No. 99

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Jenny richtete sich wieder auf die Beine und liess ihre Hände unter dem fliessenden Wasser laufen. Doch der Ring wollte immer noch nicht ab. Sie rieb sich mit Seife ein, das schäumende Hände zeigte. Nichts geschah! Jenny atmete tief ein und aus, liess ihr Gesicht in den Spiegel schauen. Im Hintergrund sah sie Paul, wie er sie anschaute, als sie sich zum ersten Mal gegenüberstanden und hörte seine schöne Stimme. „Meine Pretty woman, wenn du lächelst, leuchten deine Augen und dass du viel mehr lächeln solltest, weil ich das so sehr an dir mag!" Schnaubend stiess Jenny Luft aus ihrer Nase, griff nach dem Seifenspender aus Keramik und im nächsten Moment knallte sie es gegen den Spiegel, der daraufhin in Scherben zersplitterte. Pauls Gesicht verschwand, Jenny brach in ein Weinen heraus. Im Esszimmer hörten Alex und Viola ein krachendes Geräusch, abrupt stiess Alex von dem Stuhl ab und rannte ins Bad. Doch die Tür war von innen verschlossen. „Jenny? Was ist los? Geht es dir gut?" Alex klopfte energisch an die Tür. Viola stand hinter ihrem Sohn und hatte zittrige Hände. „Heiliger Gott!", betete sie leise und hielt in ihrer Hand ein weisses Taschentuch, das sie stets bei sich hatte. „Jenny?", rief Alex nun lauter und lauschte an der Tür. „Lass mich in Ruhe!", gab Jenny zur Antwort und das Gerumpelte an der Türklinge hörte auf. „Mach auf!", bat Alex, doch Jenny dachte nicht daran. Sie ging zu Knien und sammelte die Scherben auf, dabei schnitt sie sich in den Finger. Schnell steckte sie den Finger in den Mund und suchte nach einem Pflaster. Da sie keinen finden konnte, nahm sie kurzerhand einen Verband aus der Notfallkiste und wickelte sie um den linken Finger. Jenny fühlte sich im Bad eingeengt, das ihre Kehle wie zugeschnürt zuband und flüchtete aus dem Bad. Sie wollte nur noch weg hier, weg von dem alten Leben! Jenny rauschte an Alex und Viola vorbei, zog sich ihre Jacke an und schnappte die Autoschlüssel aus der Kommode. „Es müssen Pflastern gekauft werden!", meinte Jenny noch, als sie die Haustür hinter sich zuwarf. Alex und Viola starrten sie ungläubig an und zuckten bei dem lauten Türknall zusammen. „Was war das denn?" Vorsichtig schaute Viola ins Bad und kümmerte sich um die Scherben, während Alex Jenny hinterher lief. Er konnte draussen nur noch die roten Rücklichter ihres grauen BMWs sehen, das gerade vor ihm davonbrauste.

Paul liess seiner Schwester den Vortritt in das Elternhaus und als die beiden die gute Stube betrat, duftete der Geruch aus der Küche in deren Nase. „Hm, wie köstlich!", schnupperte Paul und sah seiner Mutter in der Küche über die Schultern, wie sie das Mittagessen machte und dabei das Gemüse schnippelte. „Wo ist Emilia?", fragte Lisa, als sie auch in die Küche kam. „Sie ist in ihrem Zimmer und wollte Vokabeln lernen", meinte Helga und lächelte müde. „Alles ok, Mama?" „Ja, es wird schon", seufzte die Mutter und Lisa wollte kurz nach ihrer Tochter sehen. Paul nickte ihr zu, als Lisa ihm wortlos zu bedeuten gab, dass die Mutter Zuspruch brauchte. Lisa ging aus der Küche und man konnte durch das Küchenfenster sehen, wie sie auf ihr Haus zuging. „Mama?" „Ja, Paul?" „Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?" Helga hörte auf, das Gemüse zu schneiden und schniefte. „Ich weiss nicht, was ich machen soll? Ich meine...", Paul nahm sie in die Armen, „...wenn dein Papa uns alle nicht mehr erkennt?" „Ich weiss", sagte Paul schluckend, denn er wusste nicht, welche richtigen Worten gesagt werden sollte in so einem emotionalen Zustand. „Mama, ich bin jetzt da und werde euch unterstützen, so gut ich kann. Ich habt mir damals auch immer unterstützt und das möchte ich euch zurückgeben." Helga war stolz, dass sie einen wohlerzogenen Sohn hatte und war ihm dankbar für seine Worte. „Danke, Paul!" „Wir Renners meistern das schon!" Paul drückte seine Mama nochmal in seinen starken Armen, vor Erleichterung hörte man Helgas wohliges Seufzen. „Das Gleiche hatte Lisa auch gesagt." „Siehst du, Mama?" Paul freute sich, dass seinen Zuspruch ihr geholfen hatte und schon zauberte Helga ein kleines Lächeln auf ihrem Mund. „Ich gehe mal nach Papa schauen. In der Garage?" Denn Paul wusste, dass sein Vater eine Leidenschaft für die Shelby Cobra hatte und vermutete seinen Vater in der Garage werkeln. „Ja, mach das, Junge", lächelte Helga und wandte sich dem Gemüse wieder zu.

Es klingelte Sturm an der Haustür der Dorns. „Was soll...", die Stimme brach ab, als Martin Dorn in der Tür auf seine weinende Tochter antraf. „Jenny? Was ist los?" Martin nahm Jenny in die Armen, diese begann laut zu schluchzen. „Komm doch erst mal rein!" In dem grossen Wohnzimmer liess sich Jenny auf die Couch nieder. Ihr Vater nahm neben ihr Platz und streichelte ihren Kopf. „Was ist passiert?" Nun fiel Martins Blick auf den Verband, das etwas rötlich aussah. „Ist es schlimm? Lass mich das mal ansehen!" Der Vater griff nach dem Zeigefinger und löste den Verband vorsichtig. „Tja, ich bin zwar kein Arzt, aber es sieht nicht so schlimm aus." Kurz darauf machte er sich auf dem Weg ins Bad im ersten Stock und holte Desinfektionszeug und neues Verband. Jennys Finger wurde ordentlich verarztet und ruhte im sauberen Verband aus und sah schmaler aus als vorher. Sie hatte den verletzten Finger übertrieben im ganzen Verband eingewickelt. „Papa, ich weiss nicht, was ich machen soll?" „Versuche ruhig zu bleiben und erzähle mir, was passiert ist", ermunterte Martin Jenny. Sie weinte immer noch und zeigte ihm daraufhin den Ehering. „Ich habe geheiratet", ängstlich sah sie ihren Vater an. Er wird keine Freudensprünge machen, da war sie sich ganz sicher! „Deswegen weinst du? Du wolltest Alex doch immer heiraten?!" „Papa, nicht Alex, sondern Paul!"    

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt