Ich betrat den Speiseraum und sah mich suchend nach den Anderen um. Doch der Tisch, an dem wir immer saßen war leer. Etwas unschlüssig entschied ich mich dennoch für die Essensausgabe und nahm den Teller mit dem dampfenden Pizzastück entgegen, dass mir eine Frau in die Hand drückte.
Mit dem Teller in der Hand setzte ich mich an den Tisch und zog mir meine Kapuze weiter über den Kopf. Auch wenn es ein grausamer Schlaf gewesen war, fühlte ich mich wenigstens etwas fitter. Anders als erwartet war ich kein einziges mal aufgewacht, bis mich ein Pfleger zum Mittagessen gerufen hatte.
,,Na, wieder wacher?", fragte Julien in dem Moment und setzte sich neben mich. Etwas überrascht sah ich zu ihm. Er lächelte und stellte seinen Teller vor sich.
,,Ja, ein bisschen", ich nickte.
,,Super", kommentierte Julien und biss in sein Pizzastück.
,,Wo ist Rezo?", fragte ich, während ich ihn beobachtete.
Er kaute zuende, bevor er antwortete:,,Der hat Therapie. Er kann später essen haben die Pfleger gesagt."
,,Therapie", ich verzog das Gesicht. Da freute sich Rezo bestimmt riesig.
,,Und Rewi und Felix?", fragte ich weiter.
,,Die kommen gleich glaub ich", Julien biss wieder von seiner Pizza ab. ,,Komm iss, die schmeckt mega", er zeigte auf meinen Teller.
Ich warf einen Blick darauf. Irgendwie schien jeder Pizza zu feiern außer mir. Nicht, dass ich keine Pizza mochte, aber irgendwie hatte ich in meinem Leben genug davon gehabt.
,,Nein danke", ich schob ihm den Teller zu, ,,Kannst du haben. Ich hab grad keinen Hunger."
,,Och Mexi", Julien schob den Teller zurück, ,,Wenigstens ein paar Bissen."
,,Du musst doch noch groß und stark werden", Felix schob seinen Stuhl zurück.
,,Ist er doch schon", Rewi lächelte mir zu und setzte sich mir gegenüber.
,,Klar", echote Felix ironisch und biss in seine Pizza.
Seit Rewi da war aß er sogar mehr als ich. Zumindest versuchte er es. Er war immernoch dünner als ich und seine Handgelenksknochen traten auffällig hervor.
,,Ausgeschlafen?", fragte Felix weiter. Ich nickte. Super, hatten sie es also auch schon mitbekommen.
Ich warf Rewi einen Blick zu, aber er wich meinem aus. Super. Ignorierten wir unseren gestrigen Abend einfach beide.
,,Was machen wir gleich?", fragte Julien und schob seinen leeren Teller in die Tischmitte.
,,Felix und ich wollten raus. Ihr könnt ja mitkommen", schlug Rewi vor und biss ebenfalls von seinem Stück ab.
,,Frische Luft klingt gut", Julien nickte.
Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Immerhin war der Himmel nicht so wolkenverhangen wie gestern.
,,Ist es nicht kalt draußen?", fragte ich skeptisch.
,,Heute gehts", Felix folgte meinem Blick, ,,Wir hatten vorhin das Fenster offen."
,,Das Fenster offen", wiederholte Julien grinsend, ,,Du meinst gekippt."
,,So offen wie es halt geht", Felix zuckte mit den Schultern. Ich beobachtete ihn interessiert.
Offenbar hatten Rewi und er dessen Zusammenbruch gut verkraftete. Rewi wirkte wie sonst auch und Felix sogar munterer. Wieso konnte ich nicht so sein? Wieso musste mich alles immer so runterziehen?
,,Ich wäre ja für einen Tag der offenen Tür hier", bemerkte Julien und versuchte sich ein Lachen zu verkneifen.
,,Spaßvogel", lachte Rewi und schüttelte den Kopf.
,,Lassen wir uns Psychos doch auf die Welt los", Felix grinste ebenfalls, ,,Das wärs." Dann schob auch er seinen Teller in die Mitte. Erstaunlicherweise hatte er sogar beihnahe das ganze Stück gegessen.
,,Na gib schon her", Julien griff sich den Rest und biss hinein. Ich sah wieder auf mein Stück. Widerwillig nahm ich es in die Hand und biss ein Stück ab. Es war sogar noch warm. Aber Hunger hatte ich gerade wirklich nicht.
Also schob ich Julien den Teller zu:,,Ich kann grad echt nichts essen."
Julien griff nach meinem Stück:,,Ausnahmsweise." Ich lächelte dankbar.
Rewi stellte seinen Teller auf den von Felix:,,Zum Pavillion also?"
Julien nickte und stand mit meinem Stück in den Händen auf:,,Gerade ist gutes Wetter. Das müssen wir nutzen."
,,Willst du das mitnehmen?", grinste Felix und zeigte auf das Pizzastück.
,,Na klar", Julien nickte, ,,Mein Lunchpaket." Felix lachte und auch Rewi musste grinsen. Wie konnte er verdrängen, was er gesehen hatte?
Ich erinnerte mich daran, wie es mir gegangen war, als ich Rezos Schnitte gesehen hatte. Nein, soetwas konnte ich nicht verdrängen.
Ich stand ebenfalls auf und folgte Julien in einigem Abstand. Vielleicht tat frische Luft ja wirklich gut.
,,Hey", Rewi ging plötzlich neben mir und passte sich meinem Tempo an, während Felix zu Julien aufschloss.
,,Wie geht es dir?", fragte er leise.
,,Gut", log ich und versuchte zu erschließen was er von mir wollte.
,,Hast du dir wieder was getan?", fragte er weiter. Ich schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. So ein Gespräch also. Konnte er sich gleich sparen.
,,Ich frag nur, weil du heute Morgen nicht beim Früstück warst und-", hob Rewi zu einer Erklärung an, aber ich unterbrach ihn:,,Hab ich nicht. Ich war müde. Okay?" Meine Stimme hatte einen genervten Unterton, den ich nicht verstecken konnte. Kümmer du dich lieber um dich selbst Rewi. Ich hab schon eine nervige Mutter.
,,Okay, sorry", Rewi wich ein Stück zurück. ,,Falls ich dir helfen kann, sag einfach Bescheid, ja?", setzte er noch hinzu. Ich nickte. Ihm zuliebe. Aber innerlich spürte ich eine Mischung aus Wut und Verzweiflung.
Zum einen weil er wusste, dass ich mich geritzt hatte und zum anderen, weil ich in seinen Augen jetzt der Psycho war, der sich sogar in einer Klinik an Klingen vergreifen musste. Ich war nichts weiter als ein dummer Junge, dem es nichtmal gelungen war, sich das Leben zu nehmen. Der nichts im Leben hatte außer einer dämlichen Klinge und seinem vernarbten Arm. Der seine Freunde belog, die ihm helfen wollten. Der sein Leben so sehr nicht in den Griff bekam, dass ihm nur noch Sterben als Option blieb.
Und auch wenn ich es nicht wollte, würde ich ihnen damit wehtun. Rewi. Felix. Julien. Und Rezo. Anders als bei meinem ersten Versuch würde der zweite wehtun. Egal ob ich es wollte oder nicht.
Und nochmehr tat es weh es zu wissen, während sie unwissend neben mir liefen. Ich bin ein Lügner, mehr nicht.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...