No. 150

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In dem Moment fühlte sich Jenny so hilflos. In ihr fühlte sich der Körper so leer an, als ob ein Teil von ihr gestorben wäre. Mit dem Handrücken verwischte sie die Tränen. „Ich liebe dich doch!", brachte sie es nun heraus und tastete mit der Hand auf dem Bettlaken ganz vorsichtig zu Pauls Hand heran. Sanft legte sie ihre Handfläche unter seiner Hand und drückte sie leicht. Eine Wärme durchfuhr ihr. Das kann nicht wahr sein, dass er jetzt da liegt. Schuldgefühle kamen wieder hoch. Paul kämpfte um sein Leben. Schwer verletzt und die Frage, ob sein Gehirn jemals wieder gesund wurde. Ich bin schuld. Niemand kann mir erzählen, dass es ein Unfall war. Wir hätten der jungen Frau geholfen, die Hilfe brauchte und die Entführer verhaftet, wenn ich nicht mit dem Streit angefangen hätte. Jenny versuchte sich einzureden, dass Paul jeden Moment aufwachen würde und erschrak, als sie eine warme Stimme hörte. Anscheinend war Lisa ins Zimmer gekommen und stand neben ihr. „Jenny?" Jenny zog ihre Hand zurück und drehte sich abrupt um, mit verweinten Augen sah sie zu Lisa hoch. „Ist alles ok mit dir?" Als ob sie sich schon ewig kennen würde, legte Lisa ihre Hand an Jennys Rücken und streichelte sie behutsam. „Ich weiss nicht", meinte Jenny, „ich fühle mich...irgendwie schuldig." „Was meinst du?" Lisa verstand nicht ganz, was Jenny meinte. Jenny deckte ihre Augen mit den Händen ab, um weitere Tränen zu verstecken. „Ich werde mir das nicht verzeihen", sie stockte mitten im Satz, „wenn Paul stirbt". „Hey, ich bin mir ganz sicher, Paul wird es schaffen. Er ist ein Kämpfer. Ich kenne meinen Bruder. Wenn er sich was ins Ziel gesetzt hat, dann wird er es auch schaffen." Eine Krankenschwester kam ins Zimmer und entschuldigte die Störung. Sie bat die beiden Frauen, kurz aus dem Zimmer zu gehen, damit sie Paul ein wenig frisch machen konnte. „Bis später", sagte Jenny noch zu ihrem Mann, ehe sie von Lisa im Rollstuhl nach draussen geschoben wurde. Helga und Klaus unterhielten sich mit Semir, der immer noch im Krankenhaus war. „Was hältst du davon, wenn wir einen Kaffee in der Cafeteria trinken?", fragte Lisa. „Das ist eine gute Idee." Jennys Stimmung besserte sich ein wenig. „Aber ich kann so unmöglich in die Cafeteria rollen." Dabei zeigte Jenny auf sich und den scheusslichen Kittel. Lisa hat die rettende Idee. Sie zog ihre dunkelblaue Jeansjacke aus und überreichte sie Jenny. „Hier, zieh sie an und du siehst perfekt aus!" Lisa konnte überzeugend wirken. Paul hat wirkliche eine tolle Schwester. „Wir laden zum Kaffee ein", sagte Klaus und seine Frau stimmte ihm zu. „Herr Gerkhan, würden Sie uns Gesellschaft leisten? Wir würden uns freuen", bat Helga. Semir konnte den Wunsch nicht abschlagen, so nickte er freundlich. Während Lisa am Handy telefonierte, übernahm Semir das Anschieben des Rollstuhls. Auf dem Weg in die Cafeteria waren Jenny und Semir die Letzten hinter der Familie Renner. „Du hast aber nette Schwiegereltern", sprach Semir, als er den Rollstuhl um die Ecke bog. Meine Schwiegereltern. Dann fiel Jenny ein, dass Paul sie gerne seinen Eltern vorstellen wollte. Sie malte sich in ihren Gedanken aus, wie er es wohl anstellen würde. „Ja, Pauls Eltern sind wirklich nett." Sie war nun gespannt, wie die Unterhaltung in der Cafeteria wohl verlaufen würde. In der Cafeteria duftete es nach frischem Kaffee. Lisa hatte einen Tisch gefunden und belagerte diese, bis schliesslich alle eintrafen. Helga und Klaus holten Kaffee für alle und brachten einige Stücke Käsekuchen und Muffin mit Schokostückchen mit. „Einen Kaffee hätte gereicht", dankte Semir. „Zu einem Kaffee gehört immer ein Stück Kuchen", sagte Helga. Lisa griff nach einer Muffin, und als sie darin biss, schluckte sie daraufhin angewidert die Muffin in sich runter. „Das schmeckt ja grauenvoll", beschwerte sie sich. Klaus musste lachen. „Deine Muffins sind ja auch legendär." „Ja, schön fluffig sollen sie sein", schwärmte Lisa vor sich hin. „Stimmt", fügte Jenny unbewusst bei. Dann kam das Gespräch auf Paul und wie er für Jenny zum Geburtstag Muffins gebacken hatte. „Ich hatte mich echt gewundert, dass Paul Muffins backen wollte", erinnerte sich Lisa an das Telefonat mit ihrem Bruder, als er sie um ihr Rezept bat. „Paul hat Muffins gebacken?" Helga war erstaunt. „Ja, Mama. Unglaublich, was?" „Dann müssen Sie, entschuldige bitte, darf ich du sagen?", fragte Klaus an Jenny gewandt. „Ja, gerne." Jenny war gespannt, was Klaus gleich sagen würde. Sie trank einen Schluck Kaffee. „Dann musst du was Besonderes für Paul sein. Männer machen sowas, wenn sie eine Frau beeindrucken wollen", schmunzelte Klaus. Jenny verschluckte sich fast an dem Kaffee. Und was mache ich? Ich reibe ihm die Scheidungspapiere unter die Nase. „So ist das?", lächelte Helga ihren Mann an. „Helga, erinnerst du dich noch an unseren Picknick? Da habe ich mir auch alle Mühe gegeben, um dich zu beeindrucken." „Ja", lachte Helga und erzählte kurz die Geschichte, „aber der Kartoffelsalat war versalzen." „Ja, weil ich verliebt in dich war", gab Klaus zu. Ein Gelächter ging in die Runde. „Hat Paul denn die Küche aufgeräumt?" Lisa sah Jenny mit einem Grinsen fragend an. „Die Küche sah wie ein Schlachtfeld aus", daran konnte sich Jenny sehr gut erinnern. „Er hatte wirklich einen schönen Geburtstag für mich gezaubert. Natürlich habe ich ihm geholfen, die Küche wieder picobello zu machen." Lachen. Bei der Unterhaltung spürte Jenny eine warme Atomsphäre mit Pauls Familie, die sie bei Alex und seiner Mutter Viola nie hatte. „Ich bin wirklich froh, dass Paul so eine wie dich gefunden hat, Jenny." Helga, die neben Jenny sass, streichelte sanft mit der Hand an Jennys Wange. Ihr Herz setzte für einen Moment aus, während Helga weiter sprach. „Dass Paul für dich sein ganzes Leben umkrempelt, ein Haus nach deinen Vorstellungen baut, das ist schon ein grosser Liebesbeweis." Jenny glaubte, sich verhört zu haben. „Paul baut ein Haus, für mich?"

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt