Ich betrachtete mein Spiegelbild und musterte meine hässliche Gestalt. Zwei triste farblose Augen, kurz geschorene Haare, ein weißes, viel zu großes Tshirt und zerschnitte Arme. Nachdenklich sah ich an mir herunter, dann wieder in den Spiegel.
,,Was hat die Welt dir angetan?", fragte ich tonlos und starrte mir selbst in die Augen. Was hast du dir selbst angetan?
Ich schloss die Augen und holte tief Luft. Ja, die Welt war nicht der Grund für meine kaputte Gestalt. Ich, nur ich war der Grund. Und es wird auch nie einen anderen geben.
Wieder atmete ich tief ein, öffnete die Augen und griff nach Rezos Hoodie, der neben dem Waschbecken lag. Umständlich zog ich ihn mir über und zuckte nicht einmal zusammen, als der Stoff über die frischen Schnitte streifte.
Dann verließ ich das Bad und ging zu meinem Zimmer zurück. Draußen war es mitlerweile dunkel und nur die Lichter der anderen Häuser waren zu sehen.
Ich ging zur Fensterbank und griff die Klinge, sowieso Lucas Zigaretten. Damit verließ ich das Zimmer wieder und ging zügig die Treppe ins Erdgeschoss herunter.
Erst dann verlangsamte ich meine Schritte und betrat die kleine Küche. Meine Mutter stand vor der Mikrowelle und holte gerade irgendeinen Auflauf hervor.
,,Ah, Maximilian", sagte sie, als sie mich bemerkte und stellte den Auflauf auf die Küchenzeile, ,,Dein Vater kommt gleich, dann essen wir."
Ich ließ meinen Blick durch die Küche schweifen. Seit meinem letzten Aufenthalt vor ein paar Monaten hatte sich wenig verändert. Ein neuer Kalender hing am Kühlschrank und an der Pinnwand neben dem Fenster hingen neue Zettel. Ansonsten wirkte es hier wie immer. Was soll sich schon geändert haben, Mexi?
,,Ich hab keinen Hunger", ich atmete tief durch, ,,Aber ich geh kurz raus."
,,Oh nein", meine Mutter schüttelte den Kopf, ,,Deine Psychologin hat gesagt, dass du das Haus dieses Wochenende nicht verlässt." Ach, plötzlich ist es doch wichtig? Aber ich zwang mich das nicht auszusprechen.
,,Ich geh nur zum Brunnen und komm dann wieder", versuchte ich es und biss mir auf die Lippen.
,,Nein, Maximilian", sie holte drei Teller aus einem der Schränke, ,,Es reicht schon, dass du die ganze Zeit allein in deinem Zimmer wars." Ich verdrehte die Augen. Ja, wie schrecklich.
Meine Mutter drehte sich zu mir um:,,Und heute Nacht schläfst du auf der Matratze im Wohnzimmer wie vereinbart. Es reicht schon, dass ich auf der Couch schlafen muss die nächsten Tage." Niemand zwingt dich. Aber auch das schluckte ich herunter.
Wie Frau Meier es geschafft hatte meine Mutter dazu zu überreden mich nicht aus den Augen zu lassen, war mir ein absolutes Rätsel.
Genervt drehte ich mich um und musterte den Flur. Zum Glück hatte sich auch hier nichts geändert. Einer der Haustürschlüssel hing immernoch am Schlüsselbrett unter der Treppe. Im Vorbeigehen griff ich danach und öffnete die Haustür.
,,Maxi-", hörte ich meine Mutter aus der Küche rufen, doch ich rief nur ein:,,Ich bin in einer Stunde wieder da, versprochen."
Dann schloss ich die Tür hinter mir und lief die Einfahrt herunter. Eigentlich war ich ihr nicht mal diese Worte schuldig, aber wenn sie deswegen jetzt aus Angst die Polizei rief, steckten die mich mit Sicherheit zurück in die Klinik.
Fast erwartete ich, dass meine Mutter mir hinterherlaufen könnte, doch die Haustür blieb geschlossen. Ich erreichte das Gartentor und trat auf die Straße. Sie war verlassen. Nur die schwachen Straßenlaternen schenkten Licht und beleuchteten die parkenden Autos.
Ich drehte mich zum Haus, doch meine Mutter stand nicht wie erwartet am Fenster. Vermutlich rief sie gerade meinen Vater an und beschwerte sich über mich. Aber das kannte ich. Zum Brunnen hätte ich nach rechts gemusst, doch ich schlug den Weg nach links ein.
Es war erstaunlich kühl und ich vergrub die Hände in der Hoodietasche. Nachdenklich musterte ich die leere Straße. Es schien so unwirklich zu sein, dass ich wieder hier war.
Noch vor ein paar Tagen war der Gedanke absolut undenkbar gewesen. Vor ein paar Monaten hätte ich wohl gelacht über die Vorstellung.
Eine Katze rannte über die Straße und verschwand in einer Hecke. Nein, geändert hatte sich nichts. Es war alles wie immer, egal ob ich weg gewesen war oder nicht.
Ich bog nach links auf einen Feldweg und verließ damit die beleuchtete Straße. Mit jedem Schritt schwand das Licht, bis ich nur noch schwach den Weg vor mir erkennen konnte. Eigentlich hatte ich zur Brücke gewollt, doch der Weg bis dahin war zu lang. Und ich konnte nicht garantieren ob ich dort nicht doch springen würde.
Was wäre schon dabei?
Ich musterte den dunklen Weg vor mir. Als Kind war ich hier oft lang gegangen. Die Felder dahinter waren besser als jeder Spielplatz gewesen. Wenn der Mais gewachsen war, hatte man darin super Verstecken spielen können. Und im Winter hatte ich mit den Nachbarskindern Schneemänner gebaut. Immerhin einige schöne Seiten gab es.
Ich sah zum Himmel und sah überrascht auf die unzähligen Sterne, die sich dort tummelten. Der Himmel war fast gänzlich klar, nur eine Wolke zog ihre Bahn über die Dunkelheit. Fasziniert blieb ich stehen und betrachete die winzigen Lichter.
Dann ging ich ein Stück weiter, bis ich den dunklen Umriss in der Dunkelheit ausmachen konnte. Die alte Holzbank stand immernoch am Wegesrand.
Ich ließ mich darauf nieder und griff in meine Hosentasche. Ich zog eine Zigarette und das Feuerzeug hervor. Schnell zündete ich mir eine an und lehnte mich gegen das Holz. Dann nahm ich einen tiefen Zug der Zigarette und blies den Rauch in die Nacht. Wieder wanderte mein Blick zum Himmel und ich mustere die Sterne.
Dort war der große Waagen, Orion und Cassiopai. Auch wenn ich kaum etwas über Sternenbilder wusste, die einfachsten erkannte ich. Eines der wenigen Dinge auf dieser Welt, die wirklich schön sind.
In dem Moment löste sich eine winzige Leuchtkugel aus der Dunkelheit und zog für einen winzigen Augenblick über den sternenbesetzten Himmel. Eine Sternschnuppe!
Ich richtete mich auf und suchte den Himmel ab. Doch sie war verschwunden. Sofort drehte ich mich um, doch es folgte keine weitere.
Stattdessen schob sich eine fast vergessene Erinnerung in meinen Kopf. Die Erinnerung daran, was Rezo sich im Leben gewünscht hatte. Einmal im Gras liegen und Sternschnuppen schauen, wenn alles friedlich war. Das war sein Wunsch gewesen. Der Wunsch, der nie in Erfüllung gehen würde. Ich richtete meinen Blick wieder zum Himmel.
Jetzt hast du einen Wunsch, Mexi.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...