No. 106

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Während Alex seiner Mutter alles erzählte, was er gerade im Schlafzimmer gehört hatte, versuchte Viola ihren Sohn zu besänftigen. „Glaube mir, der Liebeskummer wird vorübergehen." „Meinst du?" „Klar, wenn du dich um Jenny bemühst, um ihre Liebe kämpfst, dann wird Jenny nicht mehr an den anderen Mann denken." Die beiden schmiedeten einen Schlachtplan aus, während zur gleichen Zeit Jenny vom Fenster wegging und unter die Bettdecke kroch. Das Polizeihemd hielt sie in den Armen fest und für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, das Hemd gab ihr Trost in der traurigen Zeit und Jenny spürte, wie sich eine Wärme um ihren Körper schützend hielt. Weit nach Mitternacht schrak Jenny aus dem Schlaf heraus und sass kerzengerade im Bett. Schweissperlen waren an ihrer Stirn, sie keuchte angestrengt und wischte den Schweiss mit dem Handrücken ab. Sie hatte von Paul geträumt, wie er sie anlächelte und im nächsten Moment sie an den Kopf warf, er habe sie niemals geliebt. Jenny versuchte ruhig zu atmen. Mit der Hand tastete sie im Dunkeln auf die andere Bettseite, die leer war. Jenny dachte sich kurz dabei, dass Alex auf der Couch schlief und das war ihr im Moment auch gerecht. Sie konnte seine Nähe nicht ertragen, brauchte erstmal Abstand zu ihm bis sie wieder im Klaren war und vor allem, wie ging es mit Paul weiter. Da war noch die Ehe, aber vor allem, wo war Paul? Solange sie nicht wusste, wo er war und sie mit ihm über den Brief sprechen konnte, behielt sie für sich, dass sie verheiratet war. Noch mehr Spannung zwischen Alex und ihr konnte Jenny im Moment gar nicht gebrauchen. Jenny wollte auch die Aussprache zwischen Paul und ihr abwarten, falls es jemals zu einem Gespräch kommen würde. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass Paul keinerlei Gefühle für sie hegte. Mit zusammengezogenen Beinen an den Bauch versuchte Jenny einzuschlafen und verfiel unruhig schlafend in die restliche Nacht.


Als ob der Morgen nicht gut angefangen hätte, brachte der Tag Jenny nur Pech und bei Paul dagegen Glück. Er hatte einen Anruf von der Autobahnpolizei bekommen und wurde noch heute zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Spontan sagte Paul zu und merkte sich den Namen des Anrufers, Kim Krüger. Bei ihr sollte er sich melden und bis zur verbleibenden Zeit zur Vorstellung schraubte er in der Werkstatt mit seinem Vater Klaus. „Junge! Ich freue mich, dass du hier bist!" „Ja, Papa. Schauen wir mal." „Wie?" Paul erklärte seinem Vater noch mal geduldig, dass erst noch das Vorstellungsgespräch stattfand und was daraus wurde. „Ach so", meinte Klaus, „mein Junge packt das schon!" Paul sah seinem Vater mit einem verschmitzten Grinsen hinterher, als dieser nach einem Werkzeug suchte und wieder zurückkam. Lisa brachte den beiden frischen Kaffee und war erfreut zu hören, dass Paul eine Zusage auf seine Bewerbung erhalten hatte. „Das freut mich wirklich! Ich drücke dir die Daumen!" „Sag mal, Lisa? Lebt mein Motorrad noch?" Lisa kratzte sich lächelnd am Hinterkopf und ging in der Werkstatt auf eine Ecke zu. Paul folgte seiner Schwester und war gespannt, was sie ihm zeigen würde. Dort zog sie zu fest das staubige, alte Bettlaken ab und hervor strahlte ein Motorrad. Beim Entkleiden des Bettlakens war gerade eine kleine Staubwolke zu sehen. Kurz musste Paul in der Staubwolke hüsteln, auch Lisa schnappte nach frischer Luft. „WOW!" Paul war sprachlos und ging näher auf die Maschine zu. „Ich habe sie in Schuss gebracht." Die Hände steckte Lisa in die Taschen, die am blauen Overall mit einigen Ölflecken verschmiert, hingen. Paul berührte mit seiner Hand das Motorrad und war von dem Anblick sehr gerührt. „Einfach nur perfekt!" Freudig umarmte er seine Schwester und drückte ihr einen dicken Kuss an die Wange. Klaus blickte von der Shelby Cobra auf und sah seine Kinder glücklich aussehen. „Ich mache eine Probefahrt!" Paul war Feuer und Flamme. Schnell sprintete er in das Elternhaus, da er vor seinem Umzug in die Staaten den Motorradhelm im grossen Schrank im Flur aufbewahrte, falls er mal wieder zurückkam und eine Motorradtour machen wollte. Die richtige Zeit hatte er immer verpasst und heute war einfach sein Tag! Paul verliess sich immer auf sein gutes Bauchgefühl, das hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Er ahnte noch nicht, was der Tag für Überraschungen hatte.

Ein leises Klopfen war an der Schlafzimmertür zu hören. „Jennifer?" Als sich nichts rührte, drückte Viola die Türklinge langsam herunter und öffnete die Tür einen Spalt. Sie steckte ihren Kopf zur Tür hinein. „Jennifer? Geht es dir gut?" Vorsichtig öffnete Jenny ihre Augen, sie waren schwer, so müde war sie. „Ja, es geht schon", murmelte Jenny. „Wieso fragst du?" Viola kam in den langen Morgenmantel näher, die ihr zu lang war, und streichelte Jenny am Haaransatz. „Weil es fast halb acht ist. Ich dachte, es geht dir nicht gut." Mit einem Schreck war Jenny sofort hellwach. „Mist! Verdammt!" fluchte Jenny und schaute auf den Wecker. „Na toll, ich habe verschlafen!" Den Wecker hatte sie komplett überhört. „Oh", meinte Viola, „ich schmiere dir ein Brot für unterwegs." Kaum war Viola aus dem Zimmer, stand Jenny zu schnell aus dem Bett auf und stolperte auf dem Weg zum Kleiderschrank über die ausgebreiteten Schuhe und stürzte mit der Stirn gegen die Kleiderschranktür. „Fuck!", jammerte sie leise und rieb sich an der schmerzende Stelle. Dabei bemerkte sie eine warme Flüssigkeit austreten, Blut. Im Bad sah sie sich die Wunde an, die nicht so schlimm aussah und verarztete sie mit einem Pflaster. Sie sah sich lächerlich im Spiegelbild an. Es blieb keine Zeit mehr, sie zog sich in Windeseile an. Viola trottete im langen Morgenmantel mit dem geschmierten Brot hinterher und musste aufpassen, dass sie nicht auf die Nase fiel. 

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt