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Ich ließ mich auf denselben Stuhl fallen, auf dem ich gestern beim Abendessen gesessen hatte. Eine Pflegerin hatte mich um acht Uhr geweckt, mir gesagt das ich zum Essen kommen müsse, mir einen Wochenplan in die Hand gedrückt und war wieder gegangen. Und nun saß ich hier, aber Hunger hatte ich keinen.
Ich blickte aus dem Fenster. Irgendwo war die Sonne aufgegangen, aber der Himmel war dennoch wolkenverhangen.
Zwei Stühle wurden zurückgeschoben und ich blickte in die Gesichter von Julien und Rezo. Fast sofort wandte ich wieder den Blick ab.
,,Das mit gestern ist schon okay, Mexify", sagte Rezo mit ruhiger Stimme und ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.
Na super, jetzt setzte er sich auch noch neben mich.
,,Wir alle sind erstmal so drauf gewesen", er nahm die Hand wieder weg und ich entspannte mich wieder.
,,Aber irgendwann gewöhnt man sich dran", Julien setzte sich mir gegenüber. Ich presste die Lippen aufeinander.
Ich will mich nicht an all das gewöhnen müssen.
Die beiden schienen die Klinik hier mitlerweile als selbstverständlich zu sehen, aber unter keinen Umständen wollte ich hier auch nur eine Minute länger bleiben. Die beiden begannen wieder ein Gespräch über irgendwelche Therapieangebote und ließen mich zum Glück vorerst in Ruhe. Aber dafür kam jetzt eine Pflegerin auf mich zu.
,,Ach da bist du ja Maximilian. Ich hoffe du hast gut geschlafen und konntest dich etwas eingewöhnen", sagte sie freundlich. Ganz sicher nicht.
,,Ich würde gerne mit dir über deine Medikation hier sprechen. Bist du fertig mit Essen und kannst gleich mitkommen?", sprach sie einfach weiter. Am liebsten hätte ich nein gesagt und wäre einfach wieder in mein Zimmer gegangen. Aber dann würde ihr sicher auffallen, das ich nichts gegessen hatte.
Also folgte ich ihr einfach.

Wir gingen zu einem Raum am Anfang der Station. Ein anderer Pfleger begrüßte mich dort, aber ich ignorierte ihn.
,,Du bekommst von uns erstmal Venlafaxin, Mirtazapin und..." Ich hörte auf zuzuhören. Antidepressiva also. Cool, was hatte ich erwartet? Eine ganze Packung Schlaftabletten wäre ja auch zu viel verlangt gewesen.
Ich sah erst auf, als sie mir ein kleines Glas mit drei verschiedenen Tabletten und eine Wasserflasche entgegenhielt. Ich nahm alle in den Mund und spülte sie einfach runter.
,,Jedes mal nach dem Frühstück kommst du bitte zu uns und nimmst die jetzt", sagte die Pflegerin, aber ich drehte mich nur um und verließ den Raum.
Cool, jeden Tag unter Aufsicht Tabletten nehmen. Danke für nichts, Welt.

Als ich am Speiseraum vorbeiging stellte sich mir eine Person in den Weg. Ich sah auf und Rezo lächelte mich an.
,,Willst du mit zum Pavillon?", fragte er. Ich sah ihn verständnislos an.
,,Ach du bist ja neu. Dort treffen wir uns mit Patienten der anderen Stationen und unterhalten uns ein wenig", sagte er. Ich schüttelte den Kopf. Ich musste nicht noch mehr Psychos sehen.
Aber er ließ nicht locker:,,Wenn du nur in deinem Zimmer sitzt, wird man dich dazu irgendwann zwingen. Das ist noch schlimmer, glaub mir. Außerdem wollen die anderen dich sicher kennenlernen."
Ist mir doch egal was die anderen wollen.
,,Du kommst mit", entschied Julien, bevor ich etwas anderes sagen konnte und schob mich langsam wieder in die Richtung aus der ich gerade erst kam. Ich wehrte mich nicht und lief einfach vor den beiden her.
Vor dem Raum aus dem ich gerade gekommen war, hielten wir an und Julien betrat ihn. Er redete mit dem Pfleger und zeigte auf uns drei. Dieser notierte etwas, dann wurde die Glastür vor uns auch schon geöffnet. 

Rezo übernahm die Führung, eine Treppe runter und dann durch eine weitere Tür nach draußen in einen großen Innenhof.  Auf der gegenüberliegenden Seite waren mehrere Bänke unter einem Pavillon.
Zwei Jungen und ein Mädchen saßen dort und unterhielten sich. Sie lachten.
Als sie uns drei bemerkten kam ein großer Junge mit türkis gefärbten Haaren auf Rezo zu und umarmte ihn:,,Morgen Rezo." Er hatte eine angenehm tiefe Stimme um die ich ihn irgendwie beneidete. Auch Julien bekam eine kurze Umarmung, bevor er mich musterte.
,,Und du bist der Neue?", fragte er interessiert.
,,Ja, das ist Mexify", stellte Julien mich vor, ,,Er redet nicht gern."
Cool, also bin ich jetzt schon die Person die nicht redet. Andererseits wollte ich auch gar nicht reden.
,,So waren wir am Anfang doch alle", sagte der stattdessen, ,,Kannst mich Taddl nennen, oder einfach T, wenns dir zu lang ist."
Er drehte sich um und wir folgten ihm zu den Bänken. Ich setzte mich neben Rezo und musterte die anderen.
,,Das ist Mexify", stellte mich Taddl den anderen vor. Am liebsten hätte ich mein Gesicht noch weiter unter meiner Kapuze versteckt. Aber das ging leider nicht.
,,Ardy", stellte sich ein Junge mit knallrot gefärbten Haaren vor, der neben Taddl saß. Das Mädchen neben ihm hatte schwarze Haare.
,,Kannst mich Luna nennen", stellte sie sich vor.
,,Die drei sind von Station vier, also der offenen", sagte Rezo.
,,Kommst du bestimmt auch ganz schnell hin", bemerkte Luna. 

,,Wisst ihr was neues von Rewi oder Felix?", fragte Taddl.
,,Nein, aber ich hoffe wirklich das sie mal von zwei runterkommen demnächst. Felix ist ja schon zwei Monate bald da", antwortete Julien.
,,Rewi und Felix sind von Station 4 auf die Geschlossene gekommen, Mexify", klärte Rezo mich auf, ,,Felix hatte vor einigen Wochen eine Stunde Ausgang und kam nicht wieder. Er wurde am Bahnhof aufgegriffen. Einige Minuten bevor der Zug kam. Danach ist Rewi total ausgeflippt und... ist jetzt auch da."
Ich nickte nur.
Haben wirs wohl beide verkackt...
,,Wie gehts sonst so?", fragte Ardy.
Julien hielt ihm einen Daumen nach oben vors Gesicht und Rezo grinste übertrieben in seine Richtung:,,Euch?"
,,Ganz okay", sagte Taddl und kramte in seiner Jackentasche bis er eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug herausholte. Er zündete sie an.
,,Rauchst du?", fragte er mich und hielt mir die Schachtel entgegen.
Eigentlich nicht wirklich. Ich hatte vielleicht zehn in meinem Leben geraucht. Aber ich griff mir eine, nahm das Feuerzeug und steckte sie an.
Es passte zu diesem Ort. Irgendwie. Und mir war es auch egal. Ich nahm einen Zug, ignorierte die Übelkeit die plötzlich in mir aufstieg und blies den Rauch aus.
Ja, ich hasste es immernoch. Egal. Ich kniff die Augen zusammen. Rezo musterte mich etwas besorgt.
,,Alles okay?", fragte er.
,,Klar", antwortete ich. Aber das war gelogen.
Nichts ist okay.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt