No. 151

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Ein kalter Schauer lief ihren Rücken runter. „Was macht Paul?", fragte Jenny noch einmal und nun waren die Eltern irritiert. „Weisst du das denn nicht?" Helga sah Jenny an und diese hatte wirklich keine Ahnung. „Mama", versuchte Lisa es schonend beizubringen, „in letzter Zeit ist vieles passiert. Paul wollte es ihr noch sagen, aber es kam immer was dazwischen". Lisa wusste nicht, was sie den Eltern erzählen sollte. Noch mehr Verwirrungen? Ihr wäre es lieber gewesen, Paul hätte den Eltern die ganze Geschichte erzählt. Lisa kennt die Geschichte zwischen Paul und mir? Und in dem Moment wendete Jenny ihren Blick von Lisa ab. Gott, ich habe Paul nicht mal ausreden lassen. Immer wieder warf ich ihm vor, was für einen geschmacklosen Brief er geschrieben hatte. Und da war auch noch Charlotte! Die Sache mit dem Sex war noch nicht so lange her. Die Scheidung, auf der ich so beharrte. Habe ich Paul nun wirklich Unrecht getan? Alle Blicke waren auf Jenny gerichtet. Sie stützte die Stirn mit ihrer Hand und versteckte ihre Tränen. Semir räusperte sich kurz. „Jenny, das stimmt. Paul hat mir die Baustelle gezeigt." Binnen von Sekunden war von der familiären und warme Atomsphäre nichts mehr übrig. Fassungslos sah Jenny ihren Kollegen an. Sie wusste, dass Semir die Ehrlichkeit in Person war. Und ausserdem verbrachte er auch viel Zeit mit seinem Partner. Jenny hatte feuchte Augen, wischte die Tränen aus dem Gesicht und stammelte:"Ich glaube,...ich habe einen Fehler gemacht. Einen grossen Fehler. Und ich dachte, ich interessiere ihm nicht...". Jenny rang nach Luft und hielte sich ihre Hände an der Rollstuhllehne fest. Ihr blieb das Herz fast stehen, so schuldig fühlte sie sich. Der Streit. Der Unfall. Pauls Kampf um sein Leben. Helga klappte die Kinnladen leicht geöffnet. „Aber Kind, was denn für einen Fehler? Können wir dir irgendwie helfen?" Jenny schüttelte energisch den Kopf, ihre Haare wirbelten ein wenig durcheinander. Sie streifte sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich muss da was klären", meinte sie nur und konnte Helga nicht unter die Augen sehen. Der Schock sass noch tief in ihre Knochen, so tröstete Helga Jenny liebevoll. „Wir sind für dich da, hörst du? Du kannst jederzeit auf uns zählen." Nun konnte Jenny die Tränen nicht zurückhalten und brach in ein Weinen heraus. Lisa ahnte, weswegen Jenny sich so elendig fühlte. Sie hatte Mitleid mit ihr und würde noch mit ihr darüber sprechen. „Hoffentlich renkt sich das wieder mit Paul ein", dachte Lisa, und hatte die Hoffnung auf eine Versöhnung nicht aufgegeben. Ein junges Mädchen in Begleitung einer Freundin erschien in der Cafeteria. „Hallo, Mama!" Lisa dreht sich auf dem Stuhl um und sah ihre Tochter. „Emilia! Schön, dass du da bist!" Lisa stand auf und umarmte ihre Tochter. „Hallo, Franzi", nun wand sich Lisa dem anderen Mädchen zu. „Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich Emilia hierher begleitet habe? Emilia wollte nicht alleine sein." „Das ist schon in Ordnung. Weiss deine Mutter, dass du hier bist?", wollte Lisa von Franzi wissen und diese nickte. Emilia wurde von allen begrüsst, ausser Jenny. Jenny riss sich wieder zusammen und schenkte dem Mädchen ein Lächeln, was ihr schwer fiel. „Wie geht es Paul?" Emilia wollte wissen, wie es um ihren Onkel stand und Lisa klärte sie kurz auf. „Darf ich zu ihm?" Die Mutter konnte in die Augen der Tochter sehen, wie viel es ihr am Herzen lag, Paul zu sehen. Emilia liebte ihn über alles. Paul war wie ein Vater für sie. „Ich gehe mit dir zusammen. Aber nur kurz. Paul braucht viel Ruhe." „Kinder, möchtet ihr was trinken?" Klaus war aufgestanden und wollte Getränke holen. „Limo!" Auf dem Tisch standen noch die Muffins, und beherzigt wollten die Mädchen nach ihnen greifen, als Lisa sie vorwarnte. „Sie schmecken aber furchtbar!" Emilia liess die Finger davon, während Franzi eine Muffin zu sich nahm. „Emilia", die Mutter schob ihre Tochter am Rücken zu Jenny, „das ist Jenny. Die Frau von Paul." „Hallo", sagte Jenny zaghaft, bemüht um Fassung und streckte ihre Hand aus. Freudig gab Emilia ihr ebenfalls die Hand. „Hallo, ich bin Emilia." „Unser einziges Enkelkind", sagte Helga, nichts ahnend, wie sich Jenny im darauffolgenden Moment fühlte. Und eins ist verloren. Die beiden wären gute Grosseltern gewesen.

Abends kam Jennys Vater, Martin Dorn, in die Klinik und brachte ihr Wechselklamotten mit. „Hallo, Liebes!", betrat der Vater das Krankenzimmer, als er Jenny im Bett, mit dem Rücken zur Tür, vorfand. Die ganze Zeit hatte Jenny sich Vorwürfe gemacht, wie es so weit kommen konnte. Und da war auch noch Pauls Familie. Von der Stille im Zimmer wirbelte sie erschrocken um und liess einen kurzen Schrei aus, als sie sich am Unterleib hielt. Martin stellte die Tasche auf einem Stuhl ab und nahm Jenny in die Armen. „Es tut mir leid, dass ich nicht früher kommen konnte." Martin liess sich neben Jenny nieder. „Wie geht es dir?" Es tat Jenny gut, sich in die Umarmung ihres Vaters fallen zu lassen. „Ach, Papa", fing Jenny zu schluchzen an, „ich bin schuld daran, dass Paul hier im Koma liegt. Und unser Kind...". Jenny vergrub ihr Gesicht enger am Oberkörper ihres Vaters. „Was? Wovon redest du?" Martin sah seine Tochter besorgt an. Behutsam streichelte der Vater Jenny am Rücken und nach einer Weile hatte das Wimmern aufgehört und Jenny vertraute sich ihrem Vater den Streit mit Paul an und war ihm dankbar, dass er ihr keine Vorwürfe machte. „Aber dass ich unser Kind verloren habe, das verzeihe ich mir nicht." „Jenny, geh nicht so hart mit dir um. Das ist traurig, dass es so passiert ist." Martin nahm Jenny noch enger in die Umarmung. „Sei für Paul da, er wird dich brauchen. Und gemeinsam werdet ihr das Schicksal überwinden. Ich weiss, es klingt hart, aber ihr werdet es schaffen, wenn eure Liebe stark ist." Vor Schreck zuckte Jenny zusammen. „Ob unsere Liebe dafür ausreicht? Ich habe Paul die Scheidungsunterlagen an den Kopf geworfen. Oh Gott!"

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt