No. 178

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„Jenny?" Paul war der Erste, der die Sprache wiedergefunden hatte und sich ruckartig von Charlotte löste. Sie drohte das Gleichgewicht fast zu verlieren, balancierte und hielt sich am Ohrensessel fest. Zusammen waren sie im Dunkeln aneinander geraten und hielten sich kichernd fest, bis das Licht der Stehlampe anging. Jenny sass auf der Couch, müde vom Jetlag gezeichnet und starrte die beiden an. „Hallo", sagte sie kühl und stand langsam auf. Erschrocken, was sie da vor sich sah, stockte ihr den Atem. Charlotte brachte kein Wort heraus, sie wusste ganz genau, was Jenny von ihr hielt. Paul blieb wie angewurzelt stehen. „Was machst du denn hier? Wie bist du denn hereingekommen?" Jenny verschränkte die Arme und stiess einen lauten „Tsss" aus. „Deine Schwester war nett und hat mich hereingelassen." Jenny sah von Paul zu Charlotte und dann wieder zu Paul. „Ich Idiot, was war das für eine dämliche Frage? Klar wohnt Lisa hier im Haus!", dachte sich Paul. „Kaum bin ich weg, vergnügst du dich wieder mit Charlotte!" „Ähm, wie, was? Nein, nein, nicht das, was du denkst!", verteidigte Paul seine Unschuld. Jenny stemmte ihre Hände in die Taille und sah Paul böse an. Ihre Augen waren traurig und voller Enttäuschung. „Wie konnte ich so blöd sein, und dir vertrauen? Mal wieder? Ich wollte dir die Chance geben, damit du mir deine Version erzählst, wie ihr beide überhaupt im Bett landen konnten!" Jennys laute Stimme hallte durch das ganze Wohnzimmer, Charlotte zuckte zusammen und Paul beruhigte Jenny. „Psst, meine Schwester und Emilia schlafen oben!" Tränen rannten an Jennys Wangen empor. Ihr Herz pochte schnell. Das Bild von Charlotte und Paul kam ihr wieder vor den Augen, wie sie Sex miteinander hatten. Sie spürte eine leichte Übelkeit und sah, dass Paul die Flasche Mineralwasser in der Hand hielt. Sie schnappte sich die Flasche und spülte den bitteren Geschmack, das sich langsam auf der Zunge bemerkbar machte, mit ein paar Schlucken Wasser runter. „Ich wollte uns eine Chance geben. Auch ich habe mit der Scheidung überreagiert." Jenny wirbelte einmal herum, fuchtelte mit den Armen. „Ich war wirklich jeden Tag bei dir im Krankenhaus, habe dir immer wieder zugeredet, aufzuwachen! Dann musste ich dringend weg, weil die Sache keine Zeit verlieren durfte. Das war mich wichtig, dieses Angelegenheit, verstehst du? Ich habe es für uns getan!" Jennys Stimme schlug sich in Verzweiflung um, Paul wollte sie in den Armen nehmen. Doch Jenny stiess ihn von sich weg. „Jenny,..." sagte Paul mit beruhigender Stimme und nahm erneut Anlauf, seine Frau in die Armen zu schliessen. Diesmal liess Jenny es zu und schluchzte heftiger. Charlotte, die sich hinter den Ohrensessel stellte, sah das ganze Drama mit an und ihr schlechtes Gewissen meldete sich. Das hatte sie nicht so gewollt, eine Ehe zu zerstören! Sie wagte einen Schritt vor, als sie plötzlich sagte:"Paul, ich muss dir da was sagen...", weiter kam sie nicht, denn Paul ignorierte Charlotte und Jenny sich aus Pauls Umarmung löste und schniefte. Ihre Augen funkelten Charlotte böse an, als sie Pauls Frage hörte. „Wie stellst du dir das denn vor? Alex wird immer einen Teil von dir bleiben. Wo bleibe ich dann?" Stille. Pauls Worte verblüffte Jenny. Anscheinend verlief das Gespräch in eine andere Richtung und drohte das Missverständnis grösser zu machen. „Wie geht es dann mit uns weiter?", stellte Paul die nächste Frage und hatte selbst mit den Tränen zu kämpfen. „Langsam habe ich auch keine Kraft mehr, für alles zu kämpfen." „Äh..? Wieso? Was hat Alex denn damit zu tun?" Als das Wort Alex fiel, horchte Charlotte auf. „Mist! Was weiss denn Paul über ihn?" Jenny und Paul sahen sich an. „Na, weil ihr eine Familie werdet! Und ich lasse mir nicht von Alex bedrohen!" Nun hatte Paul es endlich aus seinem Mund gespuckt. „Das wüsste ich aber!", so Jenny aufgebracht. „Was redest du denn da?" „Nicht?", Paul war wirklich über Jennys Antwort verwirrt und blickte sie ernsthaft an. „Würdest du mich bitte mal aufklären, ich verstehe gerade nur Bahnhof!" „Verdammt!", fuhr Paul mit der Hand durch seine Haare und stiess Luft raus. Er war fast in die Falle von Alex getappt. „Du bist schwanger?" Vor Schock stand Charlotte der Kinnlade offen. Da platzte Jenny der Kragen. „Halt dich da bitte raus!" Die Diskussion zwischen Jenny und Paul wurde immer hitziger. „Das ist doch lächerlich! Wer erzählt denn sowas?" Jenny lachte höhnisch auf. Paul war kurz vorm Explodieren. „Lächerlich!? Sag das mal Alex, der ist krankhaft da oben in der Birne!" Paul tippte mit dem Finger an seiner Stirn. „Wieso Alex? Moment mal, willst du mir damit sagen, dass Alex das Gerücht verbreitet hat?" Jetzt verstand Jenny gar nichts mehr und wurde immer wütender. „Ja, er war an dem einen Tag bei mir im Krankenhaus und hatte mir klar und deutlich gesagt, dass du ein Baby erwartest und ich die Familie nicht zerstören soll." „Das ist jetzt nicht wahr!" Tränen kullerten wieder an Jennys Wangen. „Fast hätte ich den Scheidungsantrag unterschrieben. Ich war so kurz davor! Ich wollte dir die Entscheidung abnehmen, dass du nicht zwischen Familie und mir entscheiden musstest. Jenny, glaube mir, ich wollte das Beste für dich!" Auch bei Paul stiegen Tränen in die Augen. Summer merkte, dass sie in dem Gespräch zwischen den beiden überflüssig vorkam und zog sich in die Küche zurück, als plötzlich im Flur das Licht anging und Lisa die Treppe heruntergelaufen kam. „Was ist hier los, verdammt noch mal!" Das wurde Jenny alles zuviel. „Liebe heisst auch loslassen", flüsterte Paul leise, als er die immer stärker weinende Jenny in seinen Armen nahm, im nächsten Augenblick rannte Jenny zur Haustür. Sie wollte nur noch raus hier. Raus aus dem Lügennest. Paul rannte ihr hinterher und hielt sie am Ärmel zurück. „Sagt Alex die Wahrheit?" Sein Gesichtsausdruck blieb kalt, kein Mundwickel bewegte sich. Er wollte es aus ihrem Munde hören. „Nein!" Kurz drehte Jenny ihren Kopf weg und sprach leise:„Ich habe unser Baby bei dem Unfall verloren, Paul!"

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt