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Rezo rückte ebenfalls an die Wand und lehnte sich dagegen. Dann schaute er wieder zu mir.
,,Wenn du deine Kapuze abnimmst", er lächelte, als ich ihn verwirrt ansah, ,,Wenn ich dir sowas erzähle vertraue ich dir. Vertraust du mir?"
Sofort nickte ich.
Vor einem Monat hätte ich nie gedacht das mal sagen zu können. Aber ich vertraute ihm.
Dennoch unsicher zog ich mir die Kapuze vom Kopf und strich mit durch die Haare.
,,Wieso so nervös?", lachte Rezo leise und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
,,Ich weiß nicht", gestand ich und wischte mir noch einmal über meine Augen. Zum Glück hatten sie aufgehört zu tränen. Aber mein verheultes Gesicht würde ich nicht ansehen können. Wie konnte Rezo das nur?
,,Du kannst echt ohne Kapuze rumlaufen. Deine Haare sind cool", Rezo lächelte wieder.
,,Lenk nicht vom Thema ab", murmelte ich verlegen und musterte ihn.
Rezo nickte:,,Klar." Dann holte er tief Luft: ,,Ich hab nicht viel geschrieben. Eigentlich wollte ich gar nichts schreiben, aber ich dachte mir, dass ich der Welt eine letzte Botschaft von mir hinterlassen müsste. Klingt albern, nicht?"
Er verstummte und sah mich fragend an. Aber ich schüttelte nur den Kopf:,,Ich weiß was du meinst."
,,Na gut. Jedenfalls hatte ich unendlich viele Idee, hab viele wieder zerrissen und neu angefangen", fuhr Rezo fort. Wie ich. ,,Und am Ende stand da nur ein Sorry. Ich weiß, dass du jetzt den tiefgründigsten Abschiedsbrief erwartet hast, aber mehr konnte ich einfach nicht schreiben dazu. Ich hätte es erklären können, aber diese fünf Buchstaben waren perfekt", er sah wieder zu mir.
Ich nickte wieder:,,Ich glaube, ich weiß was du meinst."
,,Weißt du, ich hab dort draußen ein perfektes Leben gehabt. Ich hatte eine tolle Familie, viele Freunde, durchschnittliche Noten, hab viele Partys gefeiert", fuhr er fort, ,,Aber all das hat mich nicht davon abhalten können es zu versuchen. Weil ein Teil von mir nicht mehr konnte." Ich folgte seinen Worten interessiert.
Noch nie hatte ich Rezo so offen reden gehört. Und seine Geschichte verwunderte mich. Ich hatte gedacht, dass sein Leben genauso scheiße gelaufen war wie meins. Schlechte Familie, keine Freunde, schlechte Noten, nur allein.
In mein Gesicht trat wieder eine Spur Traurigkeit. Wieso hatte ich nicht so ein Leben gehabt?
,,Wie war dein Leben davor?", fragte Rezo vorsichtig, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte.
,,Scheiße", gestand ich und lächelte. Ich hätte wieder anfangen können zu heulen, aber ich lächekte einfach. So weinte ich wenigstens nicht gleich.
,,Verstehe. Das tut mir Leid", Rezo seufzte und fuhr sich durch die Haare, ,,Manchmal denke ich, dass ich keine Hilfe verdient habe. Mir geht es so gut da draußen." Er zeigte aus dem Fenster und ließ seine Hand dann sinken.
,,Sorry, ich-", er stockte und fuhr sich erneut durch die Haare. Er bricht. Ich hatte Rezo nur einmal brechen sehen. Nachdem er sich selbst verletzt hatte. Und gerade passierte es wieder. Er nahm seine Maske ab.
,,Das ist doch Quatsch", hörte ich mich sagen, ,,Wenn ich Hilfe verdiene, dann auch du. Nur weil dein Leben besser lief, heißt es nicht, dass du so fühlen musst."
Erstaunlich, zu was man in der Lage ist, wenn es einem scheiße geht, der einem wichtig ist. Vor fünf Minuten war ich das gewesen. Und jetzt war es Rezo. Aber gerade hatte ich die Kraft ihn etwas aufzumuntern.
Nicht wie bei Rewi. Es war anders. Wie raubte mir keine Kraft, es gab mir welche, als Rezo nickte:,,Ich weiß. Danke. Ist nur schwer es zu begreifen."
Ich nickte. Auch das verstand ich. Und ich verstand, dass er es vermutlich nie akzeptieren würde.
Wir schwiegen beide und ich sah auf meine angewinkelten Beine. Was passierte gerade?
,,Was wolltest du auf deinem Grabstein stehen haben?", fragte ich schließlich und sah wieder zu Rezo. Sein verwirrter Blick ließ mich kurz lächeln:,,Guck nicht so. Darüber hast du bestimmt auch nachgedacht."
Rezo erwiderte das Lächeln und sah auf den Boden. Er lachte auf:,,Fragenstellen kannst du."
,,Du hast angefangen", konterte ich und wartete interessiert auf die Antwort.
,,"When I'm dead, think in your head ,about the memories we made, as long as you live, there is no fade", antworte er schließlich und hob abwehrend die Hände, ,,Kitschig. Ich weiß."
,,Find ich nicht", sagte ich sofort und schüttelte den Kopf, ,,Gefällt mir sogar."
,,Willst du etwa meinen Grabsteinspruch klauen?", lachte Rezo, ,,Was wäre deiner denn gewesen?"
Ich schwieg kurz, dann fasste ich meinen Mut zusammen:,,"When I die, don't cry, look at the sky, and say Goodbye"", zitierte ich und sah erwartungsvoll zu Rezo.
Dieser lächelte:,,Kurz. Aber ebenso kitschig." Dann lachten wir beide.
,,Wir sollten über sowas nicht reden", bemerkte er, ,,Das sollten wir in siebzig Jahren erst." Er fuhr sich durch die Haare und seufzte. Ich nickte nur. Konnte sein.
,,Hat dir das Gespräch geholfen?", fragte Rezo und musterte mich.
Ich überlegte. Ich weinte nicht mehr, hatte sogar gelacht. Aber mein Problem mit dem Abschiedsbrief war dennoch nicht gelöst.
,,So halb", murmelte ich wahrheitsgemäß.
,,Immerhin", Rezo lächelte wieder und zog mir meine Kapuze wieder über den Kopf, ,,Machen wir dich mal wieder zum Hobbit."
,,Ey", ich grinste und versteckte eine Strähne darunter. Fast hätte ich meinen Ärmel hochgeschoben und ihm die Wunden gezeigt. Aber nur fast. Auch wenn das Gespräch wirklich etwas geholfen hatte, dafür war ich noch nicht bereit. Falls ich es jemals sein würde.
,,Gehen wir zum Mittagessen?", fragte Rezo und erhob sich.
Ich sah ihn verwirrt an:,,So spät schon?" Rezo nickte.
,,Klar", ich stand ebenfalls auf.
,,Halt", Rezo stellte sich vor mich, ,,Geh lieber vorher nochmal ins Bad und wasch dein Gesicht. Ist ziemlich rot."
,,Oh fuck", ich fuhr mir mit der Hand über meine Wangen. Sie glühten immernoch.
,,Ist doch nicht schlimm", sagte Rezo sofort, ,,Ju und die anderen verstehen das. Die stellen keine Fragen. Aber etwas weniger Farbe täte dir gut." Ich nickte zögernd.
Auf ein Mittagessen mit komischen Blicken konnte ich echt verzichten. Vertrau ihnen. Irgendwie tat ich das ja sogar ein bisschen. Aber dennoch nicht genug. Und das würde ich vermutlich auch leider nie.

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