No. 183

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Ein Taxi fuhr auf den Hof der Renners vor. Heraus stieg eine junge, blonde Frau, deren vorderen Haare zu einem geflechteten Zopf hervor zeigten. Charlotte sah sich um und traf auf Lisa, der aus der Werkstatt kam. „Guten Morgen, dein Bulli ist aber noch nicht fertig." „Hallo Lisa, ja, das weiss ich. Ich bin aus einem anderen Grund hier. Ich möchte mit Paul sprechen. Ist er hier?" „Nein, er ist mit unseren Eltern zum Arzt gefahren." „Ist Paul was passiert?" Lisa wischte sich ihre schmutzigen Hände an dem blauen Overall ab. Lisa wirkte noch müde, denn die letzte Nacht war ziemlich kurz gewesen. Das wusste Charlotte selbst auch, wollte sich aber dazu nicht äussern. „Mein Vater wird wegen seiner Krankheit behandelt und deswegen begleiten Paul und meine Mutter ihn. „Ach so, dann komme ich später wieder." „Nein, das wird nicht mehr lange dauern. Möchtest du einen Kaffee? Ich brauche unbedingt Nachschub, einer hat mir nicht gereicht." Verlegen machte Charlotte eine zuckende Schulterbewegung. Sie wusste nicht, ob es richtig war, Lisas Einladung zur Kaffee zu folgen. Gestern Abend war Lisas Worte nicht gerade freundschaftlich gewesen, was Charlotte zum Nachdenken brachte und sie Paul versprochen hatte, dass sie ihm erzählen würde, was ihr seit einiger Zeit belastete. „Komm schon, du kannst auf ihn warten!" Lisa streckte ihr den Arm aus, ein Zeichen, dass sie Charlotte willkommen hiess. „Na gut, eine Tasse Kaffee geht immer bei mir." Beide Frauen lachten und gingen ins Haus von Lisa. „Charlotte, ich finde es mutig von dir, dass du Paul die Wahrheit sagst." „Hat er..., ich meine...,", stotterte Charlotte und wusste nicht, wie sie es sagen sollte. Lisa setzte einen neuen Filter in die Kaffeemaschine ein und zählte ohne Worte Kaffeepulver in den Filter, ehe sie die Maschine startete. „So, Kaffee läuft. Du meinst, ob mein Bruder mir erzählt hat, dass ihr zusammen im Bett wart? Ja, das hat er." Rötliche Farben machten sich an Charlottes Wangen bemerkbar und sie würde am liebsten im Boden versinken. „Hey", Lisa näherte sich Charlotte an und legte ihr eine Hand auf die Schulter, „ich kann mir vorstellen, dass es dir unangenehm ist, dass ich das weiss. Aber es geht nicht um mich, sondern um Jenny und Paul. Die beiden gehören einfach zusammen, und ich glaube, das weisst du auch?" Gequält lächelte Charlotte Lisa an. „Ja, das ist mir bewusst geworden, als ich die beiden zusammen sah letzte Nacht. Und Pauls Worte, dass er nur Jenny liebt. Da war schon längst klar, dass er nichts für mich empfindet." „Kannst du damit leben?", fragte Lisa. „Ich denke schon, ja. Aber was noch auf mich zukommt, das macht mir etwas Angst. Meine Mutter weiss das schon, ich habe es ihr heute früh gebeichtet. Sie war nicht begeistert, aber versprach mir Unterstützung." Der letzte Tropfen Kaffee sickerte durch das Filter, Lisa schenkte Kaffee in die zwei vorgesehene Tassen und das Aroma duftete in der Küche. „Ich weiss nicht, wie Paul die Sache aufnehmen wird. Er wird bestimmt enttäuscht von mir sein." Traurigkeit bildete sich in Charlottes Augen. „Paul wird dich nicht hassen, vielleicht eher über dein Vertrauen enttäuscht werden." „Da bin ich mir nicht so sicher, dass er mich nicht hassen wird." Man hörte den Mercedes auf den Hof fahren. „Ah, da kommen meine Eltern. Und du, Paul hat die Wahrheit verdient." „Ja, ich weiss", sagte Charlotte und folgte Lisa mit der Tasse Kaffee in der Hand nach draussen. Klaus beschwerte sich mal wieder über den Arzt, der immer alles besser wusste und Paul musste ihn ein wenig zügeln. „Papa, es dauert noch etwas." „Und wenn das Medikament zugelassen wird, dann kaufen wir die Tabletten", meinte Helga, als sie Lisa kurz erzählte, dass der behandelte Arzt einen Vortag über ein neues Medikament gegen die Demenzerkrankung vorführte. Als Paul Charlotte sah, wunderte er sich über ihren Besuch. „Hi, wollten wir uns nicht am Abend unterhalten?" „Hallo Paul, wie geht es deiner Hand?" Paul hatte ein Pflaster am Handrücken. „Geht schon, ein paar Kratzer. Gibt es noch Kaffee?", wollte er wissen und Charlotte reichte ihm ihre Tasse. „Danke!" „Können wir bitte irgendwo ungestört unterhalten?" Nachdem Paul einen Schluck Kaffee zu sich genehmigte, nickte er und schlug vor, eine Runde spazieren zu gehen. Charlotte atmete tief ein- und aus, ehe sie neben Paul ging.

Semir fuhr Streife mit Jenny. Unterwegs hielt Semir an einer Raststätte an und lud Jenny auf einen Kaffee ein. Auf einer Parkbank nahmen die beiden Platz und Semir erzählte Jenny die Geschichte, was er an dem Abend bei der Schrankmann im Flur erlebte. „Was?" Jenny war total geschockt, als Semir ihr das kleine Fläschchen zeigte. „Hartmut hat herausgefunden, dass da drin K.O.-Tropfen waren. Paul ist reingelegt worden." Die ganze Rückfahrt verlief schweigsam, nichts passierte und so standen sie in einem Feierabendstau. „Na toll, das auch noch!", ärgerte sich Semir. „Ich hatte mich darauf gefreut, mit meiner Familie mal wieder pünktlich zum Abendessen am Tisch zu sitzen." Es herrschte Stille. Semir war das nicht gewohnt, dass ihm nicht geantwortet wurde oder irgendeine Bemerkung zugesprochen wurde. Er vermisste Pauls Witze oder seine Antworten. Nachdem der BMW einige Meter weiterrollte, konnte Semir nicht mehr mit ansehen, wie Jenny schweigsam und traurig zu den Seitenfenstern hinaussah. Dort war nichts anderes als nur Gebüsche und Streifenplanken. „Jenny?" Semirs Worte rissen Jenny aus ihren stillen Gedanken. „Hast du was gesagt?" Irritiert schaute Jenny Semir an. „Jenny! Rede bitte mit Paul, ihr...", weiter kam Semir nicht, da Jennys Handy auf einmal klingelte. Sie sah kurz auf das Display und flüsterte:"Das ist mein Anwalt. Ich muss kurz ran." Sie nahm das Gespräch an und Semir kam gerade mal fünf Meter weiter mit dem BMW. „Danke", sagte Jenny mit leiser Stimme.   

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt