No. 159

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Da Jenny einen grandiosen Einfall hatte, hatte sie im nächsten Moment ein schlechtes Gewissen, ihren Mann alleine zurück zu lassen. Musste das den ausgerechnet jetzt sein? Eine Weile sah Jenny Paul beim Schlafen zu. Ihr schlechtes Gewissen wurde dadurch nicht besser, aber sie fühlte innerlich, dass es die beste Entscheidung war. „Paul?", wisperte sie leise. Doch keine Reaktion. „Glaube mir, ich würde gerne bei dir bleiben und dir in die Augen sehen, wenn du aufwachst. Aber es gibt eine Sache, das muss ich so schnell wie möglich vor Ort klären. Mein Gefühl sagt, du wirst dich darüber sehr freuen. Ich komme so schnell wie ich kann, zurück und dann will ich nur noch mit dir optimistisch in die Zukunft blicken." Jennys Nase berührte Pauls Wange ganz sanft. Ihre Augen hielt sie geschlossen, als sie zum wiederholten Male ihre Nase an seiner Wange gleiten liess. „Es tut mir leid, dass wir uns so gestritten haben. Ich komme mir so bescheuert vor. Das bin ich nicht, ich würde gerne wieder die Jenny sein, die du in Kalifornien kennengelernt hast." Als Jenny die Augen wieder aufschlug, kullerte eine Träne an ihrer Wange empor. Sie tastete nach Pauls Hand und strich mit ihrem Daumen über seinen Handrücken. „Ich werde für unser Glück kämpfen!" Bevor Jenny sich aufrichtete, verteilte sie noch sanfte Küsschen an Pauls Gesichtshälfte. Nachdem sie ihre Schuhe angezogen hatte, stand sie wehmütig vor ihm. Sie beugte sich leicht nach vorne und gab ihm einen langen Kuss auf seinen Lippen. „Ich liebe dich!" Ganz langsam löste sie sich von ihm. Ihr Herz fühlte sich schwer an. Ist es richtig, was ich da jetzt mache? Er braucht mich doch jetzt. Aber der Traum hat mir ein Zeichen gegeben und ich will um unser Glück kämpfen! Mit ihrer Hand durchfuhr sie vorsichtig durch Pauls wuschelige Haare, die sich so weich anfühlten. „Ich komme wieder, hörst du?" Noch einmal drückte sie die Hand von Paul. In tiefen Gedanken merkte Jenny nicht, dass Paul versuchte, mit aller Kraft in ihre Hand zu drücken. Die Herzschläge am Monitor zeigten eine leicht erhöhte Wellenlinie. Ihre Augenlider waren geschlossen und mit ihrer Lippen tastete sie nach der von Paul und es fiel Jenny sichtlich schwer, sich von ihm loszulassen. Schliesslich rang sie sich durch, und hatte mit den Tränen zu kämpfen, als sie langsam rückwärts auf die Tür zuging. Den Monitor sah sie nicht mehr an, als die Tür hinter ihr schloss.

„Was möchtest du?" Martin Dorn klang am Telefon sehr überrascht. Er konnte von Glück reden, dass er sich auf seinem Chefsessel befand. Jenny hatte ihren Vater von unterwegs angerufen und ihm von ihrem Traum erzählt und was sie jetzt vorhatte. „Du hast richtig verstanden. Was ist jetzt? Hilfst du mir?", fragte Jenny. Eine Weile herrschte Stille im Handy. „Bitte, Papa! Es wäre mir wichtig, sonst würde ich dich nicht um Hilfe bitten." Martin seufzte und wollte Jenny in dieser Sache unterstützen. „Ok, ich versuche es. Schicke mir bitte die wichtigste Details und ich kontaktiere meinen Anwalt." „Super! Du bist der beste Papa!" „Jenny, bitte überstürze nichts! Das ist eine sehr grosse Sache." „Ja, ich weiss! Aber ich tue es aus Liebe!" Jennys Herz klopfte vor Freude. Sie hatte gehofft, dass ihr Vater sie unterstützen würde. „Jenny?" Martin wartete die Antwort seiner Tochter ab. „Ja? Sorry, ich war in Gedanken." „Dachte ich es mir. Versprichst du mir, dass du vor der Unterschrift nochmal mit mir per Facetime machst?" „Ach, Papa...ja, ich verspreche es dir. Hoffentlich schaffe ich das noch rechtzeitig!" „Viel Glück und melde dich, wenn du angekommen bist. Ich werde jetzt mit dem Anwalt die Sache besprechen. Wahnsinnig, was meine Tochter da vorhat!" Vater und Tochter lachten. „Ja, ich kann es selbst noch nicht glauben. Ich bin so aufgeregt. Aber andererseits habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich Paul in dem Zustand alleine lasse." Martin hörte den verzweifelten Klang in der Stimme seiner Tochter und versuchte ihr Mut zuzureden. „Ich bin mir sicher, dass Paul das verstehen wird." „Danke, Papa! Halt mich auf dem Laufenden!"

In ihrem alten Kinderzimmer holte Jenny den Koffer, der noch nicht vollständig ausgepackt war, hervor und liess ihn auf dem Bett plumpsen. Jenny sortierte einen Grossteil aus, warf es achtlos auf das Bett, packte das Notwendigste für den kleinen Spontanurlaub ein. So aufgeregt war Jenny in ihrem ganzen Leben nicht. Vielleicht das letzte Mal, als sie mit Paul in der Wedding Chapel vor dem Reverend stand und ihr Herz schneller schlagen liess. Denn dort vor dem Reverend hatte Paul ihr eine schöne Liebeserklärung gemacht. In dem ganzen Chaos kam der gefälschte Brief zum Vorschein und Pauls dunkelblauer Polizeihemd, den er zu ihrem Geburtstag bei der Stripshow anhatte. Das Hemd nahm sie zu sich und roch mit geschlossenen Augen darin Pauls Duft. Die Erinnerung an ihren Geburtstag kam zurück und sie stellte fest, dass es der beste Geburtstag ihres Lebens war. Das durfte auf dieser wichtigen Reise nicht fehlen. Kurzentschlossen verstaute sie das Hemd in den Koffer und schloss diese. Den Brief steckte sie in die hintere Hosentasche und zückte ihr Smartphone heraus. Sie wählte die Nummer eines Taxiunternehmens an. Mit dem Koffer in Schlepptau rannte sie die Treppenstufen nach unten in den Flur. Dort überprüfte sie den Inhalt der kleinen Handtasche. „Pass, Geld, Handy,...", zählte Jenny auf und ihr fiel ein paar Sachen ein. „Ich brauche noch...", schon hatte Jenny wieder das Smartphone am Ohr und telefonierte mit Lisa. Auch diese war sehr überrascht von ihrem Vorhaben, und versprach zuhause nach den wichtigen Dokumenten zu suchen und sie umgehend mitzuteilen. Es klingelte an der Tür. Voller Freude öffnete Jenny die Haustür schwungvoll und ihr Lachen erstarb im nächsten Moment. „Viola?"

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt