Part 16

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Ich hastete mit langen Schritten Richtung Haustür, als wenige Meter hinter mir ein lauter Pfiff die Luft zerschnitt. Wütend wirbelte ich herum. Es reichte!
„Halt dich da raus! Ich habe gesagt, frage nicht! Es geht dich nichts an!"
Mein Vater kam mit ernster Miene näher. „Was ist denn los?"
„Ich will nicht darüber reden.", sagte ich und merkte, wie mir vor Wut die Tränen kamen. Eilig wischte ich sie weg, funkelte meinen Vater feindselig an und hoffte, er würde einfach respektieren, dass ich nicht reden wollte.

„Okay.", sagte er und bedachte mich mit einem Blick, der mir das Gefühl gab, er würde an meiner geistigen Gesundheit zweifeln. „Wenn du reden willst, dann..."

„Fang nicht an wie Mama!", brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Mir geht es gut, ich brauche keine Hilfe und ich will nicht mit euch reden." Mir war klar, dass meine Beteuerung, mir ginge es gut, nicht sonderlich glaubhaft wirken konnte, während ich vor Wut kochend und immer noch gegen meine Tränen ankämpfend heftig atmend vor ihm stand.

„Geht es wieder um Pia, ist...?"

Schon wieder ihren Namen zu hören, legte in mir irgendeinen Schalter um. Pia- immer wieder Pia. Als ob mein Leben um sie kreiste- was es irgendwie tat. Ich dachte an Paul, daran, wie er ewig den Mund gehalten hatte, damit Pia nicht schlecht aussah, damit er selbst nicht schlecht aussah. Ich dachte an Lukas, der den Mund gehalten hatte, weil es Paul ja zustand selbst mit mir zu sprechen. Und ich dachte an Pia, die in ihrem Leben hatte ankommen wollen, offensichtlich mit viel Abstand zu Paul. Wo war ich? Wer hatte in diesem Drama mal daran gedacht, was das mit mir machte? Vielleicht war es diese Erkenntnis, die mich meine aggressive Haltung aufgeben ließ, vielleicht die tiefe Sorgenfalte auf der Stirn meines Vaters, oder die Erschöpfung nach dem Drama der letzten Tage. „Schon irgendwie.", hörte ich mich selbst sagen und merkte, wie mein Widerstand bröckelte.

„Wollen wir mal reingehen?", fragte mein Vater leise, als ich wirklich zu weinen anfing. Nicht vor Wut, sondern weil ich das Gefühl hatte, jemand habe mal kräftig an meinem Leben gewackelt und kein Stein stünde mehr stabil auf dem anderen. Ich nickte nur und ließ zu, dass er mich an seine Seite zog, einen Arm um meine Schultern legte und schweigend mit mir zum Haus ging.

Während mein Vater Kaffee kochte, saß ich am Küchentisch und erzählte ihm unter Tränen und mit sich überschlagender Stimme, dass Pia sich gemeldet hatte, dass Paul sich mit ihr getroffen hatte und was er mir in der letzten Nacht erzählt hatte.

„Ganz schön viel auf einmal, oder?", bemerkte er, nachdem ich geendet hatte. Mein adrenalingefluteter Körper zitterte und ich hätte beinahe den Kaffee verschüttet, als ich nach der Tasse griff.

„Weiß nicht."

Seufzend lehnte mein Vater sich gegen die Arbeitsplatte und musterte mich. „Was glaubst du? Ich meine, weißt du, warum Paul nichts gesagt hat?"

Ich schüttelte den Kopf und schluchzte erneut. „Keine Ahnung." Und vielleicht wollte ich es gerade auch nicht hören.

„Oh, Kim." Er löste sich von der Arbeitsplatte, kam zu mir und ging vor mir in die Hocke. „Lass ihn das erklären, vielleicht verstehst du ihn dann."

„Und wenn er wieder nur die Hälfte erzählt?" Ich griff nach den Taschentüchern, die auf dem Tisch lagen und versuchte, meine laufende Nase zu putzen.

„Und wenn nicht, hm?"

„Wie soll ich ihm denn glauben?", brachte ich mühsam hervor, ehe ich aufgab, meinen Kopf auf seine Schulter legte und minutenlang weinte.

„Shhh..." Beruhigend strich mein Vater mir über die Schultern. „Das wird sich finden, Kim."

In diesem Moment glaubte ich nicht daran, dass sich irgendetwas finden würde. Ich vergrub einfach nur mein Gesicht in seinem Pullover, der so vertraut nach Zuhause roch, und wartete, bis ich endlich wieder Luft holen konnte.

AuftauchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt