Ich betrat den Gemeinschaftsraum. Es saßen bereits mehrere Jugendliche an dem Tisch und auf den Stühlen darum herum. Die meisten hatte ich beim Essen schon gesehen, einige wenige waren mir fremd. Aber keiner von ihnen schien glücklich darüber zu sein, sich jetzt mit der Gruppentherapie abgeben zu müssen.
Ich sah zwischen einem Platz auf der Bank neben einem Mädchen, einem freien Stuhl und dem Platz neben Rezo auf der anderen Bank hin und her.
Aber dieser nahm mir die Entscheidung ab, stand auf und zog mit am Hoodie neben sich. Julien saß auf der anderen Seite und redete gerade mit einem anderen Jungen.
Dann betrat auch schon eine Pflegerin mit "Frau Tuhn" mit zwei weiteren Pflegern den Raum, die sich auf die freien Plätze zwischen und setzten. Sie selbst setzte sich auf einen Stuhl an Ende des Tisches und ich folgte den Blicken der anderen zu ihr.
,,Schön, dass heute mal alle zur Gruppentherapiestunde erschienen sind", begrüßte sie uns freundlich.
,,Zuerst würde ich gerne einmal von allen hören, ob sie ihr leztes Wochenziel erreicht haben und was euer nächstes ist", sagte sie und holte ein Mappe hervor.
Ich sah verwirrt zu Rezo, der sich zu mir drehte und flüsterte:,,Wir haben hier jede Woche ein Wochenziel. Das sollen wir erfüllen."
Ich erschauderte. Darauf hatte ich noch weniger Lust, als auf ein dummes Gruppengespräch.
Ein Mädchen begann:,,Mein Ziel war es jeden Tag zum Essen zu kommen und das habe ich erreicht. Als nächstes möchte ich jeden Tag einmal raus gehen."
Sie bekam ein Lob von Frau Tuhn und ich schüttelte nur den Kopf.
Konnte diese Show noch schlimmer werden?
Die nächsten zwei Patienten sprachen über ihre Ziele, aber ich hörte erst bei Julien wieder wirklich zu.
,,Mein Ziel war es jeden Tag meine Medikamente zu nehmen. Habe ich gemacht", sagte er mit wenig Freude in der Stimme, ,,Mein nächstes Ziel ist es, jeden Tag eine Stunde an meinen Zeichnungen zu arbeiten."
Die Pflegerin nickte anerkennend:,,Das ist doch mal ein lobenswertes Ziel."
Julien nickte nur.
,,Mein Ziel habe ich nicht erreicht", began Rezo als nächstes, ,,Ich nehme das gleiche Ziel nochmal."
,,Das wäre dann das vierte mal. Hast du nicht mal ein Neues?", fragte die Pflegerin wenig begeistert.
Aber Rezo schüttelte den Kopf und sie notierte sich sein Ziel, welches auch immer es war, erneut.
,,Maximilian. Hast du denn schon eine Idee für dein erstes Wochenziel?", fragte sie mich dann.
Ich sah ihr nicht in die Augen, sondern schüttelte nur den Kopf und starrte auf den Tisch vor mir.
,,Wie wäre es, wenn wir dich einmal am Tag ohne Kapuze sehen würden?", schlug sie sofort vor.
Ich zuckte nur mit den Schultern und hörte wie sie das notierte.
Was ein tolles Ziel.
Aber anscheinend musste man es nicht erreichen, wie Rezo bewies.
Die anderen am Tisch redeten der Reihe nach über ihre Ziele, aber ich blendete es einfach aus.
Ein Blick auf dir Uhr zeigte mir, das nichtmal zehn Minuten um waren, als Frau Tuhn die Mappe schloss.
,,So, da haben sich ja schon einige Ziele wieder erfüllt. Jetzt möchte ich von jedem einmal ein Kompliment über die Person neben euch hören", sie lächelte in die Runde und machte dem ersten Mädchen irgendein Kompliment, dass sie lächeln ließ.
Ich stöhnte innerlich auf.
Es war doch eh alles gelogen.
Ich musterte die Gesichter vor mir und alle sahen zu ihrem Nachbarn um sich ein Kompliment zu überlegen. Also mussterte ich den Jungen neben mir. Er hieß Patrick, so weit ich mich erinnerte.
Er trug einen coolen schwarzen Pulli mit einem Kürbis darauf. Hatte irgendwie was.
,,Ich mag deine Zeichnungen, Julien", sagte das Mädchen neben diesem und riss mich aus meinen Überlegungen.
Julien bedankte sich und wandte sich an Rezo:,,Ich mag deine blauen Haare."
Dieser boxte ihm in die Seite:,,Dir gehts mal wieder nur ums Aussehen."
Alle lachten kurz, außer mir.
Ich konnte mich davon einfach nicht anstecken lassen.
Rezo drehte sich zu mir und lächelte entschuldigend:,,Ich mag deine ehrliche Art." Dabei sah er mir direkt in die Augen, sodass ich nicht wieder wegsehen konnte.
Ich erwiderte den Blick, auch wenn ich sofort an gestern denken musste.
Die gebrochenen traurigen Augen, die jetzt wieder strahlend blau waren.
Was auch immer er mit dem Satz sagen wollte, er schien ihn wirklich ernst zu meinen.
Ich drehte mich zu Patrick:,,Ich mag deinen Pulli."
Ich versuchte aufrichtig zu klingen, aber irgendwie misslang es.
Doch es schien ihn nicht zu stören:,,Danke."
Ich sah wieder weg und kniff die Augen zusammen. Nicht mal Komplimente konnte ich geben.
Die nächsten Fragerunden schwieg ich. Lieblingsfarbe, Lieblingstier, Lieblingssong. Hatte ich alles eh nicht.
Und es schien auch niemanden zu stören, das ich schwieg.
Irgendwann beendete Frau Tuhn endlich die Runde und ich stand sofort auf und lief in Richtung meines Zimmers.
Mein Kopf schmerzte immernoch und ich atmete tief durch, als ich den Flur zu meinem Zimmer betrat.
Die Gruppentherapie war schrecklich. Man steckte einen Haufen psychisch Kranker in einen Raum und zwang sie sich Komplimente zu machen, die sowieso gelogen waren.
Ehrliche Art.
Wow, musste ich toll sein.
In dem Moment drückte mich jemand nach rechts und ich stolperte erschrocken in das Zimmer neben mir. Im selben Moment schloss sich die Tür und ich blickte zu Rezo der mich nachdenklich musterte.
,,Ey!", war das einzige, das mir einfiel.
,,Wir reden jetzt. Ich halt das so nicht mehr aus", sagte Rezo und ignorierte meine Verwirrung.
,,Wieso bist du hier?", fragte er weiter und trat einen Schritt näher, während ich einen zurückwich.
Was wurde das denn hier?
,,Ich geh in mein Zimmer", sagte ich und ging zur Tür, aber Rezo verdrehte die Augen und stellte sich mir in den Weg.
,,Wieso bist du hier?", wiederholte er mit ruhiger Stimme.
,,Wieso interessierts dich?", fragte ich stattdessen und sah ihm in die Augen.
Ich wollte allein in mein Zimmer.
Kein dummes Gespräch.
,,Mexi, ich will dich verstehen. Taddl meinte, wir sollten reden und du willst das anscheind nicht", blaffte Rezo zurück.
,,Wozu auch?", ich versuchte an Rezo vorbeizukommen, aber er drückte mich zurück.
,,Keine Ahnung", gestand Rezo, aber seine Stimme blieb kalt.
,,Dann lass mich jetzt allein sein!", ich ging erneut zur Tür.
Erneut, diesmal energischer, drückte er mich zurück.
,,Wieso bist du hier?", fragte Rezo lauter.
,,Weil ich versucht habe mich umzubringen. Zufrieden?", antwortete ich genauso laut und sah ihm dabei direkt in die Augen.
Der Satz der folgte tat mehr weh, als die Gleichgültigkeit in seiner Stimme:,,Ich auch."
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...