No. 125

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Den restlichen Tag verlief auf dem Revier ruhig, die Akten waren nicht mehr so hoch auf den Schreibtischen gestapelt. Zwischendurch trafen sich Pauls und Jennys Blicke durch die Glasscheibe. Paul spürte, dass es seiner Frau nicht gut ging. Er wollte auch Klarheit haben, wer der Mann war, der sie abholte und sie heiraten wollte. Unbemerkt tippte Paul eine Nachricht in sein Smartphone, kurze Zeit später erreichte die Nachricht Jenny, die erschrocken von dem Klingelton hochfuhr. Jenny war von ihrer Arbeit gedanklich abweisend. „Was soll denn schon sein?", schrieb Jenny unter der Nachricht von Paul, als er sie fragte, ob alles in Ordnung sei. Als Jenny in die Küche ging, folgte Paul sie mit dem Vorhaben, er würde zwei Tasse Kaffee für Semir und sich holen. „Super!", meinte Semir nur, ohne von den Akten aufzusehen. Doch den Moment, mit Jenny alleine zu sein, verpasste Paul. Jenny flitzte aus der Küche heraus. Er hatte noch gesehen, wie Jenny ihre Tränen wegwischte. „Jenny", rief Paul noch leise zärtlich hinter ihr her, doch sie hörte ihn nicht. In der Mittagspause rief Jenny ihren Vater an, um ihn mitzuteilen, dass sie vorläufig zu ihm zurückziehen möchte. Die Zeit verging wie im Fluge. Semir und Paul kamen gut voran und als endlich der Feierabend ertönte, sprangen die beiden Herren freudig vom Stuhl auf. „Ich freue mich auf den Feierabendbier", sagte Semir, als er mit Paul an Susanne vorbeiging. „Ha", lachte Paul. Susanne sah den beiden noch schmunzelnd hinterher, wie sie die PAST verliessen. „Wie gut die beiden sich verstehen", wandte Susanne an Jenny, die gerade aus der Küche kam. „Wen?" Jenny war mit den Gedanken woanders. „Ich meine, Semir und Paul verstehen sich gut." „Ach", zuckte Jenny gelangweilt mit den Schultern und räumte ihren Schreibtisch auf. „Sag mal, ist alles in Ordnung?" Susanne hatte das Gefühl, dass es Jenny gar nicht gut ging. „Nein", gab Jenny als kurze Antwort. Sie redete auch nicht mehr viel und noch schlimmer, sie lachte fast gar nicht. „Du weisst, wenn du reden möchtest, mein Ohr steht dir offen", bot Susanne an und streichelte ihre Wange. „Hast du vielleicht jetzt Zeit?", fragte Jenny und überraschte Susanne mit der Frage. „Ich müsste nur was kurz erledigen, dann sind meine Ohren für dich da, ok?", zeigte Susanne mit dem Handy in der Hand und zog sich in eine ruhige Ecke zu, um einen wichtigen Telefonat mit der Tagesmutter von Friedrich zu führen. In der Zwischenzeit spielte Jenny am Ring, den sie seit der Hochzeit nicht mehr abbekam. „Es ist wie ein Fluch. Es will irgendwie nicht raus. Ist es ein Zeichen, dass ich um meine Ehe kämpfen soll?" Mehrmals bat Paul sie um ein Gespräch, jedes Mal blockte Jenny ab oder es gab Störungen dazwischen. Kurz teilte Jenny Alex per Nachricht mit, dass sie an dem Abend nicht wie geplant ihren Koffer abholen wird. Nun stand Susanne vor Jenny und nahm sie unter ihrem Arm. „Ich kenne ein gutes Lokal", schlug Susanne vor, Jenny nickte und gemeinsam schlenderten sie aus der PAST hinaus.

Der letzte Meter schaffte es der BMW noch, als Semir den Wagen auf den Hof der Familie Renner vorfuhr. „Wenigstens haben wir es bis hier geschafft und müssen ihn nicht abschleppen", sagte Paul, als er aus seinem Mercedes ausstieg und auf Semir zukam. Beim Aussteigen massierte Semir sein Kreuz. „Rückenschmerzen?", fragte Paul und Semir nickte. Lisa kam aus der Werkstatt und umarmte ihren Bruder. „Hey!", sagten die beiden Geschwister und zu Semir gewandt meinte Lisa:"Hallo, was hat denn der BMW?" „Ich dachte, das würden Sie mir sagen", lächelte Semir. „Lassen Sie das Sie, ich bin Lisa." „Semir." „Gut, dann schaue ich mir das an", meinte Lisa und machte sich an der Motorhaube zu schaffen. „Bier?", fragte Paul Semir. „Ich dachte, du fragst nicht." „Haha!" Paul ging ins Haus und holte aus dem Kühlschrank seiner Schwester zwei Flaschen Bier und kam wieder raus auf den Hof. Lisa sah sich immer noch unter der Motorhaube nach der möglichen Ursache, während Paul und Semir in die Werkstatthalle gingen und dort auf Klaus trafen, der an der Cobra schraubte. „Hi, Papa!", rief Paul. Sein Vater richtete sich von der Cobra auf. „Hallo, mein Junge! Und wer ist das?" „Papa, darf ich dir meinen neuen Partner vorstellen? Das ist Semir, und das ist mein Vater Klaus", stellte Paul die beiden Männer vor. Die Herren gaben sich die Hand. „Wieso Partner?", leicht verwirrt schaute Klaus Paul an. „Papa, ich arbeite bei der Autobahnpolizei und das ist mein Partner." „Aber du bist doch in Amerika, oder?" Semir verstand Bahnhof, er wusste nicht so recht, was das für eine Unterhaltung zwischen Vater und Sohn war. „Ja, das ist richtig. Ich bin zurück gekommen und habe hier eine Stelle gefunden", gab sich Paul grösste Mühe, alles zu wiederholen. „Aha", meinte Klaus nur. Neben ihm stand ein Servicewagen mit Werkzeug und verschiedene Sprühdosen. Klaus schnappte sich die Füllkanne, die mit Öl gefüllt war und stiess an die Bierflasche, die Semir in seiner Hand hielt. „Prost!", sagte Klaus und redete von der Cobra. Schnell rettete Paul die Situation und tauschte die Füllkanne mit seiner Bierflasche aus. Klaus nahm einen Schluck aus der Bierflasche und im Gerede über die Cobra überreichte der Vater dem Sohn die Bierflasche zurück, ohne zu ahnen, was eben vorgefallen war. Semir war immer noch verwirrt über die Situation und erfuhr später auf der Baustelle von Paul die Wahrheit, wie es um seinen Vater stand. „Angehende Demenzkrankheit? Das ist hart!" Vorsichtig schaute Semir auf der Baustelle um, welchen Weg er einschlug, denn die Baumaterialien machten sich weit und breit im Erdgeschoss. „Deswegen bin ich aus Amerika zurückgekommen, um meiner Familie beizustehen. Daher das Eigenheim", seufzte Paul, und war froh, dass Semir nun auch Bescheid wusste. „Weiss Jenny das?", fragte Semir und Paul verneinte.

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt