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Ich folgte Herrn Thäler durch die Tür ins Freie und blinzelte gegen das helle Licht. Mein Blick wanderte zum wolkenverhangenen Himmel, der einen orangenen Schimmer bekommen hatte.
Hinter mir verließ Mark das Gebäude und folgte meinen Blick. Fast erwartete ich, dass er etwas sagen würde, doch dann folgte mir der kräftige Pfleger wieder.
Ich richtete meinen Blick wieder nach vorne. Das weiße Gebäude rückte immer näher und für einen kurzen Moment fühlte ich mich fast wie an meinen ersten Tag hier zurückversetzt. Alles in mir sträubte sich dagegen dort hinzugehen.
Ich drehte mich um und musterte das Gebäude aus dem ich kam. Fast sehnsüchtig wanderte mein Blick in den ersten Stock zum Fenster am Ende des Flures von Station 3 in der ich die letzten Monate verbracht hatte.
Mark hatte meine Sachen gepackt und zog den schwarzen Koffer hinter sich her. Es gab keine Verabschiedung von Julien, keine von Felix und keine von Rewi. Ich biss mir auf die Lippen und unterdrückte die Tränen. Tut mir Leid, Leute.
Ein Teil von mir schrie danach zurückzurennen und ihnen in die Arme zu fallen. Zu weinen und zu wissen, dass es ihnen genauso ging. Dieser Teil wollte seienn Schmerz mit ihnen teilen und sich von ihnen irgendwie trösten lassen. Er brauchte sie.
Aber da war auch der andere Teil. Der Teil, der wusste, dass es sinnlos war. Er hatte es aufgegeben zu hoffen. Wozu sollte ich zurück zu ihnen? Sollte ich darauf warten, dass sich der nächste das Leben nahm? Sollte ich warten, bis ich es selbst tat? Dieser Ort besteht aus Schmerzen. Sie mit anderen zu teilen reißt nur tiefere Wunden. Und wer dennoch hofft, den wird es zerstören...
Gegen meinen Willen wandte ich den Blick ab und drehte mich wieder zu dem weißen Gebäude vor uns. Niemand hatte am Fenster gestanden um mir nachzutrauern. Auch wenn ich meim Herz schreien hörte, blickte ich nicht mehr zurück.
Am besten war es sie zu vergessen. Das Kapitel der Freundschaft abzuschließen und es eine kostbare Erinnerung sein lassen. Ich hatte jahrelang ohne Freunde gelebt und immerhin der Schmerz darüber welche zu verlieren war mir erspart geblieben. Durch Rezo hatte ich sie alle verloren. Und es hatte mein Herz zerschnitten. Ohne Gnade und so schmerzhaft, dass es nie wieder heilen würde.
Ich atmete tief durch, versuchte die frische Luft auf mich wirken zu lassen und hoffte, dass ich so verhinderte zu weinen. Es tat mehr weh, als ich erwartet hatte, zu wissen, dass es vorbei war. Ich würde auf 2 gehen und sie auf 3 bleiben. Innerlich spürte ich wie die Traurigkeit mich überrollen und mit sich ziehen wollte, doch ich kämpfte dagegen an. Noch nicht, gib mir ein paar letzte Minuten.
Ich holte tief Luft, blendete die Welle der Gedanken und Gefühle aus, die auf mich zurollte. Noch ein paar letzte Minuten.
Ich beschleunigte meinen Schritt und schloss zu Herrn Thäler auf. Dieser hielt vor dem Gebäude und hielt seinen Schlüssel an die Tür. Sofort schwangen die Türen nach innen auf und wir passierten den Zwischenraum. Die Glastür dahinter schwang auf und wir standen im Vorraum, in dem ich nun schon zweimal gewesen war.
Auch die Erinnerungen ließ ich zu. Wie Julien, Rezo und ich Rewi und Felix hier abgeholt hatten. Wie sie sich alle gefreut hatten und ich nicht gewusst hatte, was sie mir einmal bedeuten würden. Wieder kämpfte ich gegen die Traurigkeit an.
Ich hätte es mehr genießen müssen.
Herr Thäler ging zu der milchigen Glastür, durch die Rewi beim letzten mal gekommen war und drehte sich zu mir um. Er schenkte mir ein kurzes Lächeln, dann hielt er erneut seinen Schlüssel gegen die Tür und sie schwang auf. Dahinter lag ein Flur, ähnlich dem von Station 3.
Doch er öffnete direkt die Glastür nach rechts und das Treppenhaus dahinter glich dem von Station 3 noch mehr als der Flur. Ich folgte ihm die Treppenstufen hinauf und wir hielten erneut vor einer milchigen Tür.
,,Das ist Station 2", erklärte der Psychiater und öffnete auch diese Tür. Der Flur dahinter war breit und lichtdurchflutet. Ich ging durch die Tür und musterte die Glasfront zu meiner linken hinter der eine Frau saß und dem Psychiater und Mark kurz zunickte. Hinter uns fiel die Tür ins Schloss und ich spürte ein Ziehen in meiner Brust. Das war also Station 2.
Herr Thäler ging an zwei Türen vorbei, dann hielt er vor einer breiten blauen Tür und öffnete diese.
,,Dein neues Zimmer", er lächelte und ich betrat den Raum. Er war fast genauso groß wie das Zimmer auf Station 3, allerdings gab es nur ein Bett, das beinah genauso aussah wie das in dem ich vorhin noch gelegen hatte. Dahinter befand sich ein großes Fenster, links ein weißer Schrank und ein Tisch an der Wand mit einem Stuhl davor. Die Wände des Zimmers waren weiß und mit einem breiten blauen Strich durchzogen.
Mark betrat den Raum und stellte meinen Koffer am Fußende des Bettes ab.
,,Du bist hier im sogenannten Beobachtungsraum. Jede Stunde wird jemand nach dir sehen. Du kannst dich ansonsten auf Station frei bewegen", erklärte Herr Thäler und ging zur Tür zurück, ,,Morgen wird dann jemand ein Erstgespräch mit dir führen. Komm erstmal an." Damit verließ er das Zimmer.
Mark legte unerwartet eine Hand auf meine Schulter und seufzte:,,Es tut mir ehrlich Leid, Mexify. Ich hatte Rezo sehr gern und ich möchte einfach nur, dass du weißt, dass du jederzeit mit mir reden kannst, wenn was ist."
Ich drehte mich zu ihm um. Auch wenn ich Mark lieber mochte als den Rest der Pfleger, seine Worte waren leer. Sie sollten ihn am Leben halten und haben zugelassen das es stirbt!
Aber ich schwieg und ging nur zum Fenster. Mark seufzte und verließ ebenfalls das Zimmer. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss und ich war allein. Mal wieder.
Ich zog die Vorhänge zur Seite und musterte den Himmel. Er hatte sich rötlich gefärbt und nur an wenigen Stellen stachen blaue Flecken hervor. Blau wie Rezo...
Ich spürte erneut wie die Welt drohte zu brechen, wie die Traurigkeit mich umhüllte und die Gedanken nach mir griffen. Und dieses mal ließ ich es zu. Zerstört mich...ich bin bereit...

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt