Part 134

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Meinem Drängen, doch bitte sofort in die Klinik zu fahren, hatte meine Mutter nicht nachgegeben. „Ich habe getrunken, bin müde und habe Schmerzmittel drin- ich fahre gar nichts mehr. Und du auch nicht. Wir fahren, sobald Donni wieder steht."

Wenn Donni wieder aufstehen sollte. Trotzdem gestand ich mir ein, dass ich gerade nichts tun konnte. Bis wir in der Klinik angekommen wären, wäre Donni längst im OP und ich wusste auch, dass man mich wohl kaum zu ihr lassen würde, bevor sie nicht sicher wieder aufgestanden war. Wenn. Hilflos sah ich dabei zu, wie meine Mutter- es war mittlerweile nach eins- Mozzarellasticks in den Ofen schob. Auf meinen entgeisterten Blick erwiderte sie nur, dass die Nacht halt lang werden würde und so kam es, dass wir wenig später am Küchentisch saßen, die Sticks direkt vom Backblech aßen und abwechselnd in den scharfen Dip tauchten, der zwischen uns stand. So dämlich wie ich die Idee zunächst auch gefunden hatte, das Essen half, die Angst zumindest zu dämpfen.

„Darf ich dich etwas fragen?", fragte ich, nachdem ich den letzten Happen Käse in meinen Mund gesteckt hatte. Ich wusste nicht, ob ich wirklich eine Antwort auf die Frage haben wollte, aber ich wusste, dass die Antwort mich für ein paar Minuten zuverlässig von Donni ablenken würde.

„Sicher." Alarmiert wanderten ihre Augenbrauen hoch. Während ich nach den richtigen Worten für meine Frage suchte, sah ich, wie sie innerlich eine Reihe von vermutlich unangenehmen Fragen durchging.

„Wie sehr bereust du, dass du nicht nach Ingolstadt gegangen bist?"

Das kurze Schließen der Augen und ein resignierter Atemzug bestätigte mir nur, dass die Frage nicht ihr Lieblingsthema war. Sie wog unschlüssig den Kopf hin und her, bevor sie versuchte mir zu beschreiben, wie es ihr mit der Entscheidung ging. Irgendwie gut- und irgendwie auch nicht. „Ich hoffe, dass es für dich gut ist und mittlerweile weiß ich sicher, dass es so für Felix besser ist.", sagte sie und bemühte sich um ein Lächeln, dass ausstrahlen sollte, dass sie mit der Entscheidung im Reinen war. „Und auch, wenn du mir das vielleicht nicht abkaufst bin ich wirklich froh, euch und euren Vater bei mir zu haben. Aber beruflich...." Sie seufzte tief. „beruflich tut mir das richtig weh. Die neue Herausforderung, der Sport, ehrlicherweise der Neustart an einem Ort, wo keiner auf die Idee kommt mich zu fragen, ob ich nicht doch mal eben aufs Pferd steigen könnte, das hätte mir alles viel bedeutet. Manchmal denke ich, dass so ein sauberer Schnitt eine echte Erleichterung wäre."

Ein sauberer Schnitt. „Geht das nicht auch so? Das mit dem sauberen Schnitt zumindest? Kannst du nicht einfach neu definieren, was du machen willst und was nicht und..."

Sie lachte leise. „Es ist immer alles doch ein bisschen wie am Tag zuvor. Saubere Schnitte sind nicht so einfach, wenn alles drumherum beim Alten bleibt."

Ich fragte mich, wie das für mich sein würde- wieder zur Schule gehen, während um mich herum alles beim Alten blieb. Ob ich mich würde ändern können, ob ich das sollte und noch mehr ob ich das wollte. Der Übergang von meinem bisherigen in mein neues Leben, er sollte eigentlich ziemlich weich ablaufen und Donni- nicht nur mein Pferd, sondern auch meine Option, jederzeit wieder an mein altes Leben anzuknüpfen- war einer der Faktoren, die einen harten Schnitt verhinderten und einen sanfteren, weit weniger beängstigenden Übergang ermöglichten. Mit dem Wissen, dass die gemeinsame Zukunft von Donni und mir gerade in der Schwebe hing, fürchtete ich mich noch mehr vor dem Anruf aus der Klinik, der jederzeit eingehen konnte.

„Worüber denkst du nach?", riss meine Mutter mich nach einem kurzen Schweigen aus meinen Gedanken und ich erzählte zögerlich davon, dass da nicht nur die Angst war, Donni zu verlieren, sondern auch die Verbindung zu meinem alten Leben- von dem ich noch lange nicht sicher wusste, ob es nun mein altes Leben werden oder mich weiter begleiten sollte. Ich war mitten im Turniertrubel aufgewachsen. Erst in dem meiner Mutter, dann in dem meines Vaters und irgendwie dann sehr schnell auch in meinem eigenen. Außerhalb dieser Welt fühlte ich mich ein bisschen verloren, ganz so, als fehlte mir da ein Skript, eine Landkarte für mein Verhalten und meinen Weg. Ich hatte nie über den Tellerrand geblickt. Als ich meinen Monolog beendet hatte, griff meine Mutter über den Tisch hinweg nach meiner Hand und drückte sie ungewohnt sanft. „Du wirst schon merken, was richtig für dich ist. Der Weg zurück steht dir jedenfalls immer offen- ob mit oder ohne Donni."

AuftauchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt