Ich hatte versucht irgendwie Schlaf zu finden, aber mein Kopf hatte mich wach gehalten. Immer wieder waren Tränen über mein Gesicht gelaufen, ein Schluchzen hatte durch den Raum gehallt oder ein neuer Gedanke hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Zwischen all dem hatte ich kurzzeitig Schlaf gefunden, nur um mich in verzerrten Träumen zu verlieren.
Einmal war ich schweißgebadet aufgewacht und hatte mein Herz so laut schlagen gehört, dass ich das Gefühl hatte, als würde es wie ein Echo durch das ganze Zimmer hallen.
Erst als die Morgensonne durch mein Zimmerfenster zu erahnen war, setzte ich mich auf und schloss für einen Moment die Augen. Die Müdigkeit zerrte an meinen Gliedern und am liebsten wäre ich kraftlos zurück aufs Bett gesunken.
Aber Schlaf hatte keine Bedeutung mehr für mich. Wenn alles klappte, würde ich in ein paar Stunden für immer schlafen. Weder friedlich, noch träumen. Eher treibend in einer endlosen Leere. Aber damit glich der Tod meinem jetzigen Leben wie ein Spiegelbild.
Ich öffnete die Augen wieder und stand auf. Langsam ging ich zum Schrank, öffnete ihn und musterte meine Klamotten.
Worin wollte ich sterben? Spielte es überhaupt eine Rolle?
Unentschlossen griff ich nach dem grauen Hoodie mit dem Dino darauf. Ich zog ihn mir über und zuckte zusammen, als der Stoff meine Unterarme streifte. Die nicht mehr verdeckten Schnitte hatte ich ganz vergessen. Aber es reizte mich nicht, sie mir erneut anzusehen. Ihr Anblick hatte sich mir sowieso in den Kopf gebrannt.
Ich schloss die Schranktür und ging zur Zimmertür. Die Pfleger würden gleich damit beginnen die Station zu wecken, aber das galt nicht für mich.
Ich verließ das Zimmer und betrat das Bad. Schnell drehte ich das Schild auf "Besetzt" und schloss die Tür hinter mir.
Dann trat ich einen Schritt näher zum Waschbecken und warf einen Blick in den Spiegel. Es kostete mich ziemlich viel Überwindung mir selbst in die Augen zu sehen. Sie waren rot von all den Tränen, farblos von den letzten Jahren und matt durch die Hoffnungslosigkeit. Rötliche Schlieren zeichneten sich auf meinem Gesicht ab und bestätigten mir erneut, wie schwach ich war. Sogar die Tränen schafften es sich auf meiner Haut zu verewigen.
Ich fuhr mir durch die braunen Haare und seufzte. In einem anderen Leben hätte ich mein Spiegelbild vielleicht irgendwie akzeptieren können, aber gerade konnte ich nur den zerbrechlichen psychisch kranken Jungen vor mir sehen. Das traurige Gesicht, die braunen Haare, die trostlosen Augen... gab es überhaupt irgendwas an mir, das nicht hässlich war?
Ich drehte den Wasserhahn auf und klatschte mir einen Schwall Wasser ins Gesicht. Dann sah ich erneut in den Spiegel und starrte auf die Tropfen, die über meine Strähnen und mein Gesicht tropften.
Es machte Sinn, dass mich niemand je als hübsch bezeichnet hatte. Egal wie oft ich mich im Spiegel betrachtete, egal wie oft ich danach suchte, etwas schönes hatte ich an mir nie gefunden. Und auch jetzt, so kurz vor dem Ende, fand ich keine Schönheit in meinem Spiegelbild.
,,Schade, Mexi", ich zwang mich zu einem traurigen Lächeln und wandte mich von meinem Abbild ab.
Dann öffnete ich die Tür und verließ das Bad. Eine Pflegerin ging an mir vorbei und begrüßte mich mit einem kurzen "Morgen". Ich erwiderte es nicht. Stattdessen zog ich mir meine Kapuze über den Kopf und ging zum Speiseraum.
Wie erwartet, war er leer. Ohne mir etwas zu Essen zu nehmen, setzte ich mich an meinen Stammplatz und warf einen Blick aus dem Fenster. Auch wenn einige Wolken den morgendlichen Himmel bedeckten, strahlte die Sonne vereinzelt durch einige Lücken. Kein schlechter Tag zum Sterben.
Ich ließ meinen Blick durch den Raum wandern und blieb an der Uhr hängen, die über der Tür hang. Luca würde frühestens in einer Stunden am Pavillion sein. Und bis dahin musste ich mich wohl mit dem Leben vergnügen.
Ich ließ meine Hände in der Bauchtasche des Hoddies gleiten und gähnte. Die angenehme Stille hatte etwas melancholisches. Sonst redeten hier immer Leute, nicht zuletzt Rewi, der die ganze Station unterhielt, wenn er einen guten Tag hatte. Aber jetzt war es hier so leer, wie ich mich fühlte. Und so still, wie ich es bald haben würde.
Ich schloss die Augen und dachte an meinen ersten Tag hier. Wie ich zum ersten mal Rezo und Julien an diesem Tisch sitzen gesehen hatte. Wie sie mich angesprochen hatten. Wie ich sie ignoriert hatte. Hätte ich den Verlauf der Dinge damals geahnt, wären wir vermutlich nie Freunde geworden. Aber so hatte das Leben nun mal mit uns gespielt.
Ich öffnete die Augen wieder, als zwei Jungen in meinem Alter den Essraum betraten und sich ihr Frühstück holten. Sie redeten miteinander und schenkten mir nur einen kurzen Blick, bevor sie sich an einem der Tische niederließen.
Kurz musterte ich sie. Was wäre gewesen, wenn sie meine Freunde geworden wären? Hätte es genauso geendet?
Nachdenklich wandte ich den Blick wieder ab. Das Schicksal hatte mich bisher gebracht. Mein gescheiterter Versuch, meine Einweisung, mein erster Tag, mein Entschluss sie als Freunde zu wollen. All das für nichts? Es ergab keinen Sinn. Aber was war schon sinnvoll?
Als weitere Patienten den Raum betraten, erhob ich mich und ging zur Tür. Hier herum zu sitzen brachte mich nicht weiter.
Ich lief durch den Flur zum Stationseingang und klopfte an die Tür. Frau Jaske öffnete mir und musterte mich überrascht.
,,Kann ich gleich raus?", fragte ich, bevor sie eine Frage stellen konnte.
,,So früh schon?", fragte sie und warf einen prüfenden Blick auf die Uhr.
,,Ich treffe mich gleich mit Freunden von 4", ich zwang mich zu einem Lächeln. Freunde, das trifft es wirklich gut.
,,Um ehrlich zu sein ist mir das etwas früh. Die neue Schicht löst mich in einer halben Stunde ab. Kannst du bis dahin warten?", murmelte Frau Pfeifer nachsichtig. Etwas zerknirscht nickte ich und trat einen Schritt zurück. Vielleicht war es sogar besser, wenn Luca jetzt sowieso noch nicht da war.
Frau Jaske schloss die Tür wieder. Ich seufzte und ließ mich an der Wand gegenüber nieder. Wenn ich schon warten musste, konnte ich das auch hier tun. Warten auf den Suizid.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...