No. 102

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Alex gab sich alle Mühe, Zeit für Jenny zu nehmen. Seine neue Stelle beim BKA liess es zu, dass er pünktlich Feierabend machte und vor Jenny Zuhause war. Heute war Jennys erster Arbeitstag nach einem langen Urlaub gewesen. An diesem einen Tag kochte er für die beiden Frauen, Jenny und seiner Mutter Viola. Jenny kam schlecht gelaunt nach Hause, auch beim gemeinsamen Essen sprach sie kein Wort, hörte nur das, was Mutter und Sohn unterhielten. Jenny dachte an Paul und wurde im nächsten Moment traurig. Nach dem Essen schlug Alex vor, einen kleinen Spaziergang zu machen, was Jenny erst zögernd ablehnte und dann doch zustimmte. Viola erklärte sich bereit, sich um den Abwasch zu kümmern. "Geht nur, ich mache den Rest", sagte Viola beim Geschirr einsammeln. "Danke, Mama!" Alex gab seiner Mutter ein Küsschen an die Wange, Jenny war schon in den Flur gegangen und zog sich ihre Schuhe und Jacke an. Alex schloss die Haustür hinter sich und so gingen die beiden in der abendlichen Sonne eine Runde im Park spazieren. "Wie war dein Tag?", wollte Alex wissen. "Tja, wie immer", lustlos antwortete Jenny ihm. Ein Pärchen sass auf einer Parkbank und küsste sich gerade leidenschaftlich. Dieser Anblick versetzte Jenny einen Stich in ihrem Herzen. Wehmütig erinnerte sie sich an die verliebte Zeit mit Paul in Kalifornien zurück. Alex bemerkte Jennys Blicke auf das verliebte Pärchen und versuchte sie auf andere Gedanken zu bringen. "Die Schrankmann hat ja bald Geburtstag", sprach Alex, doch Jenny sah ihn nicht an, sie kickte einen Stein aus dem Weg. "Gehen wir zusammen dahin?" Jetzt blickte Jenny Alex an. "Wir?" Ihr Gesichtsausdruck war nicht begeistert und das traf Alex besonders. "Ja, wir. Das wird dich auf andere Gedanken bringen." "Man, Alex!" Verärgert stiess Jenny Luft aus und blieb mitten auf dem Weg stehen. Jogger rannten an den beiden vorbei. "Wie oft noch?" "Ich gebe mir alle Mühe, um dich aufzuheitern. Jedesmal stösst du mich weg! Ich wünsche mir meine alte Jenny zurück!" Jenny sah Alex überrascht an, irgendwie konnte sie ihn verstehen, dass er sich danach sehnte. Jenny jedoch wollte nicht mehr die Jenny sein, die sie vor Kalifornien war. "Schauen wir mal", nachdenklich ging sie einige Schritte voraus und Alex holte sie auf."Das klingt schon besser!" Mit einem gequälten Lächeln blickte Jenny Alex kurz an und den Rest des Spaziergangs verlief in ein Schweigen.

"Ich habe gute Nachrichten für dich, Brüderchen!", rief Lisa durch die Küche. Pauls Schwester stellte die dampfende Tasse Kaffee auf den Tisch, als sie Schritte auf der Treppe hörte. Emilia war schon längst in der Schule. "Morgen erstmal!", kratzte sich Paul an seinem Hinterkopf, als er in Boxershort und einem T-Shirt in der Türschwelle stand. Er nahm Platz an dem Tisch und roch den wunderbaren Duft des Kaffees. "Schiess los!" Mit der Tasse Kaffee in der Hand nahm nun Lisa auch Platz an dem Tisch. "Der Architekt an gerade angerufen, deine Zeichnungen sind in Arbeit und es könnte bald mit deinem Bauprojekt gestartet werden." Nachdem Paul einen heissen Schluck Kaffee genommen hatte, nickte er halb verschlafen und war überrascht, dass es nun schnell voranging. "Ich wünschte, Jenny wäre dabei, wenn wir das Bauprojekt starten." "Das kann sie doch", meinte Lisa und Paul verneinte. "Ich kann sie gar nicht erreichen. Verdammt!" "Komisch!" "Ja, eben. Ich habe ihr meinen Hausschlüssel gegeben. Vielleicht sollte ich nochmal Kimberley anrufen." Lisa wollte gerade aufstehen, da kam ihre Mutter von aussen ans Küchenfenster. Mit einer Kopfbewegung deutete die Tochter auf die Terrassentür und Helga kam durch die Tür herein. "Guten Morgen, ihr beiden!" "Morgen, Mama!", sprachen die Geschwister gleichzeitig. "Lisa, wieso bist du nicht umgezogen?" Helga war bei dem Anblick ihrer Tochter leicht schockiert, als diese im blauen Overall, das ein paar Ölflecken abbekommen hatte, vor ihr stand. "Wieso sollte ich?", fragte Lisa verwirrt. "Weil wir heute einen Arztgespräch haben wegen Papa!" Helga stemmte ihre Hände an den Hüften. "Du hast das vergessen? Du weisst doch, wie wichtig das ist!" "Ehrlich gesagt, Mama, habe ich das glatt vergessen! Und heute kann ich nicht, der Kunde möchte seinen Wagen haben." Da bot Paul seine Unterstützung an. "Lisa, mach du den Wagen fertig und ich begleite Mama und Papa, ok?" Die Mutter war erleichtert und Lisa seufzte tief. "Wie gut, dass ich dich hier habe, Bruderherz!" "Wann findet das Gespräch statt?", fragte Paul seine Mutter. "In zwei Stunden müssen wir da sein, aber bitte pünktlich!", schaute Helga auf die Armbanduhr. "Da habe ich noch Zeit zum Duschen und ein kleines Frühstück brauche ich auch noch", zählte Paul auf, "wo fange ich zuerst an?" "Da kann ich dir auf die Sprünge helfen, geh du duschen, ich schmiere dir zwei Brote, ok?" "Danke, Mama! Du bist die Beste!" "Und noch eine Tasse Kaffee dazu?", schmunzelte Helga. Man hörte Paul kurz lachen, als er die Treppenstufen nach oben ging und sich unter die Dusche begab.

Auf der PAST war eigentlich alles wie immer, nur bei Semir rückte der Tag der Frist für den neuen Partner immer näher. Die neuen eingegangenen Bewerbungen versprachen nichts Neues und so liess Semir schwer genervt in den Schreibstuhl fallen. "Immer diese Weicheier!", schimpfte er, als Jenny an der Glastür anklopfte und hereinkam. "Was gibt es?", fragte Semir, als er Jenny mit einer Akte in der Hand sah. "Es geht um einen Bericht, ist das so richtig, wie es hier drinsteht?" Semir nahm Jenny die Akte aus der Hand und warf einen Blick darauf. Während Semir den Bericht durchlas, fiel Jennys Blick auf die Bewerbung und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Das war das erste Mal heute, dass Jenny ein kleines Lächeln hervorbrachte.    

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt