Part 78

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Wäre ich nicht so unfassbar betrunken und auf Krawall gebürstet gewesen, hätte sein Blick mich wohl auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich, mitten im Partyzelt des Vereins, wo jeder jeden kannte, und ich machte mit Paul rum. Aber ich lachte nur, lachte über Nika, die aussah, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie mir eine scheuern oder in Tränen ausbrechen sollte und ein bisschen über Simon, der einfach zu lässig sein Bier trank, spöttisch, ein bisschen schadenfroh, als würde er sich über einen geheimen Witz amüsieren. Ich drehte mich gerade so weit, dass ich die beiden nicht mehr ansehen konnte und machte lieber damit weiter, Paul zu küssen, was mittlerweile so viel leichter war, als über Simon oder Nika nachzugrübeln. Ich hatte keine Ahnung, wie lange das so ging- ob zwanzig Minuten oder zwei Stunden- irgendwann aber löste Paul seine Lippen von meinen, hob den Kopf und wandte sich um. Malte hatte ihm auf die Schulter getippt und grinste uns beide vergnügt an. „Sorry Kim, könnt ihr euch mal kurz loseisen?" Er deutete Richtung Theke. „Kleine Tanzpause?" Ich nickte begeistert, griff nach Pauls Hand und zog ihn mit mir Richtung Theke. Tanzen machte wahnsinnig durstig, hemmungsloses Knutschen offensichtlich noch viel mehr. Ich bestellte die Runde für uns und versuchte dabei angestrengt nicht zu sehr zu lallen. Hinter dem Tresen stand Beate, die Jugendwartin des Vereins, zumindest war sie das früher gewesen, als Paul und ich noch Ponys geritten waren. Ich hatte immerhin genug Respekt ihr gegenüber, um sie zu begrüßen. Sie musste zweimal hinsehen, erkannte mich dann aber doch und warf einen neugierigen Blick auf Paul, der direkt hinter mir stand und dessen Hand ich immer noch festhielt.

„Und wie läuft es bei dir und den Pferden?", fragte sie laut, während sie die ersten Becher vor mir aufbaute.

„Läuft.", antwortete ich nur und merkte, wie mir kurz flau wurde. „Sagt meine Mutter." So halb stimmte das immerhin und in diesem Moment fühlte es sich so an, als sei das der einzige Maßstab, der zählte, als sei es mir selbst egal.

„Mit der habe ich heute auch schon gesprochen.", erwiderte Beate begeistert. „Wie geht es Felix?"

„Wie?" Ungläubig stellte ich mich auf die Zehenspitzen und lehnte mich nach vorne. Meine Mutter war hier? Heute? Nachdem, was am Nachmittag passiert war, kam sie hierher und trank sich ein Bier?

„Wie es Felix geht.", wiederholte Beate. „Reitet der morgen? Wäre spannend, das mal zu sehen."

„Nein. Wo meine Mutter ist?", fragte ich ungehalten zurück.

Beate zuckte mit den Schultern. „Ist eine Weile her, dass ich sie gesehen habe. Die ist bestimmt längst weg. Die bleibt ja nie lange." Damit schob sie den letzten Becher zu uns herüber, ich zahlte und sie wandte sich den Nächsten zu.

„Alles gut?", hörte ich Paul dicht an meinem Ohr fragen und nickte, reichte die Becher weiter und schüttelte mich kurz, bevor ich mit den anderen anstieß. Egal. Egal, ob sie hier war, hier gewesen war oder nicht. Wenn sie meinte, sie könne sich ohne schlechtes Gewissen absetzen, weil Lukas ja aus dem Haus war und ich immerhin erwachsen, dann würde sie- falls sie mich denn überhaupt gesehen- damit leben müssen, dass ich Entscheidungen traf, die ihr nicht schmeckten. Von ihren Ideen hielt ich schließlich auch nichts. Ich sah zu Paul, der gerade seinen Arm um mich legte und seine warme Hand in meine Taille legte. Er lächelte, überglücklich, verschwitzt und ein bisschen fertig, und drückte mir, wie schon am Springplatz, einen flüchtigen Kuss auf meine Haare.

„Kannst du noch stehen?"

„Ich bin topfit.", gab ich zurück und blinzelte hoch zu ihm. Richtig gut fixieren konnte ich meinen Blick nicht mehr.

„Wir könnten nach Hause, weißt du.", raunte er mir ins Ohr. „Hier raus und in Ruhe und ohne hundert Augenpaare im Rücken fortsetzen, was du angefangen hast. Wenn du magst." Er beugte sich zu mir herunter und stupste seine Nasenspitze gegen meine. Und es wäre- so oder so ähnlich- das Richtige gewesen. Er und ich, ein Bett, ein Liter Wasser, Aspirin, Schlaf und zerstörtes, gemeinsames Auskatern. Statt zuzustimmen schüttelte ich den Kopf und küsste ihn. „Macht doch gerade so viel Spaß."

Wir hatten gemeinsam unser Bier getrunken und Anna Zwei verabschiedete sich danach, weil sie am nächsten Tag mit ihrem Pferd vormittags eine Prüfung reiten wollte. Kurz regte sich etwas in meinem Hirn- die Erinnerung an die Springpferde A und das L am nächsten Tag, aber ich schüttelte den Gedanken daran ab und trank kurzentschlossen noch einen Kurzen mit Malte.

„Du bist in Ordnung, Kim.", nuschelte er danach und zog mich in eine unbeholfene Umarmung. „Ich finde es gut, dass du mit Paul knutschst. Irgendwer muss ihn ja zähmen." Damit ließ er mich wieder los und tätschelte mir verklärt lächelnd die Schulter. Anna verdrehte hinter seinem Rücken mir zugewandt die Augen.

„Ich gebe mein Bestes. Schaffst du es, für einen Moment auf ihn aufzupassen?" Ich deutete auf Paul. „Ich muss mal für kleine Mädchen." Damit stieß ich mich vom Tresen ab und merkte schon beim ersten Schritt, dass das letzte Bier und der Kurze dazu das Fass zum Überlaufen gebracht hatten. Ich schwankte und konnte mich gerade noch fangen, bevor ich Anna umgerempelt hätte.

„Soll ich mitgehen?", fragte sie sofort, aber ich winkte ab.

„Anlaufschwierigkeiten, passt schon." Sehr bemüht ging ich geradeaus auf den Ausgang zu, setzte sehr bemüht einen Fuß vor den anderen und konzentrierte mich auf das leuchtende Notausgangsschild über der Tür. Einfach geradeaus, Kim, sagte ich zu mir selbst. Einfach geradeaus. Ich hatte es fast geschafft, als sich auf einmal ein mir vertrautes Gesicht in den Weg stellte.

„Schon fertig für heute?"


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Hallo Hallo, wer da? :D

Mal sehen, wer die gute Kim da ein...äh...abfängt.

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