No. 169

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„Was...hast...du...gesagt?" Lisa hoffte sich, verhört zu haben. Sie sah ihren Bruder an, als dieser den Kopf vom Briefumschlag abwendete und Lisa ansah. „Ich werde der Scheidung zustimmen!" Paul spürte einen Kloss in seinem Hals und schluckte schwer. „Du willst was?" Lisa starrte ihren Bruder ungläubig an, aber Paul wiederholte den Satz klar und deutlich. Nun sackte Lisa auf das Bett, ihr wurde es für einen Moment schwindelig. „Aber...willst du nicht warten, bis Jenny wiederkommt und ihr euch aussprechen könnt?" „Ich weiss, wo Jenny ist." „Ach, tatsächlich?" Jetzt war Lisa komplett verwirrt, hatte sie Jenny versprochen, Paul nichts von ihrer Überraschung zu erzählen, was sie in Kalifornien vorhatte. Nun wusste er, wo seine Frau war. Paul öffnete den Briefumschlag und zog die Papiere heraus. Er blätterte in Sekundenschnelle durch. „So viele Sätze für nur eine Unterschrift", meinte Paul mit gedämpfter Stimme, als er das letzte Blatt Papier von oben bis unten durchschaute und auf die freie Stelle starrte, wo die Unterschrift angesetzt werden sollte. „Oh Gott!", murmelte Lisa und kratzte sich an der Stirn. Nun sprang Lisa vom Bett auf und musste eine Runde durch das Zimmer gehen. „Man Paul, gib nicht auf! Kämpfe für eure Liebe! Du liebst Jenny doch, oder?" „Natürlich! Aber ich habe keine Kraft mehr", gab Paul traurig zu, „seit ich Jenny hier in Deutschland gefunden habe, gibt es nur noch Streit. Und da ist auch noch Alex. Und unseren Vater. Letztere brauche ich die Kraft für die Familie, das habe ich euch doch versprochen!" Sofort wurde Lisa hellhörig und blieb abrupt vor ihrem Bruder stehen, der gerade in der Schublade nach einem Kugelschreiber suchte. „Alex?" Lisa hielt Pauls Hand davon ab, den Kugelschreiber in die Hand zu nehmen. „Was hat Alex denn damit zu tun?" „Viel, sehr viel sogar!" Als Paul Lisa dabei ansah, bemerkte sie, dass Paul feuchte Augen bekam. „Komm", Lisa bereitete ihre Armen aus und nahm ihren grossen Bruder in die Umarmung. Sanft streichelte sie an seinem Rücken und Paul war froh, in dem Moment Geborgenheit in den Armen seiner Schwester zu haben, und liess seinen Tränen freien Lauf. „Ich weiss, das ist viel verlangt, aber würdest du erstmal Papa beiseitelassen und mir bitte in aller Ruhe erzählen, was los ist?" Paul wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab. „Ich habe auch einen Fehler gemacht. Zu Recht ist Jenny sauer darüber. Würdest du auch, glaube ich." „Ach, und was hast du dann gemacht?" Paul musste schlucken, als Lisa ihn eindringlich ansah. „Jenny hat mich beim Sex mit Charlotte erwischt,...". Lisas Augen weiteten sich und sie stand wieder vom Bett auf. „Das glaube ich jetzt nicht!" „Doch, aber ich weiss nicht, wie das passieren konnte, ich kann mich gar nicht daran erinnern! Das musst du mir glauben!" Lisa schlug mit den Händen an ihrem Gesicht. „Wann ist das passiert?" „Einen Tag vor dem Unfall, auf der Geburtstagsfeier von Frau Schrankmann, also Charlottes Mutter." Lisa schluckte schwer und liess den Blick von ihrem Bruder ab und schaute aus dem Fenster. Eine Weile herrschte Stille in dem grossen Raum. „Ich glaube, ich wäre auch stinksauer auf dich", durchbrach Lisa die Stille, schüttelte den Kopf, „aber was hat Alex jetzt damit zu tun?" „Er war gestern spätabends hier zu Besuch." „Hier?" „Bevor ich dich angerufen habe." „Und was wollte er?" „Hat mich gedroht, würde mein Leben zur Hölle machen." „Weswegen?" Paul zwang sich dazu, auf Lisas Frage einzugehen. „Jenny ist...". Plötzlich klingelte ein Handy in der Tasche. Genervt kramte Lisa es aus ihrer Handtasche und als sie Emilias Namen auf dem Display sah, deutete sie mit dem Finger zu Paul, dass sie das Gespräch annehmen musste. „Emilia, was ist los?" Lisas Gesichtsausdruck erschien wie gelähmt, als sie die Panik in der Stimme ihrer Tochter hörte. „Bleib wo du bist, ich komme sofort zu dir!" Und auf einmal lief alles ganz schnell. Lisa steckte das Handy in die Tasche, suchte ihre Jacke und Paul hielt sie an der Schulter fest. „Was ist los?" „Papa ist weg!" „Wie weg?" „Emilia wollte mit Papa spazieren gehen. Auf einmal war Papa weg." Schon war Lisa an der Tür. „Ich komme mit!" Paul folgte seiner Schwester. „Nix da! Du bleibst, wo du hingehörst! Ich melde mich!" „Aber..." „Nein!" Mit schnellen Schritten rannte Lisa zum Fahrstuhl und konnte gerade noch einem Servierwagen mit den Mittagessen, der um die Ecke kam, ausweichen.

Nach der Dusche zog sich Jenny eine Jeanshose mit einer Flanell-Bluse an. Im Bad stand sie vor dem Spiegel, ihre Haare waren leicht gewellt. Sie schenkte dem Spiegel ihr Lächeln. Auf einmal hatte sie ein warmes Gefühl, als wäre Paul hier im Raum und zwitscherte ihr ins Ohr, wie sehr er ihrem schönsten Lächeln gefiel. Traurig erkannte sie, dass in letzter Zeit nicht viel zum Lachen gab. Nachdenklich ging sie ins Schlafzimmer. Die restlichen Klamotten, die auf dem Bett ausgebreitet waren, räumte sie auf. Jedoch bei Pauls Polizeihemd, welches er zu ihrem Geburtstag bei der Stripshow getragen hatte, blieb ihr Blick hängen. Sie nahm es zu sich und roch Pauls Duft ein. Mit geschlossenen Augen spielte sich der Film in ihren Gedanken ab, wie viel nackte Haut Paul ihr bei der Show schenkte. Ihr schönster Geburtstag und was sie alles danach hier im Hause, nach der Show, erlebt hatten. Jenny wünschte sich die Zeit zurück, in dem sie einfach nur happy war. Seufzend liess sie das Hemd unter ihrem Kopfkissen verschwinden und sortierte in der Küche einige Papiere aus. Darunter befand sich der gefälschte Brief von Paul. Es wurde Zeit, diesen blöden Wisch zu entsorgen. Jenny öffnete den Mülleimer, mit den Händen zerriss sie wütend das Papier, das daraufhin still und leise in den Müll verschwand. Die Last schien von Jenny abzufallen, Erleiterung machte sich auf ihrem Gesicht bemerkbar, als es an der Tür klingelte und sie den Makler mit den Interessenten hereinbat. 

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt