No. 100

165 12 1
                                    


Martin wies seine Tochter ein wenig von sich zurück, um ihr besser in die Augen sehen zu können. „Wer ist Paul? Was ist mit Alex?" Geschockt war ihr Vater trotzdem, aber auch eine Erleichterung stand in seinem Gesicht geschrieben, denn er mochte Alex nicht so besonders. Aber er wollte nur das Beste für seine Tochter und mischte nicht in deren Liebesangelegenheiten ein. „Ich habe Paul in Kalifornien kennengelernt und fühlte mich zu ihm hingezogen." Mit dem Handrücken wischte Jenny die Tränen in ihrem Gesicht und zückte ihr Handy aus der Jackentasche. Martin sah zu ihr, wie sie auf dem Display scrollte und sah das Bild. „Sieht nett aus, dieser..., wie heisst er noch mal?" Das Bild zeigte eine Aufnahme am Huntington Beach, wo Paul und Jenny an dem einen Abend auf der Pier spazierten und sich für ein Selfie knipsen liessen. „Paul", zaghaft sprach Jenny dieses Wort aus und ihre Stimme wurde wieder traurig. „Es gibt nur dieses eine Bild von uns beiden." Jenny wich ihren Blick nicht vom Foto. „Und weswegen weinst du denn? Ah, Alex weiss das und ist ausgerastet?" Jenny schüttelte hektisch mit ihrem Kopf, und ihre Haarsträhne klebte an der nassen Wange. „Wie, Alex weiss nichts?" Jenny hatte den Kopf immer noch gesenkt und Martin strich ihr behutsam die Strähne hinters Ohr. „Nein! Und das wird er auch nicht!" „Kind, wie stellst du dir das denn vor?" „Da wir in Las Vegas geheiratet haben, wird das eh nicht gültig sein", dachte sich Jenny und ihr Vater stöhnte laut auf. „Falsch!" Martin war aufgestanden und sagte:"Innerhalb von 24 Stunden kann man sie annullieren lassen. Die Ehe in Las Vegas ist somit rechtskräftig und anerkannt, hier in Deutschland müsste nun der Trauschein übersetzt werden und einigen Papierkram, das ist von Behörde zu Behörde unterschiedlich und dann ist sie rechtskräftig! Du hast doch den Trauschein, oder?" „Ja", gab Jenny kleinlaut bei. „Was heisst das jetzt für mich?" „Du hast die Wahl, entweder verheiratet bleiben oder die Scheidung einreichen", zuckte Martin mit der Schultern und fügte schmunzelnd bei:"Ich würde gerne deinen Paul mal kennenlernen!" „Das ist das Problem!" „Wie?" „Paul ist wie vom Erdboden verschluckt, das ist alles, was ich von ihm habe!" Unter Tränen faltete Jenny den Brief, den Paul angeblich geschrieben hatte, auf und zeigte sie ihrem Vater, der wieder neben seiner Tochter Platz nahm und bestürzt den Brief las. „Erzähl mir erstmal in aller Ruhe, damit ich auch alles verstehen kann, was passiert ist." Und so erzählte Jenny ihrem Vater alles und sie fühlte sich gleich daraufhin besser. Ihr Vater war ihre wichtigste Bezugsperson, nachdem die Mutter die Familie vor vielen Jahren verlassen hatte. „Und was ist mit deinem Finger passiert?", wollte Martin noch wissen und Jenny erzählte noch von dem Vorfall im Bad. Der Vater tröstete Jenny und diese war an seinem Körper nach dem vielen Tränen müde eingeschlafen. Vorsichtig stand Martin auf und liess die schlafende Jenny auf der Couch zurück und deckte sie mit einer Decke zu. Dankbar kuschelte sich Jenny hinein und der Vater warf nachdenklich einen Blick auf die Tochter bevor er ins Arbeitszimmer ging und eine Nummer in seinem Handy wählte.

Stunden vergingen und Alex machte sich Sorgen um seine Verlobte. „Wo kann sie nur sein?" Viola zuckte ahnungslos mit den Schultern und im Moment klingelte Alex Handy. „Danke!", sagte er nur, als das Gespräch auch schnell wieder beendet war. „Jenny ist bei ihrem Vater. Er hat mir kurz Bescheid gegeben." „Was ist denn überhaupt passiert?" Viola verstand die Aufregung gar nicht und bis jetzt hatte Alex geschwiegen. Doch jetzt brach Alex das Schweigen und erzählte seiner Mutter, was in Kalifornien passiert war. „Jenny hatte eine Affäre!" Vor Schreck hielt Viola ihre Hände vor dem offenen Mund. Aber dass Alex auch das Vergnügen mit Amanda hatte, verschwieg er seiner Mutter. „Ja, und weiter?" Den Brief von Paul legte Alex auf den Tisch und Viola begann zu lesen. „Jenny wollte dir sagen, dass sie in einen anderen verliebt war und in Amerika neu durchstarten würde." „Denke ich mal", sagte Alex, „aber Jenny hat mir bis jetzt noch kein Wort davon gesagt, nur dass es um ihre Freundin Paula gehe." „Paula?", wunderte sich Viola und Alex klärte sie auch schnell auf. „Ach Gott! Ja, und jetzt?" Dann erzählte Alex, dass er einen falschen Brief geschrieben hatte und seitdem war Jenny so abweisend. „Ich denke, du hast das Richtige gemacht!" Alex war überrascht, wie seine Mutter ihn lobte. „Sicher?" „Ja, jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass Jenny den Mann schnell vergisst und eure Hochzeit steht nichts mehr im Wege!" Viola spitzte ihre Lippen, kratzte sich an der Stirn und überlegte sich einen Plan.

Lisa fand ihren Bruder nachdenklich auf der Treppe, die von der Terrasse aus in den Garten führte, sitzend vor. Sie überreichte ihm ein dickes Kissen und setzte sich ebenfalls auf den zweiten Kissen. Die Bierflasche, die Lisa in ihrer Hand hatte, klirrte gegen die von Paul. In der anderen Hand hatte Paul seine Halskette liegen und berührte immer wieder den Ring. „Ich vermisse Jenny!" „Du liebst sie wirklich", stellte Lisa mit einem warmherzigen Lächeln fest, woraufhin Paul sie ansah. „Ja, das tue ich! Ich liebe sie aus vollem Herzen und sie ist was Besonderes!" Paul schmunzelte und trank einen Schluck Bier. „Wir wollten uns ein Leben in Kalifornien aufbauen, ich habe ihr meinen Hausschlüssel gegeben. Aber ich kann mir nicht erklären, wieso sie nicht im Haus ist." Dann fiel Lisa ein, was nun mit dem leeren Haus ist, das neben ihrem stand. „Wird das noch was?", wollte sie wissen und Paul grinste kurz, stand auf und verschwand ins Haus. Kurz darauf kam er mit einem Briefumschlag zurück, der an seine Schwester adressiert war. Er riss den Brief auf und zeigte Lisa die gezeichneten Bauskizzen...    

California - The Endless SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt