Part 114

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Danach tat ich etwas, worauf Lukas wohl extrem stolz gewesen wäre. Nachdem wir Donni, die unter Felix wirklich schön locker Dressur gegangen war, abgesattelt hatten, schnappte ich mir aus meiner Wohnung gemütliche Klamotten und ging mit ihm nach oben. Wir machten es uns am Küchentisch gemütlich, spielten Uno und gingen meinem Vater beim Kochen gemeinschaftlich auf die Nerven. Zugegeben- mein Engagement für Felix war nicht ganz uneigennützig. Paul würde nie ohne dringenden Grund bei meinen Eltern an die Wohnungstür klopfen und ich brauchte- nachdem ich den Vormittags über noch immer wieder mein Handy gecheckt und auf eine erklärende Nachricht von ihm gewartet hatte- einfach Abstand. Nach dem Mittagessen verdrückte ich noch ein Stück Kuchen, das meine Mutter auf dem Rückweg von einer Reitstunde beim Bäcker eingesammelt hatte und rollte mich danach auf der Couch ein. Ich war eigentlich bereit, den restlichen Tag in Embryopose unter der Wolldecke liegen zu bleiben und abwechselnd bei Netflix reinzuschauen und kleine Nickerchen zu machen, aber daraus wurde nichts. Schon nach einer guten Stunde, als mir während einer schlecht gemachten Doku die Augen zufielen, hörte ich ein leises Räuspern über mir. Mein Vater hatte die Unterarme auf der Sofalehne abgestützt und beugte sich zu mir herunter.

„Was denn?", gähnte ich und rieb mir müde die Augen. Mir steckte diese furchtbare Nacht in den Knochen.

„Ich wollte mit dir reden."

Offensichtlich wollte er das. „Was ist denn?" Ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass es nicht um meine Zukunftspläne gehen würde.

Er seufzte, kam ums Sofa herum, schob sachte meine Füße zur Seite und setzte sich neben mich. „Du und Paul, ihr seid regelmäßig bei seiner Familie, oder?"

Ein gut platzierter Schlag in die Magengrube hätte exakt den gleichen Effekt gehabt wie diese rhetorische Frage, deshalb richtete ich mich mühsam auf und sah meinen Vater ins Gesicht. Sah ich da ein schlechtes Gewissen?

„Schon ab und an.", entgegnete ich und versuchte das Bild des gestrigen Abends- ich, mit jeder verstreichenden Sekunde zunehmend nervös hinter Paul stehend, der wiederum unbewegt dastand und aus dem Fenster starrte- aus meinen Gedanken herauszuhalten.

„Ich würde dir ja sagen, dass du ihn jederzeit mal mitbringen kannst, aber er ist halt schon hier." Um seine Mundwinkel zuckte es, während er offensichtlich gegen ein verlegenes Lächeln kämpfte.

„Echt?" Mit einem tiefen Seufzen zog ich meine Knie zu mir heran. Noch am Vorabend hätte ich ihn selbstzufrieden und ein bisschen gehässig angegrinst. Einfach, weil er sich scheinbar hatte eingestehen müssen, dass das mit Paul und mir nicht mit einem Schlag vorbei sein würde. Haha. Es war mehr als ironisch, dass er sich ausgerechnet jetzt zu diesem Angebot durchrang, nachdem Paul mein „Ich liebe dich" nicht mal einen Blick über die Schulter wertgewesen war. Fairerweise, dachte ich bei mir selbst, auch wenige Stunden nachdem ich Paul von einem unglücklichen Kuss erzählt hatte. Trotzdem war ich ratlos- und auf Paul angesprochen auch einfach verletzt. Ich schielte auf mein Handy, aber das lag still und mit dunklem Display auf dem Boden.

„Nimm ihn doch zum Weihnachtsessen bei Sinas Eltern mit. Sie würden sich freuen.", schlug mein Vater vor und ich nickte langsam, obwohl ich wusste, dass der Vorschlag ungefähr so selbstlos war wie mein Kartenspiel mit Felix. Mein Vater und meine Großeltern, das war nie richtig unangenehm, aber genauso wenig richtig nett. Fairerweise waren meine Großeltern einfach nicht wirklich angenehm. Sie hatten dieses dekadente Haus, dieses hässliche Architekturwunder aus Glas und weißem Stein, vollgestopft mit teurer Kunst, die ich nicht verstand. Beim Frühstück lief klassische Musik und sie guckten pikiert, wenn man sein Frühstücksbrot nicht mit Messer und Gabel aß. Ich konnte mir gut vorstellen, dass mein Vater nur zu gern einen Blitzableiter zwischen sich und meiner Oma platzieren wollte, die ihn beinahe jedes Mal mit irgendeiner Spitze bezüglich der Erziehung von Felix und mir bedachte. Natürlich nur zum Spaß. Leider übersah sie dabei, dass niemand außer ihr lachte.

„Mal sehen.", sagte ich zögerlich. „Ist ja noch eine Weile hin. Außerdem weiß ich nicht, ob das so Pauls Ding ist."

Hüstelnd zog mein Vater die Augenbrauen hoch. „Er kann sich doch für dich ein bisschen zusammenreißen, oder?"

„Er soll sich für dich zusammenreißen."

„Für die Liebe." Er wandte kurz den Kopf Richtung Küche, wo er meine Mutter vermutete und flüsterte: „Kim, seit über zwanzig Jahren muss ich mich vor Weihnachten rasieren, mir den spießigsten Pullover anziehen, den ich finden kann und mit geputzten Schuhen da antanzen. Und das alles, weil ich deine Mutter liebe. Du solltest frühzeitig testen, ob er auch bereit ist, die wirklich wichtigen Opfer zu bringen." Er nickte verschwörerisch.

Schnaubend lachte ich auf. „Paul wohnt im gleichen Haus wie du. Noch Fragen?"

„So schlimm bin ich nicht.", sagte er, lehnte sich mit verschränkten Armen und einem schuldbewussten Lächeln auf den Lippen zurück und sah mich an.

„Du hast ihn nach dem Vereinsturnier auf dem Parkplatz stehen und mitten in der Nacht nach Hause laufen lassen.", erinnerte ich ihn und mein Vater kratzte sich am Hinterkopf, ganz als müsse er angestrengt nachdenken, um die Erinnerung abzurufen.

„Vielleicht war ich da wirklich wütend."

„Vielleicht warst du da ein Idiot."

„Vielleicht warst du beängstigend betrunken und dein Casanova hat mir noch beängstigender vor Augen geführt, dass du gar nicht mehr mein kleines Mädchen bist." Seine Augen nahmen einen ziemlich wehmütigen Ausdruck an. „Außerdem hatte ich ein paar Tage vorher von deiner Mutter gehört, was in München passiert ist." Er holte tief Luft und an der Sorgenfalte auf seiner Stirn sah ich, wie ihn dieser Gedanke quälen musste. „Ein halbstarker Paul war da wirklich der Letzte, den ich in deiner Nähe wissen wollte."

„Hätte ich mir lieber einen Sugardaddy suchen sollen?", scherzte ich und mein Vater stöhnte vor Entsetzen auf.

„Kim!" Sein energisches Kopfschütteln verbat einen weiteren Scherz dieser Art. „Also?", fragte er und nickte mir zu und ich merkte, wie mein Herz ein paar Zentimeter absackte.

„Was also?", fragte ich und bemühte mich um einen zufriedenen Gesichtsausdruck.

„Ist alles gut...mit euch? Bist du...glücklich?" Er hielt die Luft an, während er auf meine Antwort wartete.

„Ja, bin ich.", sagte ich und kämpfte um ein authentisch glückliches Lächeln, während ich vor meinem inneren Auge mal wieder Pauls Rücken vor dem Fenster sah. Hätte er mich das vor Berlin oder auch einfach noch vierundzwanzig Stunden zuvor gefragt, ich hätte über das ganze Gesicht gestrahlt. Weil ich wirklich glücklich war und weil ich, je öfter ich neben Paul aufwachte, immer mehr fühlte, dass ich ohne dieses Sache zwischen ihm und mir nicht halb so glücklich wäre.

„Soso." Der Röntgenblick, den mein Vater über mein Gesicht schickte, war offensichtlich fündig geworden und er seufzte schwer. „Mache dich nicht abhängig, ja?"

„Niemals.", erwiderte ich und verdrehte die Augen, während ich mein Handy vom Boden klaubte und ein weiteres, ungezähltes Mal nachschaute, ob Paul sich gemeldet hatte. Was er nicht hatte. Ich spürte, dass mein Vater mich beobachtete, während ich auf Chat starrte und nur sah, dass Paul vor ein paar Minuten noch online gewesen war. Ob ihn genauso umtrieb, was passiert war? Oder lag er tiefentspannt auf seinem Bett und guckte irgendeine Serie? Schrieb er gerade Jenny, was passiert war? Oder Pia? Oder beiden? Der aufflammende Ärger überwog schließlich mein Schamgefühl und ich steckte mein Handy entschlossen weg. „Ich gehe runter.", sagte ich knapp zu meinem Vater, dessen Sorgenfalte noch genauso prominent war wie eben.

„Klar.", murmelte er und ließ den Kopf in den Nacken sinken. „Habt einen schönen Abend."

Ja...." Ich war mir ziemlich sicher, dass wir den nicht haben würden. Als ich aufstand und schon fast ums Sofa herumgelaufen war, gab ich dem dringenden Gefühl, ihm etwas Anderes zum Nachdenken geben zu müssen, nach. „Felix ist unglücklich verliebt. Nur so, falls du es noch nicht wusstest."

Mein Vater lachte trocken und ließ sich tiefer ins Sofa sinken. „Ihr drei bringt mich ins Grab." 


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Verzweiflung is real

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