Die nächsten Tage, von denen ich so sehr gehofft hatte, sie würden ruhiger werden, waren die Hölle. So optimistisch ich beim Aufwachen auf Pauls verrenktem Oberarm noch war, umso härter traf es mich, als ich wenig später die Nachricht bekam, dass Donnis Darm nicht arbeiten würde und man versuchen müsste, ihn medikamentös anzuschieben. Unter Hochspannung und mit einem dicken Kloß im Hals arbeitete ich in Höchstgeschwindigkeit ein Pferd nach dem anderen ab, bevor ich am frühen Nachmittag alleine in die Klinik fuhr. Bis zum Abend saß ich bei Donni in der Box und konnte einfach nicht nach Hause fahren, obwohl meine Zehen und Finger längst eiskalt waren. Ich heulte nicht, aber ich saß wie festgefroren auf dem Eimer vor ihrer Nase und erwischte mich dabei, wie ich Gott, das Universum oder einfach nur das Schicksal darum bat, dass Donni irgendwann wieder mit mir nach Hause fahren würde. Und tatsächlich- es wurde besser, ihr ging es besser. Es folgten zwei Tage, in denen sie frischer aussah, an denen sie den Kopf hob wenn sie mich sah und einmal sogar Paul um das Leckerli in seiner Hosentasche anbettelte. Zuhause erzählte ich meinen Eltern überglücklich, dass es endlich bergauf ginge und mein Vater versprach, wenn sie endgültig über den Berg sei, würde er mit mir darauf anstoßen. Wir waren alle erleichtert. Als dann früh am nächsten Morgen wieder die Klinik am Telefon war und uns darüber informierte, dass Donni starke Schmerzen und Fieber hatte und sich am Ende herausstellte, dass sie eine Bauchfellentzündung hatte, hatte ich schon keine Worte mehr. Meine Mutter fuhr abends mit mir hin und als ich Donni in ihrer Box sah, fertig mit sich und der Welt, heulte ich eine gefühlte Ewigkeit ton- und regungslos in ihr Fell. Ich wollte sie einschläfern lassen in dem Moment. Ich wollte sie nur nie wieder so sehen müssen. Es war nicht so sehr wie sie aussah- und das war grauenhaft- sondern wie sie zwischendurch fast ins Schwanken geriet, wie sie ihren Kopf kaum hob und immer wieder resigniert ihre Augen schloss. Als ich mich mit verquollenen Augen zu meiner Mutter umdrehte und realisierte, worum ich sie wirklich bitten wollte, zitterte meine Unterlippe so heftig, dass ich kaum sprechen konnte. Sie nickte nur, trat neben mich und schlang einen Arm um meine Hüfte, während sie mit der freien Hand über Donnis Hals strich. „Ich gucke mal, dass wir gleich mit jemandem sprechen können.", flüsterte sie, zog mich fest an ihr Seite, drückte mir einen Kuss auf meine nasse Wange und suchte dann einen zuständigen Tierarzt. Sie blieb ungewohnt geduldig, als wir fast eine Stunde warten mussten, bevor sich jemand blicken ließ. Mühsam riss ich mich von Donni los und trat neben meine Mutter auf die Stallgasse. Ich schuldete es Donni, mir anzuhören, was der Tierarzt zu ihrem Zustand zu sagen hatte- und vielleicht trotzdem dafür einzustehen, was ich für richtig hielt.
Donni wurde an dem Abend nicht eingeschläfert- erst ein Tierarzt, dann noch ein zweiter baten uns darum, doch noch die Nacht abzuwarten und dem Antibiotikum eine Chance zu geben. Am nächsten Morgen fuhr ich mit Paul noch vor der Arbeit zu ihr, weil ich mir selbst ein Bild davon machen wollte, wie sie die Nacht überstanden hatte. Genau das wurde zur Gewohnheit in der folgenden Woche. Es ging bergauf mit Donni- aber auch immer wieder ein kleines Stück bergab. Ich reagierte irgendwann schon fast hysterisch auf den Klingelton meines Handy, weil ich schnell gelernt hatte, dass es temporärer Frieden war, wenn es Donni besser ging. Nach fast drei Wochen erst- ich hatte mittlerweile selbst dauerhaft Magenschmerzen und meine Reithosen hielten kaum noch auf meinen Hüftknochen- brachte ich einen großen Korb mit Süßigkeiten und Obst in die Klinik und fuhr dafür mit Donni nach Hause. Paul, der mich begleitete und dabei half, Donni transportfertig zu machen, sprach dann die Frage aus, auf die ich immer noch keine Antwort hören wollte. Ob Donni denn nochmal im Sport laufen könne. Er hatte einen mitleidigen Blick über meine rappeldürre Erfolgsstute schweifen lassen, an der nicht nur kaum noch ein Gramm Fett, sondern auch kaum noch Muskeln dran waren.
„Weiß nicht.", erwiderte ich ausweichend, deckte Donni für den Transport dicker ein und tröstete mich wenige Augenblicke später damit, dass Donni mich beim Anblick des Anhängers beinahe über den Haufen rannte und Paul scheinbar unbeherrschte Blicke zuwarf, als er unnötig lange für das Einhängen der Stange brauchte. Beim Abladen tat sie ganz groß, begrüßte ihr Zuhause mit einem lauten Wiehern und stand mit hocherhobenem Kopf und geblähten Nüstern, zur Salzsäure erstarrt, vor der Anhängerklappe, und ließ sich nur widerwillig mitschleifen. So sehr es mich sonst auch genervt hätte, ich lachte nur als sie vor Aufregung neben mir her piaffierte und sich auch um keinen Preis der Welt davon abbringen ließ. Sie war zuhause- und offensichtlich hatte sie es nicht erwarten können. Einige Minuten später stand sie dafür sichtlich k.o. in ihrer Box. Wirklich fit war sie nicht, das zeigte auch der Aufbauplan der Klinik eindeutig. Es würden mindestens drei Monate vergehen, bevor an Aufbautraining überhaupt zu denken war und auch, wenn ich das weder aussprach noch den Gedanken wirklich zu Ende denken sollte: Donni war mittlerweile fünfzehn und hätte auch ohne die Kolik mehr Jahre im Sport hinter als vor sich gehabt. Mein unausgesprochenes Ziel war, sie in drei Monaten übers Paddock bocken zu sehen- alles andere war Zugabe. Trotzdem bedankte ich mich im Stillen bei wem oder was auch immer, der meine Bitte, die ich auf dem Eimer sitzend in Donnis Fell geatmet hatte, erhört hatte und mich sie hatte nach Hause holen lassen.
An dem Abend nahm ich Paul zum ersten Mal zum Abendessen und ein anschließendes Glas Wein hoch mit zu meinen Eltern. Ich schaffte es kaum, meine Portion Kartoffelgratin zu essen- mein Magen schmerzte zwischendurch so abartig, dass ich kaum noch gerade sitzen konnte- aber ich war trotzdem zum ersten Mal seit Neujahr glücklich. Ich verzichtete dankend auf den Wein und hielt mich an meinem Wasserglas fest, während ich dankbar beobachtete, wie mein Vater und Paul sich wirklich gut miteinander unterhielten, sie es irgendwann sogar schafften, die Pferdethemen hinter sich zu lassen und ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass Paul gerade wirklich als mein Freund ernstgenommen und akzeptiert wurde. Ich fühlte mich anders in diesem Moment- selbst mehr ernstgenommen, erwachsener, nicht mehr wie das kleine Mädchen- möglicherweise hatte der Stress der letzten Wochen mich auch einfach vorzeitig um zehn Jahre altern lassen. Ich hatte nicht nur keinen Grund, sondern auch keine Energie mehr für Dramen. Am Rande bekam ich mit, wie das Gespräch über Niro auf Pia und ihr Studium kam, darauf, wie zufrieden sie in Berlin war und ich spürte- bei all der Dankbarkeit und gleichzeitigen Erschöpfung- einen leichten Stich. Pia. Ich hatte seit Silvester nichts von ihr gehört- und ich vermisste sie. In den letzten Wochen hatte ich dazu keine Zeit gehabt, aber jetzt wo ich langsam runterkam, wo ich mich irgendwie anders fühlte als zuvor, fehlte sie mir. Mir fehlte ihre unverblümte, klare Art, mit der sie mir in den letzten Monaten mehr als einmal beim Sortieren meines Chaos geholfen hatte. Ich wollte ihr erzählen, was alles an verrücktem Scheiß passiert war, dass sich Silvester auf Amrum anfühlte, als sei es Jahre her, dass es sich anfühlte, als sei die Sache mit der Turnierreiterei eine Erinnerung aus einem anderen Leben und das ich keine Ahnung mehr hatte, wie ich auf die nächsten Monate blicken sollte.
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Seht ihr, ich habe Donni mehr oder weniger heile gelassen ;)
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...