Ich fuhr vorsichtig über die heilenden Schnitte und zuckte zusammen, als ein plötzlicher Schmerz durch meinen Arm schoss. Erschrocken zischte ich auf und zog meine Hand zurück. Genervt von mir selbst griff ich nach meinem Hoodie.
Es war sinnlos sich zu ritzen. Am Ende tauschte man dauerhafte Narben gegen einige Minuten Schmerz. Ein unfairer Tausch. Und ich Idiot ging ihn immer wieder aufs neue ein.
Ich zog mir den Hoodie über und sah zu Rezo, der sich gegen den Tisch gelehnt hatte und mich amüsiert musterte.
,,Was?", fragte ich und zog die Ärmel über meine Arme.
,,Nichts", er lächelte, ,,Ich finds nur interessant dir beim Denken zuzusehen."
,,Ich denke nicht", log ich und sah zu Julien, der zu schnarchen begonnen hatte.
Rezo lachte leise und ging zum Bett zurück:,,Man kann sehen, wie dein Kopf arbeitet, Mexify. Da kannst du dich nicht rausreden." Er tippte mir mit seinem Zeigefinger gegen die Stirn.
Ich schlug seine Hand weg und erwiderte sein Lächeln:,,Und woran denke ich, Herr Schlaukopf?"
Rezo setzte sich neben mir aufs Bett:,,Sag dus mir." Ich rückte ein Stück zur Seite und lehnte mich gegen die Wand hinter mir.
,,Ich denke über die Sinnlosigkeit des Lebens nach", antwortete ich, ,,Darüber, dass es sinnlos ist zu leben, wenn wir doch eh alle am Ende sterben. Und wenn ich es dann vorzeitig beenden möchte, drehen sie alle durch. Als würde es einen Unterschied machen." Ich seufzte und sah auf die Ärmel meines Hoodies.
,,Was ist dein Lieblingsfilm?", fragte Rezo mit ruhiger Stimme. Verwirrt sah ich zu Rezo. Was war das für eine sinnlose Frage?
,,Keine Ahnung", antwortete ich immernoch verwirrt.
,,Und dein Lieblingsbuch?", fragte Rezo weiter.
,,Ich, ähm-", began ich und überlegte. Hatte ich ein Lieblingsbuch?
,,Gut, egal", unterbrach Rezo mich, ,,Sagen wir einfach du schaust einen Actionfilm. Du weißt, dass der Bösewicht am Ende sterben wird, weil Filme nunmal fast immer so enden, nicht wahr?"
,,Ich denke", murmelte ich unsicher. Wie viele Actionfilme hatte ich in meinem Leben überhaupt gesehen? Und wann hatte ich überhaupt zuletzt einen Film gesehen?
,,Du kennst das Ende vom Film. Aber du schaust ihn trotzdem, weil es um den Film und nicht nur das Ende geht. Verstehst du?", fuhr er fort und musterte mich erneut. Ich versuchte seine Worte zu ordnen.
,,Du sagst also, es geht ums Leben und nicht um den Tod?", versuchte ich zu verstehen. Rezo nickte.
,,Dann hat Leben immernoch keinen Sinn", entgegnete ich.
,,Jeder muss den Sinn seines Lebens selber finden. Wenn alle Menschen denken wie du, wäre die Menschheit nicht heute da wo sie ist. Dann hätten sich all die intelligenten Leute schon vor ihrem 18.Lebensjahr das Leben genommen-", began Rezo, doch ich fuhr dazwischen:,,Ja, aber mein Leben hat keinen Sinn. Ich bin nicht klug, ich verändere nichts hier." Die Traurigkeit hinter dem Satz schien wie eine Wolke im Raum zu hängen und Rezo schwieg einen Moment.
,,Jeder Mensch macht die Welt auf seine Art bunter. Jedes mal wenn ein Mensch lebt, wird sie zu einem faszinierenden Ort", sagte er dann.
,,Ich bin der schwarze Pinsel, der über die bunte Leinwand geht", seufzte ich und spürte ein Ziehen in der Brust. Alles was ich tat schien mich und mein Umfeld immer weiter in ein tiefes Loch zu ziehen.
,,Du bist genauso bunt, Mexify", bekräftigte Rezo, ,,Manche Werke brauchen Zeit." Ich lachte auf. Das musste ich Rezo lassen, er ließ nicht locker, auch wenn er wusste, dass er bei mir nicht weiterkam.
,,Ich wünschte ich hätte deinen Optimismus", murmelte ich und legte den Kopf in den Nacken, ,,Muss schön sein nicht überall das Negative zu sehen."
,,Ich bin kein Optimist", Rezo lachte und schüttelte den Kopf.
,,Dann kannst du eben sehr gut einen Optimisten spielen", ich lächelte, ,,Vielleicht solltest du Schauspieler werden."
,,Vielleicht", Rezos Lächeln gelang ihm nicht. Für einen Moment musterte ich ihn.
Es war einer dieser wenigen Momente in denen seine Maske verrutschte. Einer dieser Momente in denen seine traurige und kaputte Seite sich zeigte. In denen sich ein Schatten über seine Augen legte und er für einen Moment der Schausteller war, der während des perfekten Stückes seinen Text vergaß.
Aber er fing sich genauso schnell wieder. Dennoch wandte ich den Blick nicht ab. Woran hast du gedacht, Rezo?
Doch ich wollte nicht fragen. Manchmal fragte ich mich, ob ich nicht nachfragte, weil ich Angst hatte, dass sein Kopf genauso kaputt war wie meiner und ich ihn nur belastete mit meinen Problemen. Denn auch wenn er eine Maske trug, er konnte nicht alles verstellen.
Oder doch?
Nein, man konnte nicht jede Sekunde eine Maske tragen. Genauso wie ich nicht immer traurig sein konnte. Denn so waren Depressionen nicht. Sie waren hinterhältiger.
Im einen Moment konnte man lachen und im nächsten überfielen einen die Gedanken. Klar, ich hatte vor allem nach meinem Versuch eine tiefe Depressionsphase gehabt, aber seit ich Rezo, Julien, Rewi und Felix kannte, gab es immer wieder diese Phasen in denen ich vergaß weswegen ich hier war. Aber genauso gab es eben auch die Gedanken. Beides konnte nur zusammen existieren.
,,Wir sollten schlafen gehen", Rezo gähnte und streckte sich. Jetzt war er wie immer. Keine Spur von negativen Gedanken.
Ungewollt musste ich ebenfalls gähnen. Erst jetzt merkte ich erneut die Müdigkeit, die mit ihrem warmen Händen nach mir griff.
,,Gute Idee", ich rutschte von Rezos Bett und ging zur Matratze. Ich ließ mich darauf fallen und zog die Decke über mich.
Rezo musterte mich grinsend:,,Du siehst aus wie eine dicke Raupe."
,,Selber", ich grinste ebenfalls.
Rezo lachte:,,Überleg dir mal eigene Beleidigungen."
,,Ich bin nicht so ein Fieser", entgegenete ich.
,,Aber ich?", fragte Rezo.
,,Wer hat mich grad als dicke Raupe bezeichnet?", ich verdrehte die Augen.
,,War ein Kompliment", Rezo überlegte, ,,Dicke Raupen werden schneller zu schönen Schmetterlingen als dünne."
,,Ha ha ha", sagte ich und kuschelte mich in die Decke. Rezo schaltete das Licht aus. Dunkelhiet umfing mich.
,,Schlaf gut. Bis morgen", murmelte ich und schloss die Augen. ,,Du auch. Bis morgen", erwiderte Rezo.
Es schwang ein merkwürdiger Unterton in seiner Stimme mit. Woran denkst du nur manchmal Rezo?-----
Ich wünsche euch allen ein tolles Jahr 2024! 2023 war vielleicht kein gutes Jahr für einige, doch ich sags euch: Ihr werdet 2024 jetzt voll durchstarten. Ich glaub an jeden einzlenen von euch. Macht kleine Schritte und schaut wie hohe Berge ihr erklimmen werdet. Habt ihr Vorsätze? Falls ja, nehmt euch doch mal einen bis zum Ende dieses Buches vor, egal wie klein, und dann könnt ihr bei Kapitel 200 wiederkommen und kommentieren ob ihr es geschafft habt :)
DU LIEST GERADE
Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...