,,Morgen", murmelte ich und setzte mich ohne Julien oder Rezo wirklich anzusehen auf meinen Platz. Wortlos stellte ich meinen Teller vor mir ab und unterdrückte einen Seufzer.
Die Nacht war grauenhaft gewesen. Es hatte fast fünf Minuten gedauert, bis der letzte Schnitt aufgehört hatte zu bluten. Danach hatte ich mir notdürftig einen meiner Hoodies übergezogen und mich ins Bett gelegt. Aber Schlaf hatte ich kaum gefunden.
Die Schmerzen in meinem Arm und der Gedanke an das Gespräch mit meinen Eltern hatten mich wach gehalten. Immer wieder hatte ich meine schweigende Mutter vor mir gesehen, wie sie mich hier abgesetzt hatte.
,,Bereit für die Familientherapie?", sprach Rezo das Thema auch schon an und biss genüsslich in sein Käsebrot.
Ich vermied es ihn anzusehen und zuckte mur mit den Schultern. Nein. Ich schloss die Augen und seufzte doch. Wieso war alles so unfassbar schwer?
Ich spürte wie erneut Tränen in mir aufstiegen. Wie sollte ich den Tag nur rumkriegen? Die Müdigkeit erschlug mich fast, die Wunden brannten unerklärlich stark, das schlechte Gewissen meine Freunde anzulügen lag wie ein Stein auf mir und das Gespräch würde mir den Rest geben.
,,Alles okay?", fragte Rezo besorgt und wechselte einen schnellen Blick mit Julien. Nicht einbrechen.
,,Passt schon", brachte ich mühsam hervor, obwohl ich das Gefühl hattegleich umzukippen. Sie sollten nicht sehen, was ich fühlte.
,,So siehst du aber nicht aus", Julien griff nach meinem Kinn und drehte meinen Kopf zu ihm. Sofort zwang ich mich zu einem Lächeln und versuchte irgendwie nicht ganz so fertig auszusehen wie ich war.
,,Du bist ziemlich blass", bemerkte Rezo besorgt und musterte mich.
Kümmert euch nicht um mich. Wieso konnten sie mich nicht einfach wegstoßen wie anderen Menschen es konnten?
,,Du solltest vielleicht mal zu einem der Pfleger", pflichtete Julien Rezo bei, aber ich schüttelte den Kopf. Wenigstens das gelang mir einigermaßen.
Wieso könnt ihr mich nicht einfach hassen? Jeder konnte das. Und es machte alles so viel einfacher. Das schlechte Gewissen sie anzulügen war beinahe schlimmer als die Einsamkeit.
,,Keine Lust auf die Familiensitzung", murmelte ich und wandte den Blick wieder ab, damit sie den Schmerz in meinen Augen nicht sahen. Damit sie die aufkommenden Tränen nicht sahen.
,,Sicher das es nur das ist?", harkte Rezo nach und ich spürte wieder seinen Blick auf mir. Er war wirklich gut. Gut darin meine Lügen zu erkennen. Aber dieses mal würde er sie glauben müssen.
Ich nickte:,,Ja. Wirklich. Ihr müsst nicht immer nachfragen. Nervt irgendwie langsam echt." Ich warf beiden einen entschulfigenden Blick zu, aber glrichzeitig zog sich mein Herz zusammen. Wieso sagte ich sowas? Wieso konnte ich ihnen nicht einfach meinen Arm zeigen und einbrechen? Wieso machte ich es mir so schwer?
Vielleicht hatte ich Angst vor ihrer Reaktion. Angst davor gehasst zu werden. Dabei wollte ein Teil von mir das sogar. Wollte sich von ihnen trennen, damit ich einfacher sterben konnte. Denn auch wenn ich es mir nicht eingestand: Mit jedem Tag, den ich mit ihnen verbrachte, fiel es mir schwerer zu gehen.
,,Okay, aber wir bringen dich zur Therapie und warten davor", entschied Julien nach kurzem Zögern. Ich weiß was du denkst. Ich weiß, dass dich der letzte Satz verletzt hat. Aber ich korriegierte ihn nicht. Rezos Schweigen bestätigte es mir erneut. Auch ihn hatte ich immerhin ein visschen getroffen.
,,Iss wenigstens was", Julien schob mir meinen Teller zu, den ich möglichst weit in die Tischmitte gestellt hatte. Wieder schüttelte ich den Kopf und riskierte einen Blick zu Rezo. Er sah schweigend aus dem Fester neben mir und schien nachzudenken.
Sorry. Aber ich sprach es nicht aus.
,,Wir sollten dann mal los, oder?", Julien nickte zur Uhr und stellte seinen Teller zu meinem. Ich nickte nur und stand auf, auch wenn mich alles zum Boden zog. Wie sollte ich das Gespräch schaffen?
,,Kommst du Rezo?", fragte Julien und stand ebenfalls auf. Ich stellte mich neben ihn und musterte Rezo. Kurz schien er noch mit sich zu ringen, dann stand er ebenfalls auf und nickte:,,Können."
,,Wo sind Felix und Rewi?", fragte ich als wir losgingen. Rezos Blick versuchte ich zu ignorieren und mich irgendwie abzulenken.
,,Die haben früh gegessen und haben ein Gespräch mit den Pflegern grad", informierte mich Julien, als wir den Speiseraum verließen.
,,Wieso das denn?", fragte ich nach.
,,Wegen Rewis Aussetzer. Die wollen wohl nochmal klären, dass zwischen beiden auch wirklich alles okay ist", Julien zuckte mit den Schultern.
,,Komisch", murmelte ich und konzentrierte mich auf den Fußboden unter meinen Füßen.
Julien hielt vorm Pflegerzimmer und klopfte. Ich riskierte einen weiteren Blick zu Rezo, aber er mied es mich anzusehen. Das versetzte mir einen Stich. Der Satz hatte ihn vermutlich echt getroffen.
,,Ah, Maximilian", Frau Singer öffnete die Tür und begrüßte mich, ,,Zur Familientherapie, richtig?" Ich nickte und machte einen Schritt ins Pflegerzimmer.
,,Gut, dann nimm noch deine Medikamente und wir müssen zu Raum-", sie stockte, reichte mir meine Tabletten und meine Wasserfasche und ging zu einem Ordner. Darin begann sie zu blättern. Ich ließ meine Tabletten unbemerkt in meine Hand fallen und setzte die Wasserflasche an. Innerlich betete ich, dass Julien umd Rezo so standen, dass sie es nicht gesehen hatten. Aber als ich mich umdrehte inspizierte Julien nur die Speiseliste für diese Woche und Rezo sah mich immernoch nicht an. Wenigstens jetzt hatte es seine Vorteile.
,,Wir müssen zu Raum 114", Frau Singer sah von ihrem Ordner auf und ging wieder zu mir. Sie stellte meine Wasserflasche zu den anderen und griff nach einem Schlüssel am Schlüsselbrett neben der Tür.
,,Können wir vorm Raum warten?", fragte Julien, als ich Frau Singer wieder auf den Flur folgte.
Sie musterte ihn und Rezo kritisch und schüttelte dann den Kopf:,,Ihr könnt hier warten." Ihr bestimmter Unterton ließ keine Diskussion zu, das begriff auch Julien.
,,Du schaffst das", er umarmte mich stattdessen kurz und klopfte mir auf die Schulter, ,,Geht schneller rum als man denkt." Er löste sich von mir und sah zu Rezo, aber dieser nickte mir nur zu:,,Kriegst du hin."
Ich wusste nicht ob es seine Worte, die Tatsache das er mich nicht umarmte oder der enttäuschte Blick waren, aber das schlechte Gewissen erschlug mich, als ich mich abwandte und Frau Singer aus der Station folgte.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...