Mit geschlossenen Augen atmete Jenny einmal tief ein und aus. Als sie die Augen wieder öffnete, liefen vereinzelt Tränen herunter. Es klopfte und die Ärztin, Dr. Sellmann, betrat das Krankenzimmer. „Hallo, Frau Dorn", blieb die Ärztin höflich bemüht, als sie Jennys trauriges Gesicht sah, „wie fühlen Sie sich heute?" „Irgendwie leer...", sagte Jenny leise. Die Ärztin nickte und blätterte in der Krankenakte. „Sie haben die OP gut überstanden. Alles wird gut verheilen." Jenny sah sie nur noch an. Mein Herz hatte schon einen Riss bekommen. Dr. Sellmann klärte ihr noch ein paar Sachen auf. „Und von der Action auf der Autobahn muss ich Sie erstmal krankschreiben lassen", sagte sie beiläufig und klappte die Akte zu. „Eine Frage hätte ich noch", meinte Jenny zur Ärztin gewandt. „Nur zu." „In der wievielten Woche bin...", kurz schloss sie die Augen und schüttelte mit dem Kopf. Mühsam brachte sie den Satz zu Ende. „Entschuldigung, war ich schwanger?" Schnell schaute die Ärztin wieder in die Akte. „Zwischen der zehnten und elften SSW." Jenny nickte nur. „Kann ich wenigstens zu Paul? Ich möchte sehen, wie es ihm geht." „Ich lasse Ihnen eine Schwester holen und sie wird Ihnen mit einem Rollstuhl zu Ihrem Mann bringen." „Rollstuhl?" „Zu ihrer eigenen Sicherheit. Die OP ist noch frisch und...", wurde Dr. Sellmann unterbrochen. „Jaja, habe schon verstanden. Danke." Bevor die Ärztin gehen wollte, räusperte sie sich kurz, ehe sie loslegte. „Frau Dorn, die Situation, was Sie gerade erlebt haben, das haben auch einige andere Frauen durchgemacht. Wenn Sie mit Jemandem darüber reden möchten, ich kenne einen guten Psychologen." „Danke, ich überlege es mir", sagte Jenny, der es zu viel über dem Kopf wurde. Nachdem Dr. Sellmann wieder gegangen war, wälzte sich Jenny auf die andere Seite und starrte aus dem Fenster und dachte an Paul. Aber auch die Schuld machte sich bemerkbar. Wie konnte es nur soweit kommen? Wenn wir nicht diesen Unfall gehabt hätten, hätte unser Baby gelebt. Unser Baby. Wieder klopfte es an der Tür. Nicht die Krankenschwester mit dem Rollstuhl betrat das Zimmer, sondern Semir. Jenny drehte sich zur Tür um und richtete sich langsam auf. Er hatte einen kleinen Blumenstrauss in der Hand. „Hallo, Jenny!" Als Jenny den bunten Blumenstrauss sah, konnte Semir schwören, er hatte ihr Lächeln gesehen. Auch wenn es nur ein kurzes Lächeln war. „Damit dein Zimmer etwas Farbe hat", witzelte Semir und suchte nach einer Blumenvase. Er fand keine und auf Jennys Vorschlag, es in den Glas zu stecken, tat Semir wie befohlen. „Wie geht es dir?" „Tja,...wie soll es mir denn schon gehen? Was ist mit Paul?" „Ich wollte ihm gleich einen Besuch abstatten. Er hatte eine lange OP gehabt. Die Ärzte haben ihn in ein künstliches Koma versetzt." „Mist!" Jenny warf ihren Kopf in den Kissen. „Jenny, Paul wird es schaffen. Ich bin mir da sicher." „Wir hätten nicht streiten sollen, dann wäre das alles nicht passiert." „Jenny, mach dir keine Vorwürfe." „Doch, die mache ich mir. Meinetwegen liegt Paul da und kämpft um sein Leben und ich habe unser..." Sofort verstummte Jenny und begann zu weinen. „Komm her", tröstete Semir Jenny wie eine Tochter. Widerwillig liess sich Jenny in seine Umarmung fallen. Beim Vorbeugen stiess sie einen kleinen Schrei aus. „Alles ok?", fragte Semir besorgt. „Ja", schniefte Jenny. Sanft streichelte Semir an ihren kurzen, braunen Hinterkopf. Auch wenn Semir ihr Kollege war, es tat Jenny für einen kurzen Moment gut, sich geborgen zu fühlen. „Wieso bist du gestern operiert worden? Ich dachte, du hättest nur Schürfwunden?" Stille. „Jenny?" „Nicht jetzt, ok?", schniefte sie. Langsam drückte Semir Jenny von sich und sah ihr in die Augen. Sie hatte schon viele Tränen vergossen. „Jenny, Paul wurde auf der Party von der Schranke mit K.O.-Tropfen verführt", begann Semir zu reden. Er hoffte, es würde Jenny ein wenig aufheitern. Doch das Gegenteil schlug ein. Sie brach wieder in ein Schluchzen aus. „Fuck, wieso hast du das nicht vorher gesagt? Dann wäre mir das alles erspart geblieben." Irritiert rüttelte Semir an Jennys Schultern. „Was ist denn passiert?" Das Gespräch wurde unterbrochen, die Krankenschwester kam mit einem Rollstuhl in das Zimmer. „Entschuldigung", sagte sie schnell, als sie merkte, dass sie störte. „Schon ok", nickte Semir und deutete mit dem Kopf zum Rollstuhl, als Jenny zu ihm aufsah. „Ich wollte Paul besuchen." „Ich bringe dich dahin." Mit einem Ächzen stand Jenny vorsichtig auf und wurde von Semir gestützt. Sie liess sich in den Rollstuhl nieder. „Mein Vater kommt später noch vorbei und bringt mir Wechselklamotten mit. Dieser Kittel ist sowas von scheusslich." Semir schmunzelte hinter ihr. Jenny bat der Krankenschwester noch, ihr die warmen Strümpfe an den Füssen anzuziehen, ehe sie zu Paul konnte.
Auf der Intensivstation abseits des Intensivzimmers sprachen die Eltern von Paul mit dem behandelten Arzt, Dr. Brentano, während Lisa im Schutzkittel bei ihrem Bruder war. „Was machst du nur für Sachen, Bruderherz", flüsterte Lisa. Die Eltern bestanden auf eine Chefarztbehandlung, dafür hatten sie eine extra Krankenversicherung für ihren Sohn angespart und nun war der Fall eingetroffen, wo Paul eine höhere Behandlung brauchte. Schnell wurde ein Chefarzt, Dr. Heilmann, zur Seite gestellt. Von Brentano bekam er die Akte überreicht. Der Chefarzt lobte die Arbeit seines Kollegen. „Wie Dr. Brentano es Ihnen bereits erklärte, ist der Zustand ihres Sohnes weiterhin kritisch." Helga kramte in ihrer Handtasche und suchte nach einem Taschentuch. Damit trocknete sie die Tränen. Da ging die Schiebetür zur Intensivstation auf, Semir schob den Rollstuhl mit Jenny hinein. Zum ersten Mal trafen sich die Augen von Helga, Klaus und Jenny aufeinander auf. Als Jenny Helga die Tränen abwischen sah, befürchtete sie das Schlimmste. „Ist was mit Paul passiert?", rief sie und wollte fast vom Rollstuhl aufstehen.
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California - The Endless Summer
RomanceZwei Welten prallen aufeinander, die nicht unterschiedlicher sein könnten... Paul, der Sunnyboy, der die Frauenherzen höher schlagen lässt und seiner Leidenschaft fürs Surfen nachgeht, und die Perfektionistin Jenny, die zum ersten Mal eine Abenteuer...