No. 158

404 17 10
                                    

Ruckartig wich Charlotte einen Schritt vom Bett ab. „Ähm...", stotterte Charlotte, „...ich wollte ihm nur fühlen lassen, dass er nicht alleine ist." Mit einem Ruck schloss Jenny die Tür und trat vor dem Bett vor. „Paul ist nicht alleine, ich bin ja da." Charlotte liess Jenny den Vortritt, als diese an ihr vorbeiging und ihren Oberarm leicht berührte. Jenny gab Paul einen Kuss an der Wange. „Hi Schatz!" Diesmal sah Paul besser aus, der Verband wurde erneut und war nicht mehr so dick um seinen Schädel gewickelt. Die vielen Schläuche wurden abgemacht bis auf den einen Schlauch, der noch an seinem Mund klebte. Abrupt drehte sich Jenny zu Charlotte um und sah sie mit einem bösen Blick an. „Wer hat dich überhaupt herein gelassen?" „Frau Renner, also Pauls Mutter, war so nett und hat mich zu ihm gelassen. Wir kennen uns ja noch von früher." „Aha." Jenny fühlte sich in der Gegenwart überhaupt nicht wohl im Beisein von Charlotte. Zu sehr schmerzte das Bild vor Jennys Augen, wie sie Charlotte mit Paul in flagranti erwischt hatte. Jenny wollte wegen Pauls Gesundheit zuliebe nicht hier im Zimmer mit Charlotte über den Sex reden. „Es tut mir leid, was passiert ist, das zwischen uns", wollte Charlotte sich bei Jenny entschuldigen. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich, so weit hätte sie es nicht gewollt, aber auf Alex Erpressung hatte sie keine andere Wahl. „Nicht hier, bitte!" Jenny sah von Paul zu Charlotte. „Ich möchte nichts darüber hören! Ich will einfach nur, dass mein Mann wieder aufwacht", sagte Jenny mit trauriger Stimme. Das Wort mein Mann löste in Charlottes Magen ein Unwohlsein auf. Sie hatte gar nicht damit gerechnet, dass Paul mal heiraten würde. Nicht erst jetzt in seinem jungen Alter. Sie kannte Paul noch aus der Teenager Zeit, der für keine feste Beziehung geschaffen war und seiner Leidenschaft, dem Surfen verfallen war. Umso überraschter war sie, als sie von ihrer Mutter, Isolde Schrankmann erfuhr, dass Paul und Jenny verheiratet waren. Jenny hatte etwas in Paul ausgelöst. Ihm gezeigt, wie man liebt. Charlotte dachte über Alex Worte nach, die er ihr mal über Paul gesagt hatte. Lohnte es sich überhaupt noch, um Paul zu kämpfen? Ich muss mich damit abfinden, dass Paul zu Jenny gehört. Das war in Kalifornien nicht zu übersehen. „Charlotte?" Von der Realität zurückgeholte, blickte Charlotte Jenny fragend an. „Ich würde jetzt gerne alleine mit Paul sein. Ausserdem endet die Besuchszeit bald." Jenny zog ihre Jeansjacke aus und lehnte sie über einen Stuhl. Sie machte sich nützlich und Charlotte stand ihr im Weg. „Ähm, dann gehe ich mal." Jenny reagierte darauf nicht, sie war damit beschäftigt, das Zimmer ein wenig zum Leben zu erwecken. Ihre Schwiegermutter hatte eine Tasche mit Wechselklamotten für Paul mitgebracht, darunter ein Buch übers Surfen und die Kopfhörer für seinen Smartphone. Auf dem Tisch standen drei Blumensträusse in Vasen. Jenny fischte aus einer der drei Vasen eine kleine Karte, die war von der gesamten PAST. Rührend, wie sie an den Kollegen denken. „Der kleine Blumenstrauss ist von mir", sagte Charlotte noch, ehe sie zur Tür ging. „Danke", sagte Jenny, mit dem Rücken zu Charlotte stehend. Charlotte kam sich überflüssig vor, denn Jenny mochte gar nicht mit ihr reden. War ja auch verständlich nach der Sache neulich. „Tschüss, Sharky! Wach bald auf, kann können wir wieder übers Surfen reden", verabschiedete sich Charlotte von Paul und war bereits an der Tür, als sie von Jenny noch die Worte „Danke für den Besuch" hörte.

Die Besuchszeit war schon längst vorüber, Jenny war immer noch bei Paul. Sie las ihm was aus dem Buch übers Surfen vor und erinnerte sich dabei an die Zeit in Kalifornien, wo Paul mit ihr das Surfen übte. Das war schwieriger als gedacht, dennoch hatte Jenny so viel Spass gehabt. Gemeinsam fuhren sie zum Huntington Beach, wo die riesigen Wellen Paul anlächelten. „Ich hatte wirklich Angst um dich gehabt, als du mitten im Gewitter gesurft hast", sprach Jenny, als sie kurz vom Buch aufsah. „Und der Sex danach im Bulli, ach das war eine tolle Zeit." Jenny träumte so vor sich hin und liess ihre Blicke nicht von Paul los. „Ich würde alles dafür geben, um das nochmal zu erleben." Sie hätte schwören können, dass sich an Pauls Gesicht etwas bewegte. War da was oder hatte sie es nur eingebildet? „Paul?", flüsterte sie leise, um ihn nicht zu erschrecken. Doch nichts rührte sich. Jenny liess sich nicht unterkriegen und schwärmte von dem besten Sommer ihres Lebens. Sie legte ihre Hand unter die von Paul und drückte sie leicht fest. „Du hast mir das Gefühl gegeben, glücklich zu sein und das Leben mit den Augen zu sehen." Zärtlich streichelte Jenny mit der freien Hand Pauls Arm. Stunden vergingen, es wurde stockdunkel draussen. Nur im Zimmer brannte das kleine Lämpchen. Hatte Paul gerade seine Hand bewegt? Jenny war sich nicht sicher. Pauls Brustkorb hob und senkte im normalen Rhythmus. Sie schob es auf die starke Müdigkeit, doch sie wollte nicht nach Hause. Nein, sie wollte bei ihrem Mann bleiben. Ihm in die Augen sehen, wenn er aufwachte. Ihm ihr schönes Lächeln zeigen, das Paul so an Jenny liebte. Sie wollte seine Nähe spüren, ihm etwas von ihrer Wärme und Geborgenheit geben. Kurzerhand stand Jenny auf, streifte ihre Schuhe ab und legte sich vorsichtig neben Paul. Oh Gott, ziemlich eng hier. Hoffentlich falle ich nicht aus dem Bett. Jenny lehnte ihren Kopf an Pauls Schulter, den einen Arm schlang sie über seinen Bauch. Wie sehr hatte sie seine Nähe vermisst! Ihre Augenlider wurden immer schwerer und fielen zu. Jenny befand sich in einem Traum, der ihr ein Lächeln auf den Lippen zauberte. Am nächsten Morgen war Jenny immer noch von dem Traum gerührt und ihr kam eine Idee. „Warum bin ich nicht früher darauf gekommen?", freute sie sich, in der Hoffnung, der Wunsch würde doch in Erfüllung gehen, „ich darf keine Zeit verlieren!"

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt