No. 149

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Semir konnte sie gerade noch an der Schulter festhalten. Mit einem lauten „Ah" fasste sich Jenny an ihrem Bauch und liess sich von Semir stöhnend zurück in den Rollstuhl setzen. „Überanstrenge dich nicht!", mahnte Semir, doch Jenny ignorierte ihn. „Doktor, ist was mit meinem Mann?", man konnte Jenny ängstliche Stimme hören. „Wer sind Sie?", fragte Dr. Heilmann und Brentano neben ihm stehend, klärte ihn kurz auf. „Aha", sagte Dr. Heilmann, „wie ich den beiden schon erklärt habe", er deutete mit den Händen auf Helga und Klaus, „ist der Zustand Ihres Mannes noch kritisch." Jenny senkte traurig ihren Kopf. Sie hatte gehofft, endlich mal zur Abwechslung gute Nachrichten zu hören. „Sie sind Jenny?" Die Stimme von Pauls Mutter klang so freundlich, als ob sie keiner Fliege leidtun konnte. Meine Schwiegereltern also. „Ja, ich bin Jenny", streckte sie vorsichtig die Hand aus und Helga legte ihre Hand auf die ihre und drückte sie fest. Wohl etwas zu fest. „Endlich lernen wir Pauls Frau kennen." Jenny sah Helga wohl zu lange an, denn durch die Mutter sah Jenny eine Ähnlichkeit mit Paul. Das Lächeln hatte Paul definitiv von der Mutter. Auch Klaus war hocherfreut, obwohl das Krankenhaus nicht der ideale Ort war, um einen besonderen Menschen kennenzulernen. „Sie sieht aber hübsch aus, sogar noch besser als gestern", sprach Klaus seiner Frau ins Ohr. „Ja, das stimmt." Von dieser Unterhaltung bekam Jenny nichts mit. Höflich streckte Jenny ebenfalls die Hand nach Klaus aus. „Sie möchten sicher zu Paul?" Klaus sah durch die Glasscheibe ins Intensivzimmer und winkte Lisa zu sich. „Ja", bat Jenny und kurz darauf ging eine Tür auf. Im grünen Kittel gekleidet, kam Lisa heraus. Auch ihr Gesicht hatte eine besondere Ähnlichkeit mit Paul. Für den Moment vergass Jenny, wo sie sich gerade befand. Vergessen war der Unfall. Vergessen war der Streit. Vergessen waren die Schmerzen, die sie hatte. Sie sah in Trance nur noch Pauls schönstes Lächeln, das sie schon vermisste. „Habe ich was an den Zähnen?", fragte Lisa mit einem kurzen Lachen. Jenny schrak aus der Trance auf. „Ähm, nein...ich dachte...", verlegen stotterte Jenny herum, bis die die richtigen Worte fand. „Das Lächeln erinnert mich an Paul." „Ja, das ist es. Hi, ich bin Lisa." Jenny spürte eine warme Berührung auf ihrer Handfläche. Lisa hatte die gleiche Augenfarbe wie Paul, das war Jenny sofort aufgefallen. „Und ich bin Jenny." „Ja, Paul hat mir so viel von dir erzählt. Er kam gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus." Lisa streckte ihre Hände an den Hüften und musste dabei lächeln. Paul hat ihr von mir erzählt? Auch die intimsten Details? Oh Gott! Lisa bemerkte, dass Jennys Gesichtsausdruck einen leichten Schock bekam. „Keine Sorge, über Sex redet mein Bruder nicht", flüsterte Lisa Jenny nah ans Ohr. Erleichtert atmete Jenny auf. Lisa scheint eine nette Frau zu sein. Ob ich mich mit ihr gut verstehen werde? Ach, da war noch das Thema Scheidung, weswegen wir uns stritten. Was für ein hässliches Wort. Vorsichtig reckte Jenny ihren Kopf in die Höhe, um durch das Fenster zu Paul sehen zu können. Viel konnte sie nicht sehen. Sie erschrak, als sie Semirs Frage hörte. „Soll ich dich reinschieben? Ich möchte Paul Hallo sagen." Eifrig nickte Jenny und liess sich von Lisa helfen, einen grünen Schutzkittel umzulegen. Semir tat dies gleich und schob den Rollstuhl mitsamt Jenny durch die Tür zu Paul. Zögerlich schob Semir den Rollstuhl hinein. Der Anblick war nicht gerade das Schönste im Zimmer. Paul hing an Schläuchen, Kabeln und Monitoren. Im Fernsehen hatte man das schon mal gesehen. Aber das hier war die Realität und die fühlte sich so anders an. Weil Paul Jennys Mann und Semirs Partner bei der Cobra war. „Hallo, Partner!", sprach Semir leise und unsicher. „Oh Gott, Paul", wimmerte Jenny. Ihr Herz wurde schwerer und sie versuchte, ruhig zu atmen. Das Bild, wie Paul da im Bett lag, so leblos. Kein Lachen, kein Witz. Das war nicht der Paul, den Jenny kannte. Für Jenny war Paul ein lebensfroher Mensch, der das Meer liebte. Der Sunnyboy auf dem Surfbrett, mit der coolen Ausstrahlung, voller Adrenalin und die perfekte Welle. Der wuschelige Blondschopf mit dem schönsten Lächeln und die zwei Muttermalen auf dem Gesicht. Es zeriss ihr das Herz und die Bilder des Unfalls kamen wieder vor ihren Augen. Semir schob Jenny näher an das Bett heran. Pauls Brust hob und senkte sich in einem langsamen, stetigen Rhythmus, und das regelmässige Piepen der Überwachungsgeräte hatte eine beruhigende Wirkung. Jennys Blicke blieben an einem Monitor hängen, auf dem eine konstante Linie läuft, die mit jedem Herzschlag einen Hüpfer verzeichnete. Das war der sichtbare Beweis, dass Paul lebte. Jenny legte die Hand an ihrem Bauch und schloss kurz die Augen. Sie war dankbar, dass Paul noch am Leben war. Aber dass sie das gemeinsame Baby verloren hatte, das stimmte sie traurig. Sie würde es sich nie verzeihen, wenn sie Pauls Leben auf dem Gewissen hatte. Es reichte schon, dass einer beim Unfall das Leben verloren hatte. „Partner, komm, wach auf! Ich brauche dich auf meinem Beifahrersitz." Trotz trauriger Stimme, versuchte Semir freudig zu klingen und es fiel ihm schwer, mit einem Menschen zu reden, der gar nicht auf seine Rede einging. „Ich warte draussen, ok?" Semir wollte Jenny den alleinigen Moment mit Paul geben und tätschelte ihre Schultern, ehe er sich umdrehte und zur Tür hinausging. Jenny wusste nicht, was sie machen sollte. „Paul, es tut mir wahnsinnig leid!" Es war mehr ein kleines Flüstern. Sie schaute auf seinen Body, wie Paul atmete. Seine Hand lag auf dem Bettlaken, umzingelt von Schläuchen. Sie wollte so gerne Pauls Hand an ihr Herz drücken, damit er spürte, dass sie da war. Und dass ihr der Streit leid tat. Tränen kullerten an ihren Wangen. Aber Jenny traute sich nicht. Sie wollte ihn nicht noch mehr verletzen, als er es schon war. „Wach auf, Paul! Vielleicht verzeihst du mir das nicht, aber ich brauche dich..."

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt