Wohnungsschlüssel. „Dann ziehe mal die Schuhe wieder an. Kochen ist heute nicht."

Zwanzig Minuten später saßen wir draußen vor einer kleinen, unscheinbaren Pizzeria, in der, wie Lukas mir verriet, seine Kommilitonen und er öfter ihren Semesterabschluss begossen hatten.

„Super Wein, super Pizza und ein Freund von mir hilft öfter mal hier aus. Die Kombination ist unschlagbar.", sagte er und schob mir die Karte hin.

Ich hatte Lukas seit er angefangen hatte zu studieren nur zweimal besucht. Einmal ganz zu Anfang mit meinen Eltern, ich war gerade vierzehn gewesen. Dann nochmal alleine fast zwei Jahre später, kurz bevor ich nach München gegangen war. Schon damals war mir aufgefallen, dass Lukas hier anders war als zuhause. Freier, selbstbewusster und irgendwie furchtbar erwachsen. Es fiel auf, dass er sein eigenes Leben hatte, abseits der Reiterei und der Familie, von dem ich sonst nichts mitbekam. Damals hatte ich es wahnsinnig krass gefunden, dass er mit seiner Freundin zusammen wohnte.

„So", setzte er an, nachdem ich die Karte zuklappte und auf den Tisch legte. „Was machst du hier?"

„Was ich hier mache? Marie hat sich von dir getrennt. Ich dachte, ich schaue mal nach dir.", sagte ich entrüstet. „Mama hat sowas gesagt wie zwei Trennungen in 12 Monaten würden dir dann doch zusetzen, deiner eigenen Aussage nach."

Er seufzte, setzte seine Sonnenbrille ab und legte den Kopf in den Nacken. „Jaa, vielleicht. Dafür hättest du trotzdem keine Stunde herfahren und Urlaub nehmen müssen."

„Ist es so schlimm, dass ich hier bin?", fragte ich.

„Quatsch, ich freue mich. Ich wundere mich nur, das hättest du früher nicht gemacht."

„Früher konnte ich nicht alleine Auto fahren.", gab ich grinsend zurück.

„Früher vor weniger als zwei Jahren konntest du alleine Auto fahren."

„Da saß ich in München."

„Touché." Er lächelte und richtete sich auf, als die Bedienung auf uns zukam.

Lukas bestellte Pizza Salamipizza für sich und Pizza Margaritha für mich. „Und zweimal was von eurem Rotwein."

Mittags Rotwein? Ich sagte nichts, aber Lukas bemerkte meinen fragenden Blick.

„Ich sage doch, längere Geschichte." Damit lehnte er sich wieder lässig zurück und sah mich herausfordernd an. „Du zuerst oder soll ich den Anfang machen?"

„Fang du an." Ich hatte meine Geschichte in den letzten Tagen sooft erzählt, dass ich es nicht eilig hatte, sie bei ihm loszuwerden.

„Wie du meinst. Es fing damit an, dass Marie vor ein paar Wochen meinte, wir sollten zusammenziehen. Ich fand die Idee dämlich. In ein paar Wochen oder Monaten bin auf Jobsuche und habe keine Ahnung, wo ich was bekomme. Ich habe keine Ahnung, ob ich in der Stadt bleibe oder ob es mich woanders hin verschlägt. Dann suche ich mir doch vorher keine Wohnung mit ihr. Außerdem" Er machte eine kurze Pause. „fand ich es ein bisschen übereilt. Jedenfalls habe ich ihr gesagt, sie könnte ja für die Zeit, in der ich meine Wohnung hier noch habe, mehr oder weniger bei mir einziehen."

„Mehr oder weniger?", hakte ich nach.

„Sie war ja eh schon ständig da. Ich wollte nur einfach nicht, dass sie ihr WG-Zimmer kündigt und am Ende ohne Wohnung dasteht."

„Am Ende?", fragte ich und zog amüsiert die Augenbrauen hoch.

„Am Ende, wie wenn ich umziehe. Nicht am Ende, wie wenn wir uns trennen. Soweit mein Gedankengang." Er spielte gedankenverloren mit der Uhr an seinem Handgelenk herum. Ich erinnerte mich daran, dass Inga sie ihm geschenkt hatte, als die beiden fünf Jahre zusammen gewesen waren. „Für sie war das ein Riesendrama. Ich würde nicht aus meiner Wohnung ausziehen wollen, weil ich mir dann ja eingestehen müsste, dass Inga nicht zurückkommt. Ich würde nicht aus meiner Wohnung ausziehen wollen, weil ich sie dann nicht mehr problemlos rauswerfen könnte." Unglücklich kaute er auf seiner Unterlippe herum und zuckte dann mit den Schultern. „Ein bisschen was war vielleicht dran. Ich wollte einfach keine Abhängigkeit zwischen uns schaffen. Nicht so früh, nicht, nachdem es mir sowieso alles zu schnell ging." Er erzählte davon, wie er versucht hatte, das Marie zu erklären, wie verletzt sie gewesen war. Wie sie erst eine Beziehungspause gewollt hatte, damit er sich Gedanken über seine Gefühle machte. Gleichzeitig hatte sie schon ihren Kram aus seiner Wohnung geräumt. „Ehrlicherweise, als sie ihre Klamotten aus dem Schrank und ihren Kram aus der Küche geholt hat, habe ich gedacht, dass es das sowieso gewesen ist.", räumte er ein. „Ich war sauer darüber, wie sie innerhalb von einer Woche von „Ich will mit dir zusammenziehen" zu „Ich hole meinen Kram aus deiner Wohnung" gewechselt hat. Deswegen habe ich es halt hingenommen und die freie Zeit genutzt und meine Masterarbeit weitergeschrieben. Außerdem" Er verdrehte sichtlich genervt die Augen. „Kim- was ist für dich der Sinn einer Beziehungspause, wenn man sich ständig beim anderen meldet? Ich habe sie jedenfalls in Ruhe gelassen. Fand sie auch nicht prima. Nach einer Woche stand sie vor meiner Haustür, hat mir eine Jacke von mir, die wohl noch bei ihr lag, vor die Brust gehauen und mir gesagt, dass es das gewesen ist. Ich würde ihr ja offensichtlich nicht fehlen."

„Wow."

„Ja- wow." Er verstummte für einen Moment, als das Essen kam. Ich selbst konnte nicht anders, als zumindest ein bisschen Mitleid für Marie zu empfinden.

„Sag, du weißt aber schon, dass sie auch ein bisschen Recht hat?"

„Inwiefern?" Lukas warf mir einen kritischen Blick zu, während er ein Stück von seiner Pizza abschnitt.

„Damit, dass du dich nicht richtig auf sie einlassen wolltest?"

Lukas schwieg und nahm einen Schluck Wein. „Wollte ist das falsche Wort.", sagte er schließlich bedächtig „Ich wollte schon." 



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🍕🍷 Was würde ich gerade dafür geben, Pizza draußen zu essen und dabei ein Glas Rotwein zu trinken? 🍕🍷

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