Kapitel 40

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Noch bevor es wirklich hell war, erwachte Samu auch schon wieder. Stöhnend. Der Traum, den er hatte, liess ihn, einmal mehr, nicht wirklich kalt, was das Geschmiere in seiner Boxer zeigte.’Mensch Hapa, echt jetzt?’ Samu schleppte sich genervt unter die Dusche. Das lauwarme Wasser, kühlte Samu etwas ab. Gerädert, fühlte er sich jedoch immer noch. Deshalb war er froh, hatte ihm Mikko noch eine Woche Frei eingeräumt, um wieder ganz Zuhause an zukommen. Samu fühlte sich miserabel und hätte nicht die Energie, heute Riku zu begegnen. Nicht so.
Seufzend ging Samu in die Küche, um sich erst einmal einen Kaffee oder zwei, ein zuflössen. Seinen Allgemeinzustand, änderte sich jedoch dadurch nicht. Heute gab es einen Sofa Tag, befand Samu. So setzte er sich, in seiner Jogginghose, einem Sweatshirt und Omas Kuschelsocken, vor den Fernseher. Welchen er, nach ein paar Mal hin und her zappen, auch wieder ausmachte.
Statt dessen, nahm Samu seine Lady. Ob Musik auch bei Liebeskummer der wirklich heftigen Art und Weise half, wusste Samu nicht. Diesen, hatte er noch nie. Gedankenverloren, klimperte er also ein bisschen auf seiner Gitarre herum. Bereits bestehende Songs, neue und einfach irgendwelche Melodien. Bis seine Finger über die Saiten glitten und diesen eine unbekannte und doch irgendwie vertraute Melodie entlocket. Diese, schien direkt aus Samus Herz mit und zu ihm zu sprechen. Genau wie die Worte, die ohne darüber nachzudenken, seinen Mund verliessen. Sich mit der Melodie verbanden und zu einer Einheit, einem Ganzen wurden. Genau wie sein Herz und Verstand, vor ein paar Tagen, Samu kam es vor wie eine halbe Ewigkeit, sich die Hand gaben und von diesem Augenblick an, in die selbe Richtung gingen.
‘I need to see you right now
You blow me away
There's really something here
I need to hold you tight now
I want you in that way
I really think you feel the same
We spend much time together
You messed my hair
And I needed nothing more
Without you I am all right
I love my life today
But I love you so much’
Als würde er den Song schon eine Ewigkeit kennen, reihte sich Akkord an Akkord und wurde zu einer Melodie. Formten sich die Worte in Samus Kopf zu Sätzen zusammen und verliessen seinen Mund. Es war genau das, was er fühlte. Die Stimme tief und kräftig. Zumindest zu Anfang.
‘Somebody say when the fight is over
My heart is all burned
And nothing can ease the pain
I'm falling into something I'm scared
It's all about him
And I can't believe myself
I behave like a little girl it's unfair
When will this fairytale get easy
When will this doubt disappear from my head
Please somebody help me'
Vor sein geistiges Auge, kroch sich Riku. Wie er, in die gemeinsame Musik versunken, neben ihm sass. Sein Lachen, welches einfach nur zum dahin schmelzen war. Die süssen Fältchen, die sich dabei um seine Augen legten. Samu seufzte. Dabei wurde sein Herz immer wie schwerer, so dass Samu nicht wusste, ob es sich noch länger in seiner Brust festhalten konnte. Doch seine Finger spielten weiter. Dieses Mal schien die Musik ihren Dienst zu verweigern, wenn es darum ging, ruhiger zu werden. Die Töne und Worte, brachten Erleichterung und Traurigkeit zu gleich. Konnte ihm den keiner helfen?
‘I took the spoon off my cup
Like you always do
Cause it means bad luck in love
It's benn the day of my life
But I'm thinking of you
I seem to miss someone'
Tränen verschleierten nun Samu Sicht. Suchten sich ihren Weg über seine Wangen und tropften zu Boden. Zuerst nur einzelne. Bis aus einer einzigen Träne, ein ganzes Meer wurde, welches unaufhörlich aus seinen Augen strömte. Brennend heiss, hinterliessen sie eine feurige Spur auf Samus Wangen. Es fühlte sich an, als würde jemand sein Herz mit kalter, eiserner Hand umfassen und zerdrücken wollen. Zusammengekauert, lag er nun auf dem Sofa. Die Beine fest an seinen Körper gedrückt und seine Arme um diese geschlungen. Einmal mehr in der Hoffnung er könne so den Druck in seiner Brust entgegen wirken. Den Schmerz in seiner Brust lindern. Doch eigentlich sollte er es mittlerweilen besser wissen, dass es nichts brachte. Schmerzen waren Gefühle und diese, machten bekanntlich, was sie wollten.

Die durch die gezogenen Vorhänge, gedämpften Sonnenstrahlen, weckten Riku am nächsten Morgen, nach einer erstaunlich ruhigen Nacht. Nächster Morgen, war jedoch nicht ganz richtig. Riku hatte doch tatsächlich die letzten Tage und Nächte geschlafen. Er wusste nicht einmal mehr wieviele es waren. Nicht durchgeschlafen, nein. Riku erinnerte sich daran, dass er immer mal wieder in einem schläfrigen Wachzustand war. In dem er versuchte, wach zu bleiben und irgendwas Sinnvolles zu tun. Doch der Versuch scheiterte immer kläglich daran, so dass sich Riku, nachdem er aufgestanden war, zurück ins Bett legte und unter seine warme Decke kuschelte. Oder sich einfach auf die andere Seite drehte und weiter schlief. Es war ein bisschen so, wie wenn man von einer fiebrigen Grippe in Schach gehalten wurde. Doch krank war Riku nicht. Er fühlte sich bloss so unheimlich schlapp. Es war dieses Gefühle, innerlich getrieben zu werden, was eine Unruhe und Ratlosigkeit auslöste, was zu diesem merkwürdigen Zustand führte und ihm zu schaffen machte.
Riku seufzte, drehte sich auf den Rücken und strich sich übers Gesicht. Dieses Gefühl, hatte Riku nicht erst seit gestern. Sondern schon seit einigen Tagen. Oder Wochen. Eigentlich seit...
Riku kniff fest die Augen zusammen und ein genervter Laut entwich ihm. Doch konnte er es nicht leugnen, dass seit Samus Abreise nach Amerika, dieser Zustand sich in seinen Körper schlich und ausbreitete. Mehrheitlich am Tag. Was ihn immerhin relativ gut schlafen liess. Bis auf das Herzrasen, was zwischendurch auftrat, wenn er sich ins Bett legte. Doch schien der Schlaf, nicht so erholsam zu sein, wie erwünscht. Deshalb verbrachte Riku auch fast die ganzen drei Wochen, in denen Samu nicht da war, im Mökki. Er fühlte sich einfach zu ausgelaugt, als dass er sich zu mehr hätte aufraffen können.
Samu. Warum schlich er sich schon wieder in seine Gedanken, kaum hatte er seine Augen geöffnet?
Schnaubend schlüpfte Riku unter der warmen Bettdecke, wo er gerne geblieben wäre, hervor und lief unschlüssig ins Wohnzimmer. Was sollte er jetzt machen? Lustlosigkeit, war eine weitere Begleiterscheinung. Alles Gefühle und Empfindungen, die Riku kannte. Vor mehr als einem Jahr, war er schon einmal in dieses Fahrwasser abgedriftet. Nur viel tiefer und aussichtsloser. Wie in einem Strudel oder einer Art abwärts führenden Spirale. Bis zu dem Tag, an dem er zurück nach Helsinki fuhr, um zu sehen, ob das Glück vielleicht einmal wieder auf seiner Seite war. Und tatsächlich war es das. Von da an, ging es wieder stetig bergauf. ‘Und wem hast du das zu verdanken?’, stichelte der kleine Teufel in ihm. „Und wer hat mich gerade wieder in diese scheiss Situation gebracht?“, stellte Riku eine Gegenfrage. So weit, würde er es jedoch nicht mehr kommen lassen. Jetzt hatte er auch ein paar Menschen um sich, als seine Familie, die ihn vermissen und sich Sorgen machen würden, wenn er einfach Tage oder Wochen lang, wie vom Erdboden verschluckt bliebe.
Riku entschied sich, bevor er sonst irgendwas machte, an die frische Luft zu gehen. Also zog er sich seine Laufsachen an und trat an die frische Luft. Eisigkalt, war jedoch schon eher der richtige Ausdruck. Doch vielleicht würde er das Karussell in sich etwas vereisen, damit es zumindest weniger schnell seine Kreise zog. Joggen bei diesen Temperaturen, war nicht die beste Idee, musste Riku sich eingestehen. Doch eigentlich, hätte er es ja wissen sollen. Er lebte ja nicht erst seit gestern in Finnland. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde Riku seine Lungen mit Blei füllen. ‘Sag mal, willst du dich umbringen du Vollidiot.’, herrschte ihn seine innere Stimme an. Riku kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Natürlich nicht. Warum auch? Er wollte doch nur das dieses Gefühl in ihm verschwand. Riku sah sich um. Weit war er gar nicht gekommen. Bloss bis zum See. Riku lachte laut auf. Es war ja auch nicht weiter erstaunlich, bei dem Schnee, durch den er sich kämpfen musste. Jetzt konnte er nicht einmal einen Stein in den See werfen. Vielleicht würde es ja heute etwas bringen. Doch die Steine waren alle unter dem Schnee verborgen und der See war gefroren. Es war gerade alles gegen ihn. Was mach ich also noch hier draussen, fragte sich Riku. Nichts wie zurück, bevor er hier draussen noch fest fror. Denn finden, würde ihn ohnehin niemand. Wer sollte ihn hier draussen auch suchen. Ausser seiner Mutter, wusste niemand, wo er war und ihr hatte er versichert, dass es ihm gut ging. Der einzige Mensch, der ganz genau wusste, dass dies nicht so war, hatte keine Ahnung von seiner Flucht hier ihn. Er kannte diesen Ort ja nicht einmal. Samu.
Bevor er mit ihm hier her kommen konnte, offenbarte dieser ihm, dass er sich in ihn verliebt hatte. Riku schüttelte den Kopf.
Liebe.
Nach einer ausgiebigen Dusche, die Rikus kalte Glieder und Muskeln wärmte und auftauen liess, setzte er sich mit einer heissen Schokolade vor den glühenden Kamin. Heisse Schokolade? Echt jetzt, Mann? Riku seufzte. Sie soll doch gegen alles helfen. Was war er für ein erbärmlicher Jammerlappen.
Riku griff nach seiner Gitarre. Das Einzige, was ihn jetzt noch mit Samu zu verbinden schien. Es war auch das Einzige, was einfach so funktionierte, ohne gross darüber nachdenken zu müssen. Weil es verinnerlicht war und zu einem Art Reflex wurde. Genau wie Atmen und Leben. Zweites war jedoch ein eher anstrengender Reflex. Zumindest zwischendurch. ‘Jetzt lass doch einmal das Denken und lass allem freien Lauf, was in dir herum schwirrt.’ Denken war eben auch so ein Reflex, den man nicht einfach so ausschalten konnte.
Riku schloss die Augen und fing an, die Saiten seiner Gitarre zu streicheln. Ohne darüber nachzudenken, was er spielte. Kaum hielt Riku eine Gitarre in seinen Händen, entwickelten diese ein Eigenleben. Genau so wie sein ganzer Körper. Die Musik floss erst einmal durch seinen Körper. Was seine Finger der treuen Lady gerade entlockte, war nichts, was er schon kannte. Es war neu. Dennoch fühlte es sich vertraut und vor allen Dingen erleichternd an.
‘Please bring me another Tequila
I don't need a sober day just yet
I don't wanna try to get up
There's a dark cloud over my head’
Hauchten seine Lippen die Worte, die die Gefühle und Empfindungen treffend genau beschrieben, die sich in Rikus Innern austobten.
‘I don't need another umbrella
I'm already wet from head to toe
There's no need to wear a sweather
I'm way to deep in the cloud’
Ja wer brauchte schon etwas zum Anziehen, wenn das, was einen von innen her wärmte weg war und man das Gefühl hatte, man sei nass bis auf die Knochen und würde niemals mehr wieder warm werden. Als würde man in der kalten Dunkelheit wandern, ohne einen Weg zurück.
‘Hey little fighter
Soon it will be brighter
We're over the stormy end
I'll find another
One to make it better
Some day in the ruins we made’
Einen Besseren. Niemals mehr, würde er einen Besseren Menschen finde, als er ihn in Samu gefunden hatte. Der einzige Mensch, der ihn an der Hand nahm und ohne Worte sagte ‘Komm kleiner Kämpfer. Zusammen schaffen wir das. Der Sturm wird irgendwann auch wieder vorbei sein’. Riku entwich ein Schluchzen.
‘Hey little baby
My heart will be aching with scars from the stormy end
I might recover
As someone else's lover
And stay away from the rain’
Samu hatte ihm immer und immer wieder zu spüren gegeben, dass er für ihn durchs Feuer gehen und im Regen stehen bleiben würde.
‘You don't need a guide to help you
I know you'll fine when the winds calm down
I'll be brave but being without you
I'll have a storm in my heart’
Er war allein. Er war ohne Samu. Sein fester Anker im Sturm. Und das, nachdem er sich doch so sehr darauf gefreut hatte, dass er endlich wieder da war und sich so unglaublich wohl gefühlt hatte, als sie zusammen waren und einfach taten, was sie immer taten. Bis der Sturm in seinem Herzen seinen Lauf nahm. Durch drei kleine Worte, die einem so leicht über die Lippen kommen. Die zu begreifen jedoch um so schwerer waren.
‘It's all done
The sky's getting clear
So break away from the stormy my love
We can't take it back anymore
We can't make it right anymore’
Würde sich der Himmel wirklich wieder irgendwann lichten? Auch für ihn? Konnte er irgendwann wirklich einfach nur glücklich sein? Ohne immer wieder Rückschläge einstecken zu müssen? Zumindest für ein paar Monate oder Jahre. Mehr verlangte er doch gar nicht. Doch zurück drehen, konnte er die Zeit nicht. Nicht die letzten Tage. Nicht die letzten Stunden, die er bei Samu war.
Nicht richtig machen. Was war denn richtig? Das Samu ihn liebte? Seinen besten Freund? Einen Mann? Das er es ihm gesagt hatte und ihn damit in eine Krise stürzte?
Rikus Körper schüttelte es regelrecht von der Flut an Tränen, die aus seinen Augen strömte. Wie konnte ein einzelner Mensch nur so viele Tränen haben und vergiessen. Wie konnte ein Mensch allein, so viele unterschiedliche Gefühle und Empfindungen in seinem tiefsten Innern haben und diese auch noch ertragen, wenn sie gerade in ihrer ganzen Heftigkeit, über ihm herein brachen. Würde er selber sie überstehen oder darunter zusammen brechen? Riku wusste es nicht. Er wusste nur, dass er ihnen, im Moment klein bei geben musste. Weil niemand da war, der in schützend und beschützend in den Arm nahm und ihm sagte ‘Zusammen schaffen wir das, Riku'.
„Samu“, entwich es Riku schmerzlich vermissend, während er sich am Boden, vor dem Kamin, zusammenrollte und den Sturm über sich ergehen liess

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