No. 172

152 17 4
                                    

Jenny schloss ihre Augen und atmete tief ein und aus. Dabei legte sie den Kopf nach hinten in die Nacken. Von Pauls Worten war Jenny gerührt, eine Weile starrte sie gegen Himmel, der immer dunkler wurde. „Jenny?" Die Technik am Smartphone von Paul machte Probleme. Paul nahm das Handy vom Ohr, schaute aufs Display und lehnte es wieder an seinem Ohr, das mittlerweile rot geworden war. „Jenny?", wiederholte er. „Ja, sorry, ich war in Gedanken", lächelte Jenny verkrampft, „ich war so oft ich konnte, die ganze Zeit bei dir. Und musste dich dann alleine zurücklassen." Melancholische Stille. „Dafür hattest du bestimmt einen Grund?", sprach Paul vorsichtig und mit trauriger Stimme. Wieso verschwieg Jenny ihm den wahren Grund? Er war sich nicht sicher, ob er auch wirklich den Grund von ihr wissen wollte. Denn dass Alex unerwartet hier im Krankenzimmer auftauchte und seine Drohung aussprach, darüber verlor er kein Wort gegenüber Jenny. Zu Jennys Verwunderung blieb Paul gelassen und er stellte keine weiteren Fragen. „Ja, ich musste es tun, sonst hättest du es mir ausgeredet", presste Jenny die Lippen aufeinander. Sie wollte die geplante Überraschung nicht jetzt verraten. Plötzlich näherte sich eine Person von hinten an der Treppe zur Terrasse heran. Jenny riss den Kopf hoch und entdeckte Pauls gute Freundin. Es war Kimberley, die in ihrer Hand die Sandalen festhielt und mit der anderen Hand Jenny zuwinkte. „Hi!", sagte die quirlige Kimberley, die für ihre coole Mode bekannt war und Jenny signalisierte sie, leise zu sein und deutete auf das Handy. Ohne Stimme bewegte sie ihre Lippen und sprach „Paul". Kimberley verstand und stellte sich weiter weg von der Schaukel. Auch wenn Jenny gerne weiter telefoniert hätte, sie musste Schluss machen. Paul durfte keinen Verdacht schöpfen. „Ich muss Schluss machen", sagte sie, fügte aber noch schnell hinzu:"Ich melde mich wieder. Paul, pass bitte auf dich auf! Ich liebe dich!" „Warte!", rief Paul, nun gab der Smartphone seinen Geist auf. Verzweifelt drückte Paul auf die Taste des Handys, das keinen Mucks von sich gab. „Fuck!"

Kimberley war spontan bei Jenny vorbeigekommen und wollte wissen, wie es mit dem Makler gelaufen war. Als sie Jennys breites Grinsen auf dem Gesicht sah, begriff sie, dass Jenny die glückliche Besitzerin des Strandhauses war. „Meine Süsse, herzlichen Glückwunsch!" Kimberley umarmte Jenny herzhaft, „darauf müssen wir anstossen! Das muss ordentlich gefeiert werden!" „Langsam, langsam! Noch ist es nicht ganz offiziell! Bis mein Name beim Notar besiegelt ist, ist es amtlich." „So what? Komm, sei nicht spiessig, wir feiern jetzt!" Kimberley rannte ins Haus und holte zwei Sektgläser mitsamt der kühlen Sektflasche, die sie im Kühlschrank fand. „Und für was war der Sekt gedacht? Wolltest du alleine feiern?" Jenny lachte verlegen und fühlte sich ertappt. Kimberley schüttelte den Kopf und köpfte den Korken der Sektflasche, die mit einem lauten Ploppen in die Luft flog und irgendwo auf den Terrasseboden landete. Schaum schäumte aus dem Flaschenhals heraus, schnell schenkte Kimberley den Sekt in die Gläser. „Du bist verrückt", meinte Jenny lachend. Erst war Kimberley verwirrt über ihre Aussage, stimmte dann mit in das Gelächter hinein. Die ganze Nacht verbrachten Jenny und Kimberley kichernd draussen auf der Hollywoodschaukel und verstanden sich immer besser.

Paul grübelte immer noch über Jennys Satz „Ich musste es tun, sonst hättest du es mir ausgeredet". Wollte Jenny damit andeuten, dass sie wegen dem Kind bei Alex bleiben wollte? Sie liebt ihn doch nicht mehr, oder wie soll man es verstehen? Eine heile Familie vorgaukeln, die es in Wirklichkeit nicht gab? Hatte er ihr mit irgendwas gedroht, so wie er es bei ihm getan hatte? „Eigentlich habe ich nie Angst, mich von Jemand klein zu machen. Nur bei Alex habe ich irgendwie kein gutes Bauchgefühl. Der Typ geht sogar über Leichen! Und wieso sagte Jenny, dass sie mich liebt, aber nicht bei mir ist?" Erneut nahm Paul das Smartphone wieder in die Händen und versuchte, es wieder zum Laufen zu bringen. Nichts geschah, das Display blieb schwarz. „Auch das noch! Als hätte ich nicht genug Probleme!" Die kommende Nacht schlief er unruhig im Krankenhaus, wälzte von der einen Seite zur anderen. Auch dachte er an den Ausrutscher mit Charlotte. „Wie konnte es überhaupt zum Sex kommen? Und wieso erinnere ich mich nur vage daran?" Paul nahm sich vor, mal mit Charlotte ein ernstes Wort zu reden. Um endlich einschlafen zu können, zählte Paul innerlich in seinen Gedanken mit geschlossenen Augen die Schafe, die hintereinander übers Zaun sprangen. Doch die Müdigkeit wollte nicht kommen und mit einem Schnauben nahm er das Kopfkissen und drückte es gegen sein Gesicht. Nichts half und genervt lehnte er seinen Kopf wieder auf das Kissen zurück und konnte die Stunden gar nicht mehr erwarten, endlich hier raus zu kommen und was anderes zu sehen. Seine Familie, seine Nichte Emilia und seinen Partner Semir. Von Lisa hatte Paul erfahren, dass die Baustelle trotz seiner Abwesenheit gut voranlief. Bald standen eigene Heimwerkerarbeiten auf der Liste. Auf das Werkeln freute sich Paul und das konnte ihn wenigstens von den aktuellen Problemen ablenken. Nebenbei dachte er über bestimmte Materialien für das Haus, die er noch besorgen musste. Und er wollte auch beim Makler nachfragen, wie weit die Sache mit dem Verkauf des Strandhauses war. Je länger er über die aufgezählten Punkte nachdachte, desto müde wurde er. Irgendwann fielen seine Augenlider schwer zu. Die Nacht war schnell um und der neue Tag da. Gut gelaunt kam Paul aus der Dusche, packte seine Tasche ein und wartete darauf, endlich abgeholt zu werden.

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt