No. 152

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Nachdem ihr Vater wieder gegangen war und Jenny alleine in dem Krankenzimmer zurückblieb, starrte sie gedankenverloren aus dem Fenster. Es dämmerte bereits draussen und durch die schwachen Strahlen einer Strassenlaterne drang etwas Licht in das dunkle Krankenzimmer. Das Zimmer erschien Jenny zu gross, obwohl neben ihrem Bett noch zwei weitere Betten standen, die allerdings leer waren. In Jennys Gedanken spielten sich noch mal die Worte wie Scheidung, Streit, Unfall, der Verlust des ungeborenes Kindes und Pauls OP. Während sie ihr Smartphone aus der Schublade des Nachttisches herausholte, es entsperrte und nach dem einzige Bild von Paul und ihr in Kalifornien scrollte. Paul. Wie glücklich ich aussah. Sie starrte das Bild auf dem Handy immer noch an, wo die beiden so strahlten. Wehmut überkam ihr. Sie vermisste Pauls Lächeln. Ohne ihn fühlte sich das Leben so leer an, genauso wie die Stille in dem Zimmer. Jenny wünschte sich, sie könnte die Zeit zurückdrehen, dann wäre Paul nicht hier im Krankenhaus. Was mache ich hier? An Schlaf war gar nicht zu denken. Zu sehr wühlte Jenny das Thema Haus auf. Kurz entschlossen kämpfte Jenny beim Aufstehen aus dem Bett, schlüpfte in die Flip Flops, die ihr Vater mitbrachte und ging leicht mit ihrem Oberkörper vorgebeugt zur Tür. Die Tür wurde leise geöffnet, Jenny beobachtete den Flur, der wie leergefegt war und verliess das Zimmer. Auf Zehenspitzen schlich sie sich an das Schwesternzimmer vorbei, in der sich zwei Schwestern für die Nachtschicht vorbereiteten. Eine Schwester war vertieft in das Sortieren der Tabletten für den nächsten Tag und die andere brühte frischen Kaffee auf. Der Duft der frischen Bohnen stieg Jenny in die Nase. Kaffee könnte ich gebrauchen, wenn ich die ganze Nacht bei Paul bleiben möchte. Statt den Aufzug zu nehmen, ging Jenny die Treppenstufen im Treppenhaus eine Etage höher zur Intensivstation. Auch dort schmuggelte sie sich unsichtbar hinein bis sie endlich vor der Tür zu Pauls Zimmer stand. Der Türgriff klickte leise beim Öffnen, Jenny schlich in das Zimmer hinein und stand angewurzelt an der Tür. Obwohl sie heute Morgen schon hier war, füllte es sich fremd an. Ihre Blicke wanderten zwischen Paul und den vielen Schläuchen hin und her. Die Maschinen piepten in regelmässigen Abständen und der Monitor zeigte die konstante Linie des Herzschlags. An Pauls Kopf befand sich ein dicker Verband. Sein Gesicht war blass. Es fühlte sich so an, als ob Jenny in einer Leichenhalle stand und um ihre Liebe trauerte. „Paul", flüsterte Jenny so leise und streifte sich von der Tür ab, ging mit langsamen Schritten auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, zögerte sie nicht lange und legte vorsichtig ihre Hand unter die von Paul. „Ich bin bei dir, hörst du?" Keine Reaktion. Stille. Nur das Heben und Senken von Pauls Brust bewegte sich in den Raum. Langsam löste sich Jennys Hand von Paul. Mit zusammengebissenen Zähnen hob Jenny leicht einen Stuhl näher an das Bett zu Paul. Ihr Unterleib zuckte vor Schmerzen und mit zusammengekniffenen Augen stöhnte Jenny vor Anstrengung. „Es tut mir leid, wie es passiert ist. Das ist meine Schuld", sprach Jenny leise, in der Hoffnung, Paul möge erwachen und ihr sagen, dass sie sich keine Vorwürfe machen solle. Doch Paul hatte seine Augen immer noch geschlossen. Unbeirrt sprach Jenny weiter. „Ich habe deine Familie kennengelernt. Deine Eltern sind nett. Lisa und du, ihr ähnelt euch." Sanft strich Jenny mit der Hand über Pauls Handrücken. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du für uns ein Haus baust? Du meinst es wohl ernst mit mir?" Kurz waren ihre Mundwickel zu einem Lächeln angehoben. Traurig schloss Jenny die Augenlider und erinnerte sich an die schönsten Momente mit Paul. Ihr wurde vor Augen geführt, wie schön das Leben sein konnte und wie sich die Liebe anfühlte. Die Geborgenheit eines Menschen, mit dem man zusammen lachen konnte. Die Wärme einer Umarmung, bei dem man sich ankuscheln konnte. Das Lächeln der Augen, in denen man sich sekundenlang verlieren konnte. Die zaghafte Küsse, so weich und zart, und das Herz pochte. Schmetterlinge im Bauch, so schön konnte das Verliebt sein. Nichts sehnlicher wünschte sich Jenny, als dass Paul aus dem Koma erwachte und ihr sein schönstes Lächeln zeigte. Die feuchten Augenlider wurde geöffnet und Jenny nahm Pauls Hand. Fortan liess sie Pauls Hand nicht mehr los. Sie stand auf, beugte sich über ihn und legte ihre Lippen auf seinen Mund. „Ich liebe dich! Wir werden gemeinsam kämpfen, hörst du? Gib nicht auf!" Nach einer Weile fielen ihre Augen müde zu und mit verschränkten Händen der beiden schlief Jenny im Stuhl sitzend neben Paul ein.

Die Nachtschicht endete bald und eine Schwester machte einen letzten Rundgang auf der Intensiv, um nach den Rechten zu sehen. Sie entdeckte eine Person in Pauls Zimmer und betrat den Raum. Vorsichtig legte sie die Hand an Jennys Schulter und wachte sie behutsam auf. „Wie...Ist was passiert?" Jenny richtete sich so schnell auf und liess einen schmerzenden Schrei raus. „Ah...", hielt sie sich am Bauch fest. „Ist alles in Ordnung?", wollte die Schwester wissen, und Jenny nickte. „Waren Sie die ganze Nacht hier?" „Ich vermisse ihn." Jenny sah von der Schwester zu Paul und diese zeigte Verständnis. „Kommen Sie, ich bringe Sie zurück, bevor die Visite beginnt." Jenny verdrehte die Augen, als die Schwester einen Rollstuhl holte. „Ich kann gehen", meinte sie genervt, doch die Schwester sah sie eindringlich an. Widerwillig liess sie sich bereit erklären, und wurde zurück auf ihr Zimmer geschoben. Nach dem Frühstück, das nicht appetitlich aussah, klopfte es an der Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten, betrat Jemand das Zimmer. Diese Person hatte Jenny am allerwenigstens erwartet. „Alex? Was machst du hier?"

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt