-160-

504 62 12
                                    

,,Sind alle da?", Mark verließ das Pflegerzimmer und ließ seinen Blick über unsere Köpfe schweifen.
,,Ja", meldete sich Julien und streckte seinen Daumen nach oben.
,,Sehr gut, dann einmal folgen bitte", Mark drehte sich um und öffnete die Glastür zum Treppenhaus. Nacheinander verließen die Patienten vor mir die Station und ich ließ mich hinter Felix fallen, der gerade über irgendwas mit Rewi diskutierte. Dieser lachte und stieß Felix in die Seite, während wir Mark die Treppe zu den Kunsträumen herunter folgten.
Ich musterte Rewi dabei für einen Moment. Er wirkte wie ausgewechselt. Da war keine Spur mehr von der angestauten Wut oder dem was eben erst passiert war. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Und darum beneidete ich ihn irgendwie.
Wenn es doch bei Depressionen genauso einfach wäre... Aber vielleicht war Rewi auch einfach nur ein guter Schauspieler. Wie Rezo.
Mein Blick glitt zu dem blauhaarigen Jungen, der vor Rewi ging. Wie hatte er es geschafft Rewi so zu beruhigen? Aber es wunderte mich fast schon gar nicht mehr. Rezo schaffte es sogar bei mir sich durch die tiefsten Gedanken zu drängen und irgendwo eine Hoffnungskerze zu plazieren. Der Gedanke ließ mich kurz lächeln.
Ich überholte zwei Jungen vor mir und stellte mich neben Julien, als Mark vor einer der Türen stehen blieb. Im Türrahmen stand bereits Herr Weschmann und lächelte uns freundlich entgegen. Dieses mal trug er ein blau weiß kariertes Hemd mit einem Tannenbaumanstecker auf der rechten Brust.
,,Du hast das im Griff?", fragte Mark den älteren Mann.
Dieser nickte:,,Natürlich Mark." Dann klatschte er in die Hände:,,Gut ihr Lieben, kommt erstmal rein und sucht euch einen Platz." Nacheinander folgten wir ihm in den Raum mit seinen bunten Bildern an der Wand.
Wie beim letzten mal war es ein wenig unordentlich und ich war mir fast sicher, dass einige neue Farbflecken dazugekommem waren. Aber dennoch mochte ich diesen Raum mit seinen großen Fenstern.
Ich ließ mich zwischen Felix und Rezo auf einem der Stühle nieder und rückte an den bunten Tisch heran. Herr Weschmann verschwand im angrenzenden Raum und kam kurz darauf mit zwei großen Kartons im Arm zurück, die er auf einen freien Tisch an der Wand stellte.
,,Freut mich sehr, dass ihr alle wieder dabei seid", er drehte sich zu uns herum und strahlte, ,,Weiß einer schon, was wir heute machen?" Ich schüttelte instiktiv den Kopf und musterte die Anderen. Aber keiner sagte etwas.
,,Dann dürft ihr euch alle überraschen lassen", freute Herr Weschmann sich und griff in einen der Kartons. Vorsichtig zog er ein braunes Quadrat hervor und hielt es in die Höhe.
,,Was ist das?", fragte Rewi interessiert und lehnte sich ein Stück vor.
,,Eine interessante Frage, Sebulon", griff Herr Wenschmann Rewis Frage auf und winkte ihn zu sich, ,,Du darfst es gern herausfinden." Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und Julien musste sogar leise lachen.
,,Sebastian", korrigierte Rewi lächelnd und stand auf. Er ging nach vorne zu Herrn Weschmann und musterte das Quadrat aus der Nähe.
,,Und, hast du jetzt einr Idee?", fragte dieser. Rewi überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf.
,,Dann probier doch mal ein Stück", Herr Weschmann riss eine Ecke des Quadrats ab und hielt es Rewi entgegen.
Dieser sah misstrauisch darauf:,,Kann man das überhaupt essen?"
,,Ihr seid immer so vorsichtig", Herr Weschmann lachte leise, dann wurde er wieder ernst, ,,Außer mit euch selbst. Da seid ihr es leider nicht." Für einen Moment schien er in Gedanken, dann biss er selbst von dem Stück in seiner Hand ab.
,,Lebkuchen!", rief Antonia in dem Moment von einem Platz am Fenster, ,,Das ist Lebkuchen, oder?"
,,Genau", Herr Weschmann lächelte wieder und zeigte auf die beiden Kartons, ,,Da wir jetzt Winter haben, möchte ich gerne Lebkuchenhäuser mit euch bauen." Interessiert folgte ich seinem Blick. Ich hatte noch nie ein Lebkuchenhaus gemacht, aber die, die ich gesehen hatte, waren wirklich schön gewesen.
,,Ich dachte, wir machen eine Kunsttherapie", murmelte Felix wenig begeistert, ,,Keine Backtherapie."
Herr Weschmann drehte sich zu ihm:,,Alles ist Kunst, Felix. So groß sind die Unterschiede nicht."
Dann deutete er wieder zu den Kartons:,,Die Lebkuchenhäuser müsst ihr selbst mit Zuckerguss zusammenkleben. Aber die einzlenen Lebkuchen sind in Boxen für euch zusammengestellt. Ihr könnt leider nicht jeder ein eigenes machen, aber wenn ihr euch zu dritt oder viert zusammemtut, macht es bestimmt auch mehr Spaß."
Er trat einen Schritt zurück:,,Bedient euch."
Rewi, der immernoch vorne stand, ging als erster zu einem der Kartons und holte eine größere Box hervor. Damit kam er zu uns gelaufen und stellte sie auf den Tisch von Felix und sich ab.
,,Machen wir zu fünft?", fragte er dann voller Vorfreude.
,,Klar", Julien nickte und rückte mit seinem Stuhl an deren Tisch heran. Ich tat es ihm gleich und musterte interessiert die Box in der Tischmitte.
,,Hat einer von euch schonmal eins gemacht?", fragte Rezo neugierig.
,,In der Grundschule, ja", lachte Rewi und zog vorsichtig den Deckel von der Box.
,,Oh, dann bist du ja Lebkuchenmeister", bemerkte Felix schnippisch. Man merkte ihm an, dass er von der Lebkuchenhausidee noch nicht überzeugt war. Rewi überhörte die Bemerkung und sah stattdessen interessiert in die Box. Dann zog er mehrere Lebkuchenquadrate hervor. In einigen konnte man Fenster erkennen und sogar eine Tür. Und auf zwei Stücken waren Dachziegel angedeutet. Ganz unten war zudem eine Art Anleitung, die beschrieb, wie man die Teile zusammensetzen musste.
,,Zuckerguss", verschaffte Herr Weschmann sich Gehör, ,,Zuckerguss gibt es hier." Er stellte einen großen Farbeimer auf den Tisch und öffnete den Deckel.
,,Ein Farbeimer?", schmunzelte Julien.
,,Ich habe euch genug angerührt", zwinkerte Herr Weschmann. Dann zog er noch einen kleinen Karton aus einem der Regale hervor und stellte ihn neben der Farbeimer.
,,Nochmal zuhören bitte", er klatschte in die Hände, ,,Zum Schluss darf sich jeder hier eine Figur rausnehmen und eurer Kreation beifügen."
,,Cool", Felix verdrehte die Augen.
,,Abwarten", Rewi schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, ,,Dich muss man manchmal zum Glück zwingen."
,,Pff", Felix verdrehte wieder die Augen, doch dann griff er sich eines der Lebkuchenteile und sah fragend zu Rewi, ,,Gut, wohin damit?"

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt