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,,Du brauchst mich nicht, Rezo...", flüsterte ich und lehnte mein gesamtes Körpergewicht gegen ihn. Ansonsten wäre ich vermutlich kraftlos zusammengesackt.
Es war als hätte man mir meine gesamte Energie aus dem Körper gezogen und ihn leer und kraftlos zurückgelassen.
,,Ich brauch dich, glaub mir", flüsterte er zurück. Ich spürte wie eine Träne auf meiner Wange herunterlief. Aber es war keine meiner Tränen.
Ich schaffte es mich einen kurzen Moment von ihm zu lösen und allein zu stehen, auch wenn meine Beine jeden Moment drohten einzuknicken. Auch wenn es mir schwer fiel Rezos Gesicht zu fixieren, sah ich die beiden Tränen, die über sein Gesicht liefen. Er weinte.
Vermutlich hatte ich mit allem gerechnet, aber sicher nicht damit, dass Rezo weinte. Wieso weinte er?
,,Guck nicht so", er versuchte ein Lächeln, aber es misslang ihm so schlecht wie noch nie.
Irgendwie tat es weh ihn weinen zu sehen. Alles tat weh. Zu wissen, dass ich ihm weh getan hatte. Das ich bereit war zu gehen und ihn zurückzulassen. Das ich ihn anlog.
Und trotzdem stand er da, umarmte mich und sagte mir, dass er mich brauchte.
Es war nicht fair. Ich bin nicht fair zu ihm.
Ich schluckte und wollte einen Schritt zurück weichen, obwohl meine Beine immernoch zitterten.
,,Niemand braucht mich...", ich spürte wie mir erneut Tränen in die Augen schossen.
,,Das ist nicht wahr. Ich brauch dich", Rezo griff wieder nach meinem Arm und zog mich in eine weitere Umarmung. Dieses mal konnte ich sie nicht erwidern. Das alles ergab keinen Sinn.
,,Du lügst", flüsterte ich schwach und schloss meine Augen. Wieso log er?
,,Bitte sag sowas nicht", Rezos Stimme zitterte leicht und er drückte mich noch mehr an sich, ,,Felix, Rewi, Julien und besonders ich brauchen dich."
Du lügst. Der Gedanke fraß sich wie ein Parasit durch meinen Kopf. Wieso lügst du?
Ich wollte ihm die Frage ins Geischt schreien, aber mir fehlte die Kraft dazu.
,,Fuck Mexify...ich...", ich hörte die Verzweiflung in seiner Stimme, aber mein Kopf wollte ihm nicht glauben, ,,Ich brauch dich okay? Ich will dich nicht verlieren."
Ich drückte mich erneut gegen ihn. So sehr ich ihm glauben wollte, so sehr wusste ich doch das er log. Denn niemand brauchte mich. Ich war eine einzige Enttäuschung.
,,Ich muss gehen, Rezo...", ich seufzte und ließ die Tränen zu, die mein Gesicht bedeckten.
,,Nein, nein. Nein", Rezo drückte mich gegen seine Brust und ich spürte die Angst, die sein Herz umschlang. Es schlug viel schneller, unregelmäßiger als sonst. Wie ein gehetztes Tier schien es in seinem Brustkorb auf und ab zu springen. Ohne das es einen Ausweg fand.
,,Du kannst nicht gehen", flüsterte er bestimmt und strich mir über den Kopf.
,,Seit ich hier bin will ich nur sterben", flüsterte ich und spürte wie diese wahren Worte mir noch mehr Kraft raubten, ,,Ich kann langsam echt nicht mehr."
,,Ich weiß", Rezos Stimme zitterte immernoch, ,,Aber du kannst nicht gehen. Ich will nicht, dass du gehst."
Du lügst schon wieder. Aber der Schmerz in seiner Stimme verhinderte, dass ich mich einfach losriss. Ja, die Umarmung tat gut. Er tat gut. Sein Geruch, seine Worte, seine Umarmung, einfach alles.
Aber gleichzeitig wussten wir beide, dass es nur einen Ausweg für mich gab. Und dem stand er gerade im Weg.
,,Ich hab dir weh getan...", hob ich an und brach dann ab. Was sollte ich sagen?
,,Ja", Rezo nickte einfach, ,,Aber das ist mir egal. Du kannst mir weh tun so oft du willst, Schmerz vergeht. Mir ist alles egal, hauptsache du bleibst." Zum ersten mal fanden seine Worte Halt in meinem Kopf. Wenn auch nur für einen kurzen Moment. Irgendwas daran überschattete den Gedanken, dass er log.
,,Es ist nicht fair...", ich drückte mich von ihm weg, auch wenn mein Kopf die Umarmung nie mehr verlassen wollte.
,,Was ist nicht fair?", fragte Rezo und musterte mich fast flehend.
,,Das ich gehen will und du es verhindern willst", ich fasste mir an den Kopf. Er schmerzte.
,,Das Leben ist nicht fair", er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und zum ersten mal sah ich in seine Augen. Sie waren so viel heller, so viel voller an Hoffnung als meine.
,,Wieso kannst du mich nicht einfach scheiße finden?", fragte ich und konnte er nicht verhindern kurz lachen zu müssen. Es war kein fröhliches Lachen, eher ein trauriges, verzweifeltes Lachen.
,,Du bist gut wie du bist. Auch wenn du mir das nicht glaubst. Du bsit mir wichtig und ich will dich nicht verlieren", er legte seine Stirn an meine und schloss die Augen.
Rezo war seltsam. Von uns allen wirkte er immer am stärksten, aber gerade brachte ich ihn zum weinen. Einfach nur weil ich gehen wollte. Wieso war ich ihm so wichtig? Oder log er? Aber wieso sollte er? Mein Kopf lief Amok.
,,Kannst du versuchen zu bleiben? Irgendwie? Nur eine Weile?", fragte er und ich spürte seinen unruhigen Atem auf meiner Haut. Nein, ich weiß nicht wie.
Aber ich konnte es ihm nicht sagen.
,,Ich weiß nicht", flüsterte ich. Es war zumindest die halbe Wahrheit.
,,Danke", er akzeptierte es. Obwohl er wusste, dass ich ihn vermutlich anlog.
,,Du solltest schlafen", er wich einen Schritt zurück. Ich sah an ihm vorbei zum Schrank. Ja, ich sollte schlafen. Für immer.
Aber irgendwas an seinen Worten befand ich irgendwie doch für wahr. Also nickte ich nur müde und ließ mich auf mein Bett fallen, auch wenn ich keine Ahnung hatte wie ich einen weiteren Tag schaffen sollte.
Rezo setzte sich neben mich und seufzte:,,Ich will nicht wissen, wie du es versucht hättest. Und ich frage auch nicht. Aber bitte versuch zu bleiben. Nur einen weiteren Tag."
Seine Worte hallten in meinem Kopf, als ich die Augen schloss. So müde wie gerade hatte ich mich noch nie gefühlt. Der Tod wäre vermutlich die beste Option gewesen, aber mein Entschluss stand fest: Ich konnte nicht gehen. Nicht jetzt vor Rezo, dem ich irgendwie wichtig zu sein schien.
Die Welt schrie mich an zu gehen und dann kam er und stellte sich gegen die Welt. Wieso hörte ich auf ihn?

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt