No. 145

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Es herrschte immer noch Hektik im inneren Bereich der OP. Türen wurden auf und zu geschlagen. Assistenten halfen sich gegenseitig, den Kittel von hinten zubinden und den Mundschutz aufzusetzen. Ein Notfallwagen mit Medikamenten und Maschinen wurden durch den Flur gerollt. Nach einigen Minuten war absolute Stille. „Wir sollten Jennys Vater anrufen", meinte Semir und die Krüger fragte vorsichtig, was denn mit Alex sei. „Ich bin mir nicht sicher, ob Jenny ihn bei sich haben möchte. Überlassen wir die Entscheidung ihr, ok?" Semir sah Kim fragend an und sie teilte ihm ihre Meinung. „Na, gut. Dann werde ich mal die Eltern von Renner ausfindig machen." „Kleiner Tipp, such nach der Werkstatt Renner", kürzte Semir die Suche nach der Telefonnummer von Pauls Eltern. Erleichtert seufzte Kim und sagte „Danke." Nun musste Frau Krüger noch Pauls Eltern mitteilen, dass ihr Sohn im Krankenhaus lag. Helga, Pauls Mutter, war total geschockt und wurde kreidebleich im Gesicht, als sie die Nachricht erfuhr. Klaus war zu dem Zeitpunkt normal und hatte richtig Angst um seinen Sohn. In dem Zustand wollte keiner fahren, so erklärte sich Lisa bereit. Emilia war in der Schule. Die Krüger erklärte den Eltern, dass sich Paul gerade im OP befand und es noch einige Zeit dauern würde, bis man mehr wusste. So entschied sich Lisa, nach der Schule Emilia mitzunehmen und den direkten Weg zur Uniklinik aufzusuchen. Mittlerweile war es spät nachmittags. Man hörte auf dem stillen Flur schnellen Schritten hören, Pauls Eltern mit Lisa und Emilia waren soeben eingetroffen. Man kannte sich noch nicht, bis auf Lisa und Semir. Nachdem alle vorgestellt wurden und erklärt bekam, was passiert war, vergingen wieder Minuten. Lisa versuchte ihrer Tochter zu erklären, wie es um ihren geliebten Onkel stand und dass sie jetzt tapfer sein musste. Lisa brauchte all ihre Kraft für die Eltern, für die Tochter und für den Bruder. Stillschweigend nahmen alle Leute Platz auf den Wartestühlen. Die Uhr an der Wand tickte immer weiter, bis es abends wurde. Stöhnend stand Semir von dem Wartestuhl auf und massierte seinen Kreuz. „Ich muss mich mal bewegen, sonst roste ich noch ein", brachte er als witzigen Satz rüber. Klaus meldete sich freiwillig, Semir Gesellschaft zu leisten. Die Krüger lachte kurz auf, schlug vor, an einem der Kaffeeautomaten Kaffee für die Erwachsene und für Emilia heisse Schokolade zu holen. Helga wollte ihr unterstützen. Semir nickte dankend und begann im langen Flur, das so unendlich erschien, hin und her zu laufen. Klaus neben ihm. Ab und zu erzählte er was aus Pauls Jugendzeit. „Mama, wie lange dauert das denn noch?", fragte Emilia, die langsam keine Lust mehr hatte, im Krankenhaus auszuharren. „Ich weiss es nicht, meine Kleine." Lisa nahm Emilia in die Umarmung und sie dachte in stillen Gedanken noch, wie sie heute Morgen mit Paul noch telefoniert hatte, und er sie als weltbeste Schwester liebhatte. In der Hoffnung, es würde ein Wunder geschehen und der Arzt würde jeden Moment aus dem OP-Saal herauskommen und das ewigen Warten beenden, indem bei der OP alles gut verlaufen war. Es war nur ein Wunschgedanken von Semir. Nichts geschah. Der langen Flur war wie immer, still und wie leergefegt. Nur die Lichter an der Decke warfen hellen Strahlen herab. „Hier, bitte", sagte die Krüger mit einem kurzen Mundwickel nach oben gezogen und Semir nahm ihr dankend den Pappbecher ab. „Vielleicht wird es noch mehr als nur einen Kaffee?" „Keine Ahnung, wie lange Renner noch im OP sein wird." Helga servierte die restlichen Getränke an ihre Familie. Ein Klingelton war zu hören. Erschrocken griff Semir in die Innentasche seiner Jacke, nahm das Handy hervor und sah Andreas Name auf dem Display. Seine Frau Andrea. Das Abendessen. Das hatte Semir komplett vergessen. Kein Wunder nach dem Drama heute. „Entschuldigung", meinte er zur Krüger, drehte sich um und ging einigen Schritten voraus. „Ja, mein Schatz", grüsste Semir und nippte am Pappbecher. „Ja, wo bleibst du denn? Wir warten mit dem Abendessen auf dich", fragte Andrea besorgt und erfuhr daraufhin, dass Paul notoperiert werden musste und sie zeigte Verständnis. „Du, ich drücke die Daumen, dass dein Partner das übersteht!" „Danke, ich möchte ja nicht wieder einen neuen Partner suchen müssen", seufzte Semir und sah kurz zur Krüger, die gedankenverloren an die paar Bilder im Flur hingen, anstarrte. „Sobald es hier Entwarnung gibt, komme ich heim." „Lass dir Zeit, wir verstehen das schon." Semir war Andrea sehr dankbar, dass sie ihm stets den Rücken freihielt, und das war das Besondere an ihr, weshalb er sie so liebte und sie sogar zum zweiten Mal heiratete. „Ich liebe dich, mein Schatz!", sagte Semir noch, bevor das Gespräch beendet wurde. „Ich dich auch, vergiss das bitte nicht!", flüsterte Andrea und bei Semir wurde sein Herz warm.

Derweil war Dr. Sellmann wieder bei Jenny. Von dem Beruhigungsmittel konnte Jenny ein paar Stunden Schlaf gewinnen und wachte auf, als sie Schritten im Behandlungsraum hörte. „Ich bin es nur", meinte die Ärztin, die von einer Krankenschwester begleitet wurde. Sie entschuldigte sich, dass sie einen Notfall rein bekommen hatte und warf einen Blick auf die Papiere mit den Blutwerten. „Wissen Sie was Neues über meinen Mann?", fragte Jenny besorgt. Sie war zu schwach und müde. „Ihren Mann? Nein, leider nicht. Aber ich könnte die Schwester schicken. Wie heisst ihr Mann?" „Paul Renner." Während die Schwester das Zimmer verliess, nahm die Ärztin einen rollenden Stuhl und machte das Ultraschallgerät startklar. „Mir ist bei Ihren Blutwerten was aufgefallen. Haben Sie vielleicht Schmerzen im Unterleib durch den Unfall?" Jenny war irritiert von der Frage der Ärztin. Allmählich hatte der Schock nach dem Unfall ein wenig abgeklungen. „Ja, habe ich", gab Jenny zu.

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt