-108-

771 86 39
                                    

Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich dort am Boden lag und durch einen Schleier aus Tränen auf meinen Arm starrte. Auf die Schnitte, das Blut und meine verdammte Sinnlosigkeit.
Ich tat nichts. Lag einfach nur da, zitterte, schluchzte und weinte.
Irgendwann hörte ich wie meine Zimmertür sich öffnete, aber ich sah nicht auf. Starrte weiter auf die Schnitte und versuchte meine Tränen fort zu blinzeln.
,,Mexify?", hörte ich jemanden vorsichtig fragen, aber ich hatte das Gefühl die Stimme kaum wahrzunehmen. Es war mehr wie ein entferntes Echo, dem ich zu entkommen versuchte.
Ich spürte wie jemand sanft meinen Arm packte und mich hochzog. Ich wehrte mich nicht, aber genauso wenig half ich der Person. Es ist egal. Ich spürte wie die Person mich auf mein Bett setzte und sich dann neben mir niederließ.
Fast wäre ich kraftlos zur Seite gekippt, aber ein Arm schlangen sich um mich und drückten mich seitlich an einen weichen warmen Hoodie.
Rezo?
Ich wollte aufsehen, aber als ich für einen Moment den Stoff des Hoodies sah, sank mein kurzer Mut. Es war nicht Rezo.
,,Was hast du gemacht?", fragte Julien mich und fuhr mir durch die Haare, während er mich weiter an sich drückte. Ich lehnte mich gegen seine Schulter und versuchte durch meine verschwommene Welt zu blicken.
,,Nichts", murmelte ich schwach und schloss die Augen. Ich konnte nichts machen.
,,Dein Arm blutet aber", setzte Julien bestimmter hinzu und griff danach. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte keine Kraft gehabt ihn wegzuziehen. Ich spürte seinen Blick auf meiner Haut.
,,Hast du dich geritzt?", fragte er sorgenvoll. Ich schüttelte den Kopf.
,,Sei ehrlich, Mexi", Juliens Stimme klang ernster als davor.
,,Wirklich nicht", ich wischte mich über meine Augen, ,,Der eine Schnitt blutet nur." Wie selbstverständlich ich das sagte. Als wäre es das normalste der Welt.
,,Okay", atmete Julien sichtlich erleichtert auf und löste seinen Arm von mir, ,,Warte kurz." Er stand auf und gleichzeitig verschwand die Wärme. Und ich ließ mich schwach zur Seite sinken. Wieder verschwamm meine Welt.
Ich hörte wie Julien das Zimmer verließ. Bitte komm nicht wieder. Ich schloss erneut die Augen und drückte meine Hände darauf.
Wieso war Julien hier und nicht Rezo? Die Antwort kannte ich. Weil ich Rezo verloren hatte. Weil ich ihn enttäuscht hatte. Weil ich ihn angelogen hatte. Einfach alles was ich getan hatte.
Die Zimmertür öffnete sich wieder und Julien setzte sich erneut neben mich. Ebenso vorsichtig wie vohin zog er mich wieder hoch und ich lehnte mich erneut schwach gegen seine Schulter.
Mein Blick fiel auf Juliens Hände. Mehrere kleine Gegenstände lagen darin mit denen er irgendwas machte. Ich blinzelte gegen die Tränen, aber da griff Julien schon nach meinem Arm und legte ich auf seinen Oberschenkel. Dieses mal wollte ich ihn wegziehen, aber Julien hielt ihn fest. Dann spürte ich wie sich etwas weiches auf meinen Schnitt legte. Und dann wie Julien es mit seiner Hand festdrückte.
Erst als er seine Hand wieder wegzog erkannte ich das weiße Pflaster, dass er über den Schnitt geklebt hatte. Er öffnete ein zweites Pflaster und klebte es über einen anderen Schnitt.
,,Woher-", hob ich leise an, aber Julien schüttelte nur den Kopf.
,,Nicht jetzt, Mexi", sagte er bestimmt.
,,Wieso nicht?", fragte ich nach, während er einen weiteren Schnitt überklebte. Er seufzte und öffnete ein weiteres Pflaster. Er schien zu überlegen, während er es über mehrere der älteren Schnitte klebte. Dann seufzte er wieder.
,,Ich habe den Pflegern mal zwei Packungen geklaut. Für den Fall, dass Rezo sich wieder etwas antut", antwortete er dann bestimmt und klebte das letzte Pflaster über die letzten Schnitte.
Rezo. Da waren wir also wieder bei ihm. Julien griff nach meinem rechten Arm und musterte diesen. Er griff in seine Hosentasche und holte zwei weitere Pflaster hevor. Dann überklebte er auch die Schnitte auf meinem rechten Arm mit ihnen.
,,Wo sind deinee Klingen?", fragte Julien, während er das Papier der Pflaster zusammenknüllte und sah mich bestimmt an.
,,Weggeschmissen", murmelte ich. Leider.
Julien seufzte schwer:,,Gib sie mir doch bitte einfach, Mexi."
,,Wirklich", verstärkte ich mit Nachdruck. Wieder seufzte Julien. Und wieder stand er auf. Aber dieses mal blieb ich sitzen und sah ihm nach wie er das Zimmer verließ.
Er glaubte mir nicht. Und ich nahm es ihm auch nicht übel. Man konnte mir nicht vertrauen.
Ich sah auf meine Arme. Jeder einzelne Schnitt war mit weißen Pflastern bedeckt und nur ein Schnitt war noch am rechten Arm zu erkennen.
In dem Moment öffnete sich die Tür wieder und Julien betrat mit Rewi das Zimmer. Rewi musterte mich kurz, dann ging er zu meinem Schrank und öffnete diesen, während Julien meinen Koffer unter dem Bett hervorkramte und öffnete.
,,Was macht ihr?", fragte ich und wischte mir wieder über die Augen. Langsam versiegten meine Tränen.
,,Deine Klingen suchen, wenn du sie uns nicht gibst", antwortete Rewi mit ernster Stimme, während er meine Hoodies durchstöberte.
,,Ich hab keine mehr", antwortete ich leicht wütend und krallte meine Finger in den Stoff meiner Jogginghose. Aber sie ignorierten mich und durchsuchten weiter meine Sache. Sie vertrauen mir nicht mehr...
Ich hinderte sie allerdings auch nicht daran. Stattdessen rückte ich an die Wand und musterte sie dabei. Nur als Rewi meine Socken begutachtete hielt ich für einen Moment die Luft an. Die Tabletten...
Aber Rewi legte sie ohne etwas zu merken zurück und ich atmete wieder auf. Eigentlich war es sogar egal ob sie sie fanden oder nicht. Es waren sowieso noch lange nicht genug.
Julien öffnete unterdessen jedes Fach meines Koffers, bevor er mein Kopfkissen und meinen Nachschrank inspizierte.
,,Wo hat Rezo die noch immer versteckt?", fragte Rewi besorgt, nachdem er mit meinem Schrank fertig zu sein schien.
,,Lattenrost", Julien zeigte ohne aufzusehen zu meinem Bett.
Rewi nickte und sah zu mir:,,Aufstehen, Mexi."
,,Wieso?", fragte ich verwirrt.
,,Darum", sagte Rewi bestimmt und zog mich hoch. Jetzt stand ich sinnlos im Raum und sah beiden dabei zu wie sie mein Zimmer auf den Kopf stellten. Nach Klingen, die es nicht mehr gab, aber es mir nicht glaubten, weil sie mir nicht mehr vertrauten.
Und das tat fast genauso weh wie die Tatsache, dass Rezo nicht dabei war.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt