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Ich ließ mich auf einen der blauen Plastikstühle nieder und stellte den Teller vor mir auf den Tisch. Ein Brot mit Salami. Mehr als gestern Abend.
Ich hatte mich nur schweigend zu Rezo und Julien an den Tisch gesetzt, war meinen Gedanken nachgegangen und hatte nichtmal bemerkt, dass Rewi und Felix gar nicht beim Essen gewesen waren, bis Rezo es angesprochen hatte. Die Nacht war auch nicht viel besser gewesen. Geschlafen hatte ich vielleicht vier Stunden mit unruhigen Träumen. Das Aufstehen war mir auch lange nicht mehr so schwer gefallen, wie heute morgen.
Ich gähnte und wollte gerade wieder sinnlos aus dem Fenstern starren, als die Stühle vor mir zurückgeschoben wurden.
,,Guten Morgen", Rewi setzte sich vor mir an den Tisch, Felix wie ein Schatten daneben.
,,Morgen", ich gähnte.
,,Schlecht geschlafen?", Rezo setzte sich neben mich auf den Stuhl, ,,Du sahst gestern schon fertig aus. Scheint nicht besser geworden zu sein."
Seine Bemerkung nervte mich. Wieso sollte es schon besser geworden sein? Ich zuckte nur mit den Schultern und beobachtete Julien, der sich einen Stuhl vom Nebentisch nahm und sich zu uns setzte.
,,Wo wart ihr gestern Abend?", fragte er und biss in sein Käsebrötchen.
,,Wir haben erstmal ein bisschen zu zweit geredet", antwortete Felix ihm.
,,Heute Abend kommen wir aber vorbei", setzte Rewi sofort hinzu und grinste, ,,Wir müssen unsere Gespräche wieder weiterführen."
Ich sah verständnislos in die Runden. Rezo bemerkte meinen Blick und lächelte:,,Rewi und Felix waren eine Zeit schonmal hier auf 3 und da haben wir jeden Abend über Gott und die Welt geredet. Das haben die beiden auf 4 mit Taddl und Ardy fortgeführt. Aber jetzt sind wir wieder dran."
Ich nickte und biss dann auch einmal von meinem Brot ab. Eigentlich hatte ich keinen Hunger, aber wenigstens stand ich dann nicht gleich als essgestört vor Rewi da.
,,Wo wart ihr gestern beim Abendessen?", fragte Julien.
,,Keinen Hunger", Rewi gabelte Salat auf und kaute dann ungeschickt darauf herum.
,,Immer noch dein Kieferbruch?", Julien blinzelte schelmisch zu Rewi, der die Augen verdrehte.
,,Es braucht halt seine Zeit zu heilen", wandte er ein und fuhr sich durch die Haare.
Ich musterte Rewi, der erneut auf einem Salatblatt herumkaute. Seine rechte Gesichtshälfte wirkte dabei seltsam steif. Rewi begegnete meinem Blick und grinste dann:,,Was schaust du?"
Ich zuckte zusammen und spürte wie ich rot im Gesicht wurde. Ich hatte nicht starren wollen.
,,Ist schon okay", lachte Rewi, ,,Würd ich auch tun."
,,Kannst ja deine Geschichte dazu erzählen", Rezo neben mir lachte kurz auf, ,,Obwohl er die Hälfte schon kennt."
,,Meine Lieblingsgeschichte also", Rewi seufzte gespielt und lehnte sich zurück.
,,Als Felix auf 2 musste hat mich das halt ziemlich mitgenommen", began er ohne zu zögern, ,,Und damals wollten sie mir auch nicht sagen, wieso er da hin muss. Es hieß nur, er sei instabil. Ardy hat mir dann geholfen herauszufinden wieso Felix auf die Geschlossene musste, indem er bei seiner Psychologin so viel gefragt hat, bis sie es ihm gesagt hat. Und der hat es dann mir erzählt. Das hat mich total aus der Fassung gebracht und einer der Pfleger auf 4 wollte mir Bedarfsmedikamente geben. Ich wollte aber keine und bin schließlich handgreiflich geworden. Nichts dramatisches, aber zwei andere Pfleger mussten eingreifen und dabei bin ich unglücklich mit meinem Kopf auf dem Tisch aufgekommen."
Er schob seinen Kiefer nach rechts und demonstrierte damit wohl, dass es ein Kieferbruch gewesen war.
,,Ist nicht gut abgeheilt auf 2", fügte er hinzu und lächelte wieder. Die Geschichte schien ihm weder was auszumachen, noch schämte er sich dafür.
Irgendwie beneidete ich ihn dafür. Wenn ich Rewi wäre, könnte ich darüber nicht so leicht reden.
,,Verstehe", murmelte ich.
,,Redest nicht viel, oder?", fragte Rewi mich daraufhin.
Ich zuckte mit den Schultern:,,Manchmal."
,,Mexi ist ein wenig schüchtern manchmal", Rezo stieß mir in die Seite und ich zuckte überrascht zusammen.
,,Stimmt gar nicht", ich stieß ihn zurück.
,,Guck, er kann auch lustig sein", sagte Rezo zu Rewi.
Dieser lachte:,,Ich seh schon."
,,Er gehört jetzt auch zum Gesprächsabend, ja?", fragte Julien beiläufig.
,,Klar", Felix nickte zu mir, ,,Mexi ist echt okay."
Die Worte ließen mich aufhorchen und ich sah dankbar zu Felix. So einen netten Kommentar hätte ich ihm manchmal echt nicht zugetraut.
,,Bahnt sich da ein Lächeln an?", fragte dieser herausfordernd und musterte mich.
Ich schüttelte den Kopf:,,Quatsch."
Dann biss ich wieder in mein Brot und schwieg.
Felix Satz hing in meinen Gedanken nach. Es war kein richtiges Kompliment und dennoch tat es irgendwie gut das von ihm zu hören. Ab und an war ich mir bei ihm nicht sicher, ob er mich mochte oder nur aushielt. Aber so einen Satz sagte man nicht einfach so, oder?
,,Drogenzeit?", fragte Rewi nach einer Weile und schob seinen Teller weg.
,,Sag das bloß nicht zu laut", flüsterte Felix und nickte zu einer Pflegerin, die an der Tür lehnte und uns beobachtete.
,,Wieso?", fragte Rewi verständnislos. Dann stand er auf und sagte laut zu uns:,,Drogenzeit, Freunde!"
Rezo und Julien lachten, während Felix ihn auf seinen Stuhl zurückzog. Die Pflegerin musterte Rewi kurz, bevor sie sich auf den Weg zu unserem Tisch machte.
,,Deswegen", sagte Felix genervt und verstränkte die Arme.
,,Sebastian", die Pflegerin, Frau Singer, blieb hinter Julien stehen, ,,Du bist seit einem Tag hier und schon weiß wieder jeder, dass du da bist."
,,Natürlich", sagte Rewi selbstbewusst und konterte ihren Blick.
,,Das freut uns ja alle sehr, aber hier gibt es auch Patienten mit Drogenvergangenheit. Deswegen wäre es schön, wenn du deine Medikamenteneinnahme anders betiteln könntest", fuhr sie ungerührt fort.
Rewi zuckte mit den Schultern:,,Wie Sie wünschen." ,,Auf zu den Kapseln des Glücks", er stand auf und sah wieder in die Runde, bevor er zu Frau Singer sah.
,,Besser?", fragte er, aber sie drehte sich nur um und ging zurück zu ihrem Platz an der Tür.
,,Kommt ihr?", fragte Rewi weiter und ging schon in Richtung Flur.
,,Müssen wir wohl", Rezo grinste noch immer. Ich sah Rewi erstaunt nach. Eins musste man ihm lassen: Selbstbewusst war er.

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