Ich lag auf dem Rücken und sah zur dunklen Decke hinauf. Neben mir verriet das leise Schnarchen meiner Mutter, dass sie eingeschlafen war.
Vorsichtig richtete ich mich auf und warf einen Blick zu der Couch, auf der ein dunkler Umriss ihre Gestalt verriet. Sie hatte mich angeschrien, als ich zurückgekommen war. Aber das kannte ich ja. Jetzt wirkte sie viel friedlicher, wie sie einfach da lag und sich in ihrer Traumwelt verlor.
Möglichst leise schlug ich meine Decke zur Seite und stand auf. Die Matratze auf der ich gelegen hatte, war so niedrig, dass ich auch gleich auf dem Boden hätte liegen können.
Vorsichtig ging ich zur Tür, dann drehte ich mich ein letztes mal um und musterte meine Mutter. Tut mir Leid, dass du keinen besseren Sohn bekommen hast.
Dann wandte ich mich ab und lief den Flur zur Treppe herunter. Genauso leise lief ich die Treppenstufen hinauf und ging zu meiner Zimmertür.
Doch dann hielt ich noch einmal inne und warf einen Blick zum Schlafzimmer meiner Eltern. Mein Vater war nach meiner Rückkehr zurückgekommen und ohne ein Wort nach oben gegangen. Jetzt schlief er vermutlich ebenfalls. Danke für schöne Kindheitserinnerungen.
Ich drehte mich um und betrat mein Zimmer. Vorsichtig schlich ich zu der kleinen Lampe auf dem Schreibtisch und schaltete sie ein. Dann ging ich zurück zur Tür und schloss diese so leise wie möglich. Erst dann atmete ich auf und ließ meinen Blick durch mein Zimmer schweifen.
Hier war ich also wieder, ein gutes halbes Jahr später und dennoch am selben Punkt. Und mit mehr Narben.
Ich seufzte und ging zu meinem Bett. Schwerfällig ließ ich mich darauf nieder und setzte mich in den Schneidersitz.
Langsam griff ich in meine Hosentasche und holte die frisch verpackte Klinge hervor. Meine letzte. Ich zog mir meinen Hoodie über den Kopf und legte ihn daneben. Rezos Hoodie. Ich fuhr sanft über den Stoff und atmete tief durch. Ich werde dir jetzt folgen, auch wenn du mich dafür hassen würdest.
Der Gedanke tat weh. Zu wissen, dass er alles daran gesetzt hätte es zu verhindern. Das er das hier nie zugelassen hätte.
,,Aber du bist nicht mehr hier...", flüsterte ich und atmete erneut tief durch. Wie sollte der Schmerz überhaupt vergehen, wenn er immernoch so sehr an mir nagte, wie direkt nach seinem Tod?
Ich betrachtete meine zerschnittenen Arme. Die Schnitte waren blutverklebt und schmerzten immernoch. Ich wanderte meinen Blick zur Klinge. Sie schimmerte im Licht der Lampe.
Ich hatte mich für diesen Weg entschieden. Nicht weil Rezo ihn gewählt hatte, sondern weil ich bereit für die Schmerzen war. Bereit sie zu ertragen um zu gehen. Bereit mich einem letzten Schmerz zu stellen.
Das Gefühl zu wissen, dass man sterben würde war merkwürdig. Es war keine Angst, eher eine lähmende Ungewissheit. Ein leiser Schatten, der sich durch das Zimmer zog und einen beobachtete. Ich schloss die Augen.
Ein letztes mal ließ ich die Erinnerungen an Rezo zu. Die Erinnerung an den ersten Moment, als ich Julien und ihm begegnet war. Als ich nie gedacht hätte, dass er mir einmal etwas bedeuten würde. Er war nur ein weiterer Patient in einer verdammten Klinik gewesen.
Die Erinnerung an meinen Zusammenbruch im Pavillion. An Taddl. Bei dem Gedanken spürte ich wie ich fröstelte. Taddl.
Ich hatte ihn seit Rezos Tod nicht mehr gesehen. Ich spürte ein Ziehen in der Brust und kniff die Augen zusammen. Taddl hatte all das auch nicht verdient. Auch wenn er auf einer anderen Station gewesen war, war er mir dennoch wichtig gewesen.
Er war eine unfassbar besondere Persönlichkeit, hatte Rezos Tiefgründigkeig, Juliens Humor, Felix Gleichgültigkeit und Rewis Selbstbewusstsein. Zu gern hätte ich mich vom ihm verabschiedet. Aber vielleicht war er auch schon lange fort, entlassen oder auf einer anderen Station. Leb wohl Taddl.
Ich öffnete meine Augen wieder. Am liebsten hätte ich jede Erinnerung an gute Tage mit den Anderen durchdacht, allerdings hatte ich mich genug in meinen Gedanken verloren. Du hast in deinem Leben genug gedacht. Es bringt nichts in Erinnerungen zu leben. Schweren Herzens griff ich nach der Klinge.
Einige Menschen behaupteten, dass es leicht war zu gehen. Das es leicht war sich die Klinge über die Haut zu ziehen, wissend das es das letzte sein würde, was man je tun würde. Das man mit dem Gedanken jetzt zu sterben abgeschlossen hatte. Doch das war gelogen. Sterben war nicht einfach. Suizid ist nicht einfach.
Die Momente vergingen langsamer und jede noch so kleine Bewegung wog schwerer als Blei.
Ich zog die Klinge aus der Schutzfolie und betrachtete sie in meiner Handinnenfläche. Es war meine letzte Klinge. Meine allerletzte. Und nach ihr würde nie mehr eine kommen.
Da war kein Gedanke mehr daran, dass ich es nicht schaffen würde. Irgendwo tief in mir drin war da ein gewisser Frieden. Die Gewissheit, dass es dieses mal gelingen würde. Keine Gedanken mehr. Keine Gefühle. Keine Erinnerungen. Und das war okay. Ich war bereit dafür. Ich griff nach der Klinge und musterte meinen linken Arm. Mit dem Ringfinger der rechten Hand tastete ich nach der Pulsader am Handgelenk. Zwei Narben zogen sich bereits quer über die Haut. Nicht tief genug, nur ein weiterer verzweifelter Versuch seine Gefühle zu kontrollieren.
Behutsam setzte ich die Klinge an der Stelle an und schloss die Augen. Gab es noch etwas, was ich tun musste? Einen letzten Gedanken? Nein. Es war alles okay. Ich hatte mein Leben gelebt. Hatte gelacht, geweint, gedacht und gehasst. Egal was das Leben noch zu bieten hätte, ich würde es nicht mehr erleben. Ich bin bereit zu gehen.
Vorsichtig began ich die Klinge in die Haut zu drücken. Fast sofort spürte ich wie der erste Schmerz kam. Ein altbekannter Schmerz. Doch ich brauchte mehr als das.
Ich holte tief Luft, dann drückte ich die Klinge so tief ich konnte in die Haut und zog sie mit derselben Kraft Richtung Ellenbogen. Stumm verharrte ich einen Moment. Nur eine Milisekunde, die die Welt zu schweigen schien.
Dann kam der Schmerz. Schmerz, der jeden bisherigen übertraf und mich so scharf Luft holen ließ, dass es mir Tränen in die Augen trieb. Ich atmete tief durch und sah auf meinen Arm, aus dem sofort tiefrotes Blut zu laufen und zu spritzen began.
Ich spürte ich wie zu zittern began und schreien wollte. Mein Atem ging unregelmäßig und ich biss mir in den Stoff meines Tshirts. Eine Träne lief über mein Gesicht und ich versuchte ruhig zu atmen.
Kein Schnitt hatte je so geschmerzt. Ich hörte mich leise schluchzen und warf einen Blick auf meinem Arm. Immer mehr Blut lief auf die Bettdecke und bedeckte die Haut. So viel, dass ich zur Decke sah.
Der Schmerz betäubte meinen Kopf und ich schloss die Augen. Halt durch, Mexi.
Ich zitterte heftig und biss mir auf die Lippen. Mit der rechten Hand taste ich nach Rezos Hoodie und drückte ihn an meine Brust.
Es tut mir Leid Rezo.
Ich atmete tief durch und wollte wieder schreien. Mein ganzer Körper schien zu brennen und tausende Nadeln sich in meinen Arm zu rammen.
Ich ließ mich auf den Rücken fallen und sah zur Decke. Immernoch ging mein Atem unregelmäßig und ich hatte das Gefühl keine Luft zu bekommen. Aber mit jeder qualvollem Sekunde spürte ich wie die Kraft meinen Körper verließ. Als würde das Blut all die Energie mitnehmen, die ich je besessen hatte.
Schwer atmend versuchte ich einen Punkt an der Decke zu fixieren und einen klaren Gedanken zu fassen. Doch der Schmerz ließ mich nicht mehr denken. Und dennoch hatte ich immernoch keine Angst. Nicht einmal ein Bedauern.
Mein Körper began so heftig zu zittern, sodass ich kaum noch die Welt um mich herum wahrnahm. Immer wieder verschwamm meine Sicht, dann wurde sie etwas klarer. Ich schloss die Augen und kämpfte gegen den Schmerz.
Immernoch presste ich Rezos Hoodie an meine Brust und spürte wie mein Herz in ihr hämmerte. Letzte verzweifelte Versuche den Körper am Leben zu halten, weil es noch nicht verstanden hatte, dass es entgültig verloren hatte.
Ich versuchte meine Augen wieder zu öffnen, doch es gelang mir nicht. Sie waren zu schwer.
Im selben Moment spürte ich wie die Schwäche nach mir griff. Eine unendliche Müdigkeit, die mich packte. Und ich kämpfte nicht dagegen an.
Stattdessen griff ich nach ihr wie nach der Hand eines alten Freundes. Spürte wie sich mich hinabzog in eine tiefe Dunkelheit. Es ist okay... Dann wurde alles schwarz.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...