No. 171

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Erneut versuchte Paul Jenny anzurufen. Sein Handy, das durch den Aufprall beim Unfall vor einigen Wochen, leicht beschädigt wurde, spinnte ein wenig rum. Als es am anderen Ende klingelte, nahm niemand ab. Frustriert gab Paul auf. Doch kurz darauf klingelte es und als Paul ranging, atmete er erleichtert auf, als Lisa ihm mitteilte, dass Papa gefunden wurde. „Wo war er denn?", wollte Paul wissen und seine Schwester erzählte ihm kurz die Geschichte. „Papa hatte sich in einem Lokal auf dem Weg zur Toilette verirrt. Statt zur Toilette betrat er einen privaten Raum im Keller, da nach draussen führte. Zum Glück hatte einer der Kellner bemerkt, dass mit Papa etwas nicht stimmte. Ich bin rechtzeitig eingetroffen, sonst hätte man die Polizei geholt." „Oh je", stöhnte Paul, „und wie geht es Papa jetzt?" „Gut soweit, er schaut jetzt seine Lieblingssendung." Die Geschwister schmunzelten und sagten gleichzeitig „Tatort". Paul überbrachte Lisa noch die Neuigkeit, dass er einen Tag vorher als geplant entlassen werden konnte. „Das ist ja toll! Ich würde dich gerne abholen, aber die Arbeit hier war in der letzten Zeit zu oft liegen geblieben", seufzte Lisa. „Vielleicht kann Mama dich abholen?" „Lass mal, ich frage Semir. Der macht es bestimmt gerne." „Ok, wir sehen uns dann morgen. Du, Paul?" „Ja?" „Hast du unterschrieben?", fragte Lisa vorsichtig. „Nein", war Pauls Stimme leise, aber dennoch hörbar.

Jenny entdeckte auf ihrem Handy, dass Paul sie angerufen hatte. Freude stieg in ihr auf, sie war immer noch happy über den geglückten Kauf des Strandhauses und malte sich in ihren Gedanken aus, wie Paul auf ihre Überraschung reagieren würde. Bevor sie Paul anrufen und seine Stimme hören wollte, erledigte sie zuerst einen wichtigen Anruf mit ihrem Vater. Martin war überrascht, wie gut seine Tochter den Kauf abgewickelt hatte und gab dem Makler Recht, bis zu dem Termin beim Notar noch in Kalifornien zu bleiben. Eine Weile unterhielten sie sich noch über das Wichtigste und anschliessend über Paul, der wieder aufgewacht war. „Wenn du noch Geld brauchst, lass es mich wissen. Ich überweise es dir dann", sagte Martin noch bevor das Gespräch zu Ende ging. „Danke, Papa! Eine kleine Summe wäre nicht schlecht." „Gut, das werde ich dann morgen erledigen." „Und Papa, bitte sage Paul nichts davon!" „Klar, habe schon verstanden!" Jenny holte sich aus der Küche einen Glas Weisswein. Heute war sie mal einkaufen und füllte den Kühlschrank auf. Mit dem Glas in der Hand ging Jenny barfuss auf die Terrasse und nahm auf der Hollywoodschaukel Platz. Genüsslich nippte sie am Glas und schaute dabei aufs Meer, das ruhig vor sich hin rauschte. Der Wind war an dem sehr späten Abend recht frisch und blies kräftig. Schon begann Jenny leicht zu frösteln und zog die Decke, die an der Armlehne der Schaukel lag und kuschelte sich mit ihrem Oberkörper darin. Es war Jenny etwas mulmig im Magen, wenn sie gleich Paul anrufen würde. Sie vermisste ihn und wollte seine Stimme so gerne hören. Mit zittriger Hand scrollte sie auf dem Smartphone nach Pauls Namen und drückte die grüne Anruftaste. Ihr Herz pochte immer heftiger werdend. „Was ist, wenn Paul nicht mit mir reden möchte? Ist er enttäuscht, dass ich in dem Moment, in dem er aufwachte, nicht bei ihm war? Welche Frau lässt ihren Mann in solchen Momenten alleine? Ich wäre auch enttäuscht, wenn es umgekehrt wäre...". Diese viele Fragen schossen durch Jennys Gedanken, während es am anderen Ende der Leitung immer noch pausenlos klingelte. Langsam bereitete sich Sorgen um Paul auf Jennys Stirn. „Was, wenn ihm was passiert wäre? Lisa würde mich sowieso sofort informieren", als sie plötzlich aufschrak und ein sanftes, aber leises „Jenny?" hörte. Jennys Herz machte einen Salto und sie hatte Freudentränen in den Augen, als sie nun Pauls Stimme leibhaftig an ihrem Ohr hörte. „Paul? Wie schön, deine Stimme zu hören!" Auch Paul hatte mit den Tränen zu kämpfen. „Meine Pretty woman", sagte Paul wie in Trance und war kurz darauf wieder in der Realität zurück. Eine Weile herrschte Stille bis Paul den Mund aufmachte. „Jenny, bist du noch da?" Paul war sich sicher, dass er ein Wimmern hörte. „Weinst du, Jenny?" „Es ist die Freude, deine Stimme zu hören. Es wäre für mich unvorstellbar gewesen, deine Stimme und vor allem dein Lachen nie mehr zu hören." Wie Jenny musste auch Paul schwer schlucken und in seinem Kopf spuckte Alex Drohung wieder herum. „Wie geht es dir?", wollte Paul wissen und schob seine Gedanken beiseite. „Danke, gut. Es waren harte Tage, die ich überstanden habe", sagte Jenny zögerlich und Paul versetzte sich in Jennys Lage, wie sie um ihr Kind bangte. Durch den verschuldeten Unfall hätte Paul beinahe ein kleines Menschenlebens auf dem Gewissen gehabt. Dennoch traute sich Paul nicht, Jenny danach zu fragen. „Es tut mir leid", durchbrach Jenny erneut die Stille zwischen den beiden, „das war blöd von mir, dass wir mitten im Einsatz gestritten haben." „Mir auch!", kam es ehrlich aus dem Herzen von Paul, „ich hätte es als Polizist besser wissen müssen, als ich uns in Gefahr brachte." „Paul?" „Ja?" „Und, wie geht es dir?" Kurz hörte Jenny Pauls Lachen. „Mir ist langweilig ohne Action. Ich darf erst in zwei Wochen zurück zur Cobra. Strikte Anweisung vom Arzt wegen der schwierigen OP am Kopf." Das war der Schock in Jennys Leben, als sie Paul da so leblos sah, nachdem er aus dem OP kam. An Schläuchen gebunden und sein Herz nur so vor sich hin schlug. Keiner wusste, wann Paul wieder aufwachte. „Ja, das war keine schöne Zeit. Dich so zu sehen, wie du nur im Bett lagst ohne Reaktion, das tat meinem Herzen weh", schniefte Jenny. „Aber tief in meinem Inneren habe ich deine Wärme und Stimme gehört, wie du mit mir gesprochen hattest", vertraute sich Paul Jenny an. 

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt