No. 110

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Draussen auf dem Reviergelände der Autobahnpolizei fand Susanne Jenny auf einer Bank sitzend vor. Ihre Haare flatterten im schwachen Wind, ihre Strähne blieb vorne am Gesicht haften. Mit einer Handbewegung strich Jenny die Strähne hinter ihrem Ohr und wischte sich daraufhin die Tränen vom Gesicht, als sie Susanne auf sie zukommen sah. Die Sekretärin hatte in der Hand zwei Tassen Kaffee und hob sie kurz hoch, ob Jenny Lust darauf hatte, als sich die Blicke der beiden Frauen aufeinandertrafen. „Ja, danke!", sagte Jenny freundlich, als Susanne sich neben ihr auf der Bank setzte. „Wie geht es dir?", wollte Susanne wissen und Jenny seufzte schwer. „Tja, ich kann es immer noch nicht glauben...plötzlich steht mein eigener Mann vor meinen Augen und tut so, als ob nichts passiert wäre! " Behutsam streichelte Susanne Jenny an ihrem Rücken. „Für uns kam das alles auch überraschend, dass du geheiratet hast", meinte sie im Bezug auf die PAST. Keiner wusste, dass Jenny verheiratet war. „Ich dachte immer, du würdest Alex eines Tages heiraten. Du hast dich doch so sehr mit der Organisation der Hochzeit beschäftigt bevor du Urlaub machtest." „Ja", nickte Jenny, „das war noch in meinem anderen Leben, da musste einfach alles stimmen. Die ganze Planung, das A und O durften nicht fehlen." „Und jetzt ist alles anders?" Wehmütig dachte Jenny an ihren Urlaub in Kalifornien zurück. „Sagen wir mal so, ich hatte in den USA eine andere Seite von mir kennengelernt. So happy und einfach nur ich selbst." „Wie ist es dazu gekommen?", fragte Susanne Jenny, um sie besser verstehen zu können. „Sei mir nicht böse, vielleicht erzähle ich es dir irgendwann mal. Das ist nicht in fünf Minuten erzählt." Kurz warf Jenny Susanne lächelnden Blick zu, die daraufhin wieder in melancholische Blicke verwandelten. Beide nahmen sich einen Schluck Kaffee aus der Tasse. „Ich würde jetzt gerne den Kopf freikriegen und eine Runde joggen", meinte Jenny und stand auf, „sagst du der Krüger Bescheid, dass ich nach Hause gegangen bin?" „Klar, richte ich aus!" Susanne war ebenfalls aufgestanden und beide umarmten sich zum Abschied. „Pass auf dich auf! Wenn du doch reden möchtest, du kannst mich jederzeit anrufen!", gab Susanne Jenny noch mit auf dem Weg und diese dankte ihr für die lieben Worte und stieg in ihren BMW.

Alex war nicht Zuhause, als Jenny die Parterrewohnung betrat und auf Viola traf, die gerade putzte. „Hallo Jennifer! Oh, du bist aber blass!" Jenny verdrehte ihre Augen, als Viola auf sie zukam und die Hand an Jennys Stirn legte, um dessen Temperatur zu fühlen. „Fieber hast du nicht", stellte Viola fest und Jenny ging an ihr vorbei ins Schlafzimmer. In Windeseile war sie umgezogen und suchte im Flur in der Kommode nach den Laufschuhen. „Wo willst du denn hin?" „Den Kopf freikriegen, wartet nicht auf mich!", sagte Jenny als sie die Schuhe anzog. „Aber Alex hat doch einen Tisch für euch reserviert beim Italiener!", erinnerte Viola Jenny daran. „Ich habe ehrlich gesagt keinen Nerv dafür!", sagte Jenny

noch schnell, ehe Viola noch was sagen konnte. Die Tür war bereits ins Schloss gefallen. Schnell zückte Viola das weisse Taschentuch heraus und tupfte sich an ihrer Stirn. „Das ist nicht gut, was mache ich jetzt?", sprach sie mehr zu sich selbst, „ich muss Alex anrufen!" Es ging nur die Mailbox an. „Oh Gott!", betete Viola. Ihr Plan war schief gegangen.

„Ist das dein Ernst?", fragte Paul Semir ungläubig, „ich habe den Job?" „Ja, wenn du das willst", klopfte Semir Paul an der Schulter, „genau so einen Partner brauche ich!" Paul richtete seine Jacke wieder zurecht und war stolz auf sich selbst. „Was für ein Tag heute...", schmunzelte Paul und hatte das breite Lächeln auf seinem Gesicht, „Und ich dachte, ich sehe meine Frau nicht mehr." Beide gingen einige Schritte. Semir blieb stehen, als sich Paul zu ihm drehte. „Wie kommt das, dass Jenny deine Frau ist? Ich meine, ich kenne Jenny schon länger als du und sie ist in einer Beziehung..." Paul hob kurz seine Augenbraunen hoch. „Davon hat sie mir gar nichts erzählt. Hm... Ich wollte sowieso mit Jenny reden."

Im Rheinpark joggte Jenny, das zur Sommerzeit im Park mit vielen sprudelnden Brunnen ausgestattet war, die für Abkühlung und Erfrischung sorgten. Viele Jogger waren unterwegs, den Kopf konnte Jenny trotzdem nicht so frei kriegen, wie sie es erhofft hatte. Pauls Auftreten in der PAST sorgte für Verwirrung in ihren Gedanken. Der Abend war noch recht frisch im Park, doch Jennys Gedanken liefen auf Hochtouren. Sie hatte vor kurzem noch mit Liebeskummer zu kämpfen, weinte fast jede Nacht in den Schlaf, war am nächsten Tag schlecht gelaunt. Machte sich Gedanken um ihre Zukunft. Jenny war ihrem Vater dankbar, dass sie mit ihm manchmal darüber reden konnte und er sie immer wieder auffing. Sie hatte sich auch Mühe gegeben, sich Alex wieder anzunähern, doch sobald er ihr zu nahe kam, nahm sie Reissaus oder erwiderte seine Umarmungen nicht. Alex spürte ihre Ablehnung, liess sich das nicht anmerken und übte die Geduld mit sich. Wenigstens konnten die beiden wieder normal reden, wenn auch nur ganz wenig. Aber immerhin besser als sich tot anzuschweigen. Und jetzt? Jetzt war auf einmal Paul wieder da. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass sie sich innerlich auch gefreut hatte, ihren Mann lebendig und gut gehend zu wissen, gesehen hatte. Aber die Wut und Verzweiflung in den letzten Tagen waren stärker als die Wiedersehensfreude. Jenny machte kurzen Halt an einem der Brunnen und liess das Wasser auf ihren Händen gleiten und klatschte es an ihrem Gesicht. Sie schien etwas klar zu sein und schlug wieder den Weg zum Joggen ein, das sie in eine Richtung brachte. Sie musste einfach mit Jemandem reden!    

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt