No. 101

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Gegen Abend kehrte Jenny zurück in die Parterrewohnung und Alex versuchte sie ein wenig aufzumuntern. „Wie geht es dir?" „Wie soll es mir denn schon gehen?", schnauzte sie Alex an und dieser blieb die Ruhe selbst, was ihm schwer fiel. Aber geschickt konnte er es und nahm einen zweiten Versuch. „Möchtest du vielleicht eine Tasse Tee? Meine Mutter hat gerade frischen Tee aufgesetzt." Die Wirkung klappte und Jenny, die immer noch im Flur stand und ihre Jacke und Schuhe auszog, nickte. „Na, dann komm", Alex streckte seinen Arm nach Jenny aus, diese liess sich von ihm in die Küche führen. Viola bereitete gerade die Tassen mit dem Tee zu und überreichte Jenny die Tasse. Kurz streichelte sie sanft an Jennys Wange und verschwand mit der Tasse dampfenden Tee in das Wohnzimmer, um die beiden in Ruhe reden zu lassen. Jennys abweisende Gedanken hinderten sie daran, dass sie noch nicht bemerkte, dass Viola in der Wohnung einiges umgeändert hatte. „Gehst du morgen arbeiten?" Alex konnte die Stille in der Küche nicht aushalten. „Klar, sonst fällt mir die Decke auf den Kopf!" „Sicher?" Nun stellte Jenny die Tasse mit einem lauten Knall auf die Arbeitsfläche. „Alex!" „Ich meine ja nur..." Alex kam vorsichtig ihr nahe und mitfühlend sagte er:"Sweety, wenn es dir nicht gut geht, ich bleibe gerne bei dir." „Danke, das braucht es nicht!" Jenny fühlte sich nicht wohl in Alex Nähe und vergrösserte den Abstand zwischen den beiden. Sie nahm die Tasse mit dem Tee und wollte ins Schlafzimmer gehen. „Ich gehe jetzt ins Bett!" „Jetzt schon? Es ist noch nicht mal acht Uhr abends", sprach Alex ihr hinterher, doch die Tür zum Schlafzimmer war bereits ins Schloss gefallen. Viola kam ihrem Sohn entgegen und sprach:"Lass sie! Es ist vielleicht besser, wenn sie wieder zur Arbeit geht. Dann kommt sie auf anderen Gedanken." Alex schaute seiner Mutter nach, die neuen Tee in die leere Tasse einschenkte und rieb sich an der Schläfe. Der Koffer stand immer noch unausgepackt im Schlafzimmer. Jenny öffnete den Koffer und wühlte in ihren Klamotten. Ihr Blick fiel auf das blaue Polizeihemd, ganz langsam holte sie es heraus und hielt es vor ihrer Nase. „Paul!", dachte sie, als sie seinen Duft einatmete. Schon hatte sie die Bilder der Stripshow von Paul vor ihren Augen. „Das war mein schönster Geburtstag!" Schnell zog sie sich um und holte aus der Kommode frische Schlafanzüge, streifte sie über sich und kroch ins Bett. Sie deckte sich dick ein und hielt Pauls Hemd fest in ihrer Umarmung. Leise begann Jenny zu weinen und dachte sehnsüchtig an Paul, seinem schönsten Lächeln. Ihr Herz schmerzte, sie vermisste seine warmen Hände. Seinen tollen Body, an dem sie sich gekuschelt hatte. Tränen liefen ihren Wangen herunter. Wie in Trance berührte sie den Ring und spürte in ihrem Herzen, dass der Ring sie ein wenig tröstete. Voller Traurigkeit versuchte sie die Augen zu schliessen und schlief in die unruhige Nacht hinein.

Lisa sah sich die Bauskizzen an und fand sie auf dem ersten Anblick sehr schön ausgedacht. „Von dir?", fragte sie Paul, „ich wusste gar nicht, dass du eine gute Vorstellung hast." Er verneinte und schwärmte von seiner Jenny. „Meine Frau hat es gezeichnet." Das Wort seine Frau war für Lisa noch ungewohnt und sie lächelte. „Jenny muss was Besonderes sein." „Ja", nickte Paul und dachte wieder wehmütig an sie. Nichtsahnend dass Jenny auch in Köln befand, konnte er zu dem Zeitpunkt nicht wissen, dennoch spürte er, dass Jenny ihm näher war als gedacht. „Ich gehe morgen zur Bank und lasse den Scheck einlösen, den ich beim Pokern gewonnen habe." „Und dann?" Paul schaute über Lisas Schultern, die die Skizzen zum wiederholten Male anschaute. „Das Geld ist für die Baustelle. Für den Anfang reicht es erstmal." Eine Weile herrschte stille Ruhe im Garten, nicht mal ein Grillenzirpen war zu hören. In Paul kam der nächste Entschluss auf und sah seine Schwester bittend an. „Kannst du sie deinem Architekten geben? Ich würde es gerne nach diesem Plan umbauen lassen", sagte Paul auf einmal, „für Jenny."

Am nächsten Morgen fand Jenny ein kleines Frühstück nur für zwei Personen gedeckt im Esszimmer. Viola hatte versprochen, sich zurückzuziehen und Alex und Jenny die Privatsphäre zu geben, die sie nötig hatten. Alex hatte sich Mühe gegeben, um Jenny den Start in die Arbeitswoche bei der Autobahnpolizei zu erleichtern. „Guten Morgen", sagte er, als er gerade den Kaffee servierte. „Guten Morgen", grüsste Jenny zurück und sah ein Geschenk auf dem Tisch liegen. „Das ist dein verspätetes Geburtstagsgeschenk. „Ich packe es später aus", meinte Jenny mit einem Blick auf die Uhr. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr und ausserdem hatte sie nicht so einen grossen Appetit. Sie nahm einen Croissant und schmierte diese mit Marmelade und trank den Kaffee. Alex gab ihr einen Kuss an ihrem Haaransatz, er wollte sie nicht mit Küssen überrumpeln, sondern es langsam angehen. Zu seiner Überraschung liess Jenny es zu und kniff kurz daraufhin die Augen zusammen. „Oh, der ist aber stark", schluckte sie. „Ich glaube, ich habe mich verzählt mit dem Kaffeepulver. Entschuldige, bitte! Möchtest du was anderes trinken?" fragte Alex, griff nach einem Brötchen und hinterliess Krümmel auf dem Tisch. Jenny musterte Alex an und in ihr kam ein schlechtes Gewissen auf. „Er kümmert sich rührend um mich und ich wende mich von ihm ab." Jenny trank die Tasse fast leer. „Danke, dafür ist keine Zeit mehr. Ich muss los, sonst komme ich zu spät. Du kennst mich doch, ich hasse Unpünktlichkeit!" Sie liess Alex am Tisch zurück und stürmte aus der Tür hinaus. Erst im Auto fiel ihr ein, was sie eben zu Alex gesagt hatte. „Hatte ich das wirklich gesagt? Dass ich Unpünktlichkeit hasse? Ich bin wirklich unverbesserlich!" Sie merkte, dass das alte Leben langsam wieder die Macht über Jennys Verstand nahm. Mit den Händen schlug sie auf das Lenkrad und gab Gas...    

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt