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Ich musterte Rezo, der nachdenklich auf die Bettdecke sah und immer wieder mit seinen Fingern auf seinen Oberschenkel trommelte. Nach einer Weile sah er wieder zu mir und nickte Richtung meiner Arm.
,,Kann ich sehen?", fragte er vorsichtig und griff nach meinen Handgelenken. Ohne Gegenwehr folgte ich seinen Bewegung.
Rezo atmete einmal tief durch, dann schob er meine Ärmel nacheinander nach oben und drehte sie sanft. Seinen Blick dazu konnte ich jedoch nicht deuten. Es war eine Mischung aus Schmerz, Enttäuschung und Sorge.
,,Wie alt?", fragte er und griff nach meinem linken Arm.
,,Ein paar Tage", murmelte ich zögernd.
Rezo schüttelte lächelnd den Kopf:,,Mexi, ich kenne Schnitte. Diese hier sind frisch." Er deutete auf den tiefen Schnitt, den ich mir gestern erst aufgekratzt hatte.
,,Die Schnitte sind älter", rechtfertigte ich schnell, ,,Den habe ich aufgekratzt." Rezo nickte nachdenklich.
Ich folgte seinem Blick. Der Schnitt war von getrocknetem Blut bedeckt und stach deutlich zwischen den anderen hervor.
Rezo ließ meinen Arm los und sofort zuckte ich zusammen, als ich den hellroten Streifen bemerkte, den er auf meiner Haut hinterließ.
,,Du blutest", sofort griff ich nach seiner Hand und drehte mir die Handfläche entgegen. Ein gerader Schnitt zeichnete sich dort ab und blutete leicht.
Erschrocken sah ich zu Rezo, doch dieser nickte nur zur Klinge:,,Hab mich geschnitten, als ich sie dir abgenommen habe." Sofort hatte ich ein schlechtes Gewissen und biss mir auf die Lippen.
,,Sorry", murmelte ich zerknirscht. Jetzt hatte er sich sogar noch wegen mir geschnitten.
,,Es tut nichtmal weh", Rezo lächelte und stand auf.
,,Ich wasch das kurz ab, komme gleich wieder", erklärte er und hob demonstrativ die Hand. Ich nickte und sah zu, wie er den Raum verließ.
Sofort schoss mein Blick zur Klinge, die immernoch auf dem Tisch lag. Aber es wäre sinnlos gewesen es zu versuchen. Und unfair. Auch wenn das Verlangen nicht verschwand.
Ich sah zurück auf meine Arme und seufzte. Statt tot zu sein, saß ich jetzt hier und hängte mein Leben an die Person, die es fast beendet hätte. Zumindest beteiligt gewesen wäre.
Denn egal wie sehr ich es glauben wollte, wie viel einfacher es das ganze machen würde, Rezo war nicht der Grund. Vielleicht ein kleiner, aber definitiv kein Hauptgrund.
Im selben Moment öffnete sich die Tür wieder und Rezo betrat das Zimmer. Er ließ sich neben mir nieder und griff in die Tasche seines Hoodies. Dann zog er mehrere Pflaster hervor und griff wieder nach meinem Arm.
,,Noch mehr?", ich konnte mir die Frage nicht verkneifen.
,,Was meinst du?", fragte Rezo und began die Pflaster auf meinen Schnitten zu verteilen.
,,Julien hat das auch gemacht", erklärte ich und verdrängte die Erinnerungen daran. Der Tag war schmerzhaft gewesen.
,,Klingt nach Julien", Rezo lächelte.
,,Wieso habt ihr so viele?", hakte ich nach. Sofort veränderte sich Rezos Mimik und er konzentrierte sich mehr darauf die Pflaster zu verteilen, als nötig war.
Dann seufzte er:,,Es gab hier eine Zeit da hab ich mir fast täglich was getan. Julien verdanke ich es, dass ich nicht zurück auf 2 musste. Taddl hat ihm die Pflaster besorgt." Seine Antwort ließ mich frösteln.
Manchmal war es merkwürdig wie ähnlich wir uns waren.
Rezo sah auf und lächelte:,,Jetzt bist du wieder heile." Ich hob meinen Arm und betrachtete seine Arbeit. Im Gegensatz zu Julien waren die Pflaster deutlich ordentlicher aufgeklebt und bedeckten jeden Schnitt außer des besonders tiefen.
,,Der muss erstmal so heilen", Rezo schien meinen Blick bemerkt zu haben, ,,Aber das wird wieder." Er lächelte aufmunternd.
,,Du brauchst auch eins", ich nahm eines der unbenutzten Pflaster vor ihm und faltete es auseinander. Dann griff ich nach seiner Hand und klebte es vorsichtig über den kleinen Schnitt, der aufgehört hatte zu bluten. Rezo musterte mich dabei. Seine blauen ruhigen Augen ruhten so friedlich auf meinen Bewegungen, dass uns niemand geglaubt hätte, dass ich noch vor ein paar Minuten kurz davor gewesen wäre vor seinen Augen zu sterben. Oder besser es zu versuchen.
,,Tadaa", ich ließ seine Hand sinken.
,,Danke", Rezo lächelte wieder und stand auf. Ich beobachtete, wie er zum Tisch ging und nach der Klinge griff.
,,Ey", ich folgte ihm, ,,Du nimmst die nicht an dich."
,,Ich bin clean", verteidigte sich Rezo und stieß mir mit dem Finger vor die Brust, ,,Du nicht."
,,Wers glaubt", rutschte mir heraus und ich bereute es sofort.
Aber Rezo zuckte nur mit den Schultern:,,Ich werfe sie weg, versprochen."
,,Wo?", hakte ich nach.
,,Das musst du nicht wissen. Nicht das du doch noch auf dumme Ideen kommst", Rezo ließ das silberne Metall in seiner Hoodietasche verschwinden und zog die Ärmel über meine Arme. Zerknirscht verschränkte ich die Arme.
,,Ich bin kein Kleinkind mehr, das kann ich selbst", beschwerte ich mich.
,,Ich weiß", Rezo lächelte. Dieses Lächeln. Wie sehr ich es vermisst hatte. Und wie sehr es mich immer wieder fesselte. Als wären die letzten Tage einfach ausradiert.
,,Geh du mal zu Julien", er schob mich Richtung Tür, ,,Ich glaub das ist besser als wenn ich dich hier allein sitzen lassen."
,,Wo gehst du hin?", fragte ich sofort und öffnete die Tür.
,,Pflegergespräch. Deswegen war ich eigentlich hier", murmelte Rezo und folgte mir auf den Flur.
,,Wieso das?", fragte ich verwirrt.
,,Julien und ich hatten da so eine Idee", Rezo zwinkerte mir zu.
,,Welche?", fragte ich sofort, aber Rezo antwortete nicht.
,,Das ist gemein", wie ein kleines Kind trottete ich hinter ihm her. Aber Rezo schwieg immernoch. Also tat ich es ihm gleich.
Ich war kein Freund von Überraschungen. Meist bedeuteten sie nur, dass wieder irgendwas neues schlechtes in meinem Leben passierte. Gute Überraschungen hatte ich lange nicht mehr erlebt.
Nachdenklich musterte ich Rezo. Was war, wenn er zu den Pflegern ging um ihnen die Klinge zu geben? Aber sofort verwarf ich den Gedanken.
Was hätte Rezo davon mich auf 2 stecken zu lassen? Dann hätte er mich auch gleich verbluten lassen können.
Und wieder waren meine Gedanken dort. Im Zimmer. Bei der Klinge. Bei meinem erhofften Suizidversuch.
War es das wirklich wert?

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