Die Tage bei Pia hatten sich angefühlt wie Kurzurlaub. Als ich am späten, verregneten Sonntagnachmittag aus dem RE stieg, mir meinen Rucksack über die Schulter warf und auf dem Parkplatz, der nach nassem Asphalt roch, auf Lukas' Auto zuging, erwischte ich mich dabei, wie ich tief einatmete, wie ich es genoss, die enge Jeans auf meiner Haut zu spüren und von den Spitzen meiner Haare im Nacken gekitzelt zu werden. Mein Handy steckte in der Gesäßtasche meiner Jeans und ich wartete- ohne Neid, ohne auch nur den Anflug eines schlechten Gefühls auf eine Nachricht von Paul, der sich melden wollte, wenn die Pferde aufgeladen und alle auf dem Heimweg waren. Pia hatte mir eine Packung Marshmallows aufgedrängt und ich hatte Paul noch vom Zug aus versprochen, ihm die zur Begrüßung in heißem Kakao aufzulösen. Beschwingt riss ich die Autotür auf.
„Moin moin."
„Moin, du neunordisches Nordlicht." Lukas hob den Kopf, steckte sein Handy in die Autotür und sah mir dabei zu, wie ich meinen Rucksack umständlich auf den Rücksitz warf. „Das Auto hat einen Kofferraum, weißt du."
„Na und?" Strahlend wandte ich mich von meinem Rucksack ab, ließ mich auf den Beifahrersitz fallen und sah ihn an. „Du und Felix habt den ganzen Tag auf dem Sofa gepennt, was?"
„Nicht ganz." Er lächelte, ließ das Auto an und parkte aus. Er trug eine graue Jogginghose, einen dunkelblauen Kapuzenpulli und- und das verriet mir, dass er den ganzen Tag nicht aus dem Haus gegangen war- seine Brille, mit der er ansatzweise so nerdig aussah, wie er eigentlich war.
„Sondern?"
„Felix war vormittags im Stall und ist erst Nachmittags zum Gammeln dazugekommen."
„Und du?" Ich grinste über beide Ohren und Lukas schmunzelte belustigt.
„Ich habe wirklich den ganzen Tag auf dem Sofa gepennt.", sagte er zufrieden. „Dein Sonntag kann nicht halb so gut gewesen sein."
Lukas fragte mich auf dem Heimweg über das Wochenende aus und ich erzählte das erste, was mir in den Sinn kam: mein Abflug von Niro. Schon auf der Zugfahrt war mir das Thema nicht aus dem Kopf gegangen. Pia hatte nicht unrecht gehabt, als sie gesagt hatte, es würde schwer werden, ihn gut zu verkaufen. Nicht, dass sie Probleme haben würde ihn loszuwerden, aber ihn an jemanden zu verkaufen, der seinen Macken- oder Marotten, wie Pia sie ja liebevoll nannte- in den Griff bekäme, das könnte echt zum Problem werden. Für talentierte Ponyreiter, die ihre Ponys ja oft gar nicht so lange behielten, war er einfach viel zu sehr aus dem Training. Lukas hörte sich an, was ich über Niro und Pia erzählte und zuckte bedauernd mit den Schultern.
„Muss schwer sein für Pia.", sagte er und schaute geradeaus auf die Straße. Er sprach von sich aus nicht weiter und das musste er auch nicht, damit ich verstand, dass er das gerade auf einer viel tieferen Ebene nachvollziehen konnte als ich. „Ihre Mutter hat den damals noch für sie gekauft, oder?"
Langsam nickte ich. „Der war damals schon viel zu teuer für Pia und ihre Mutter, obwohl sie extra ein junges Pony gekauft haben. Pias Mutter wollte echt alles möglich machen für sie."
Lukas schluckte schwer und bog auf die lange Einfahrt ab, die zum Hof hochführte. „Übel.", sagte er knapp. „Echt übel."
„Ich hatte eine Idee,...", setzte ich zögerlich an. „aber ich weiß ich, ob das nicht irgendwie daneben ist."
Wir hatten gemeinsam eine große Runde über den Hof gedreht, waren erst durch den Stall und dann sogar hoch auf die hintersten Weideflächen gelaufen, wo die Jungpferde die Sommermonate verbrachten. Dort hatten wir am Tor gelehnt und diskutiert, ob man wohl vorschlagen sollte, Niro für Felix zu uns zu holen. Lukas hatte in den letzten Tagen mitbekommen, dass meine Mutter meinen Vater gebeten hatte, doch mal die Augen nach einem Dressurpony offen zu halten, aber er war sich nicht sicher, auf wie viel Gegenliebe ihr Vorschlag gestoßen war.
„Julian hat deutlich gesagt, dass er keine Ponys sammeln will.", sagte Lukas und strich einem braunen Jährling über die Nase, der neugierig zum Tor gekommen war und guckte, was wir am Zaun wollten.
„Das sagt er immer und wenn das richtige Pferd dann da ist, sagt er nie nein."
Lukas grinste. „Deswegen habe ich wohl zwei Pferde, von denen ich eins ab und an reite, Felix zwei Ponys und du..."
„Mir gehört nur Donni.", sagte ich beinahe triumphierend. Auf dem Papier war selbst das nicht meine. „Außerdem hat Felix seine Ponys nur von uns geerbt. Lina und Lugar sind beide nicht mehr taufrisch und laufen echt ein bisschen am Limit."
„Die laufen am Limit?" Lukas lachte. „Ist klar, Kim. Nur, weil er mit denen nicht zur deutschen Meisterschaft fahren wird, laufen die noch lange nicht am Limit. So kannst du das Julian nicht verkaufen."
„Aber wenn du Mama erzählst, dass...
„Wenn Niro nur halb so außer Form ist, wie du sagst, dann wird sie da nie einwilligen..." So ging es ewig hin und her und vermutlich hätten wir noch länger weiterdiskutiert, wenn Lukas mir nicht irgendwann den Ellbogen in die Rippen gestupst und verschwörerisch „Gucke mal, wer da kommt." geraunt hätte. Mein Blick wandte sich von den Jährlingen ab, fiel auf den langen Gang zwischen den Wiesen. Paul schlenderte gemütlich auf uns zu, schon in Jeans, in dem dunkelgrünen, weichen Pullover, in dem ich schon geschlafen hatte- es kribbelte süß irgendwo zwischen meinen Rippen und gleichzeitig in meinem Nacken, das dunkelblonde Haar noch feucht vom Duschen. Er sah auf eine zufriedene Weise geschafft aus und ich spürte das alberne Verlangen, sofort mit ihm den versprochenen Marshmallow-Kakao zu trinken.
„Hey, ihr zwei.", sagte er ruhig, schlug in Lukas ausgestreckte Hand ein und blieb direkt vor mir stehen. „Na du.", murmelte er, zog mich zufrieden lächelnd an sich und küsste mich viel weniger flüchtig als es mir sonst vor Lukas recht gewesen wäre, aber nicht annähernd lang genug. Ich spürte seine warmen Lippen noch auf meinen, als er mich losließ und ganz selbstverständlich seine Hand auf meinen unteren Rücken rutschen ließ. Eine ziemlich laute Stimme in meinen Gedanken forderte unterdessen eine sofortige Fortsetzung. „Wie war's mit Pia?"
„Sie hat gesagt, dass ich fett werde.", beklagte ich mich und zog eine Schnute.
Paul grinste breit und schüttelte den Kopf. „Ich schimpfe mit ihr."
„Und sie will ihr Pony verkaufen.", warf Lukas ein und schob dabei die Nüstern von dem jungen Braunen weg, der spielerisch über den Zaun geschnappt hatte. „Wir erörtern gerade die Möglichkeiten zur Ponyrettung. Steigst du ein?"
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Mission Ponyrettung ist angelaufen.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...