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Ich sah Rezo weiterhin in die Augen, während ich versuchte zu verstehen, was er gesagt hatte.
"Ich auch" So ein kurzer Satz mit so viel Bedeutung.
,,Was?", war das einzige das mir darauf einfiel. Ich hörte meine eigene Verwirrung heraus.
Rezo sah weg und setzte sich auf sein Bett hinter sich, während ich ihn weiterhin nur fassungslos anstarrte.
Er war mir seit meiner Einweisung als ein fröhlicher und humorvoller Junge und nicht suizidal vorgekommen. Anders als ich mich wahrnahm.
,,Ich hab zwei Versuche hinter mir, war zwei Monate auf der Geschlossenen und jetzt hat man mich auf diese Station verlegt", er lächelte, ,,Denkt man nicht, ne?"
Ich schüttelte perplex den Kopf und dachte nach.
Rezo hatte sogar zwei Versuche hinter sich, war auf der Geschlossenen gewesen und schon so lange hier. Und ich war gerade einmal ein paar Tage hier.
,,Tut mir Leid", antwortete ich nur.
,,Musst nicht lügen", sagte Rezo.
Ich nickte. Stimmt, es war gelogen.
Rezo klopfte neben sich aufs Bett und ich ging zögernd zu ihm und setzte mich neben ihn.
,,Die ersten Tage sind die schlimmsten, das weiß ich. Aber man gewöhnt sich dran", sagte er verständnisvoll.
Ich seufzte.
Ich will mich nicht dran gewöhnen müssen.
Rezo nahm meine Hände und schob die Ärmel meines Hoodies bis zu meinen Handgelenken hoch.
,,Ich mag das", sagte er und strich über den schwarzen Nagellack an meinen Fingernägeln, der an einigen Stellen bereits abgegangen war.
Ich unterdrückte den Drang meine Hände wegzuziehen.
Niemand mochte das. Es war gelogen. Aber wieso sollte er lügen?
Tust du doch auch.
,,Niemand mag Nagellack bei Jungen", sagte ich stumpf.
Rezo sah mir in die Augen:,,Ich schon. Es macht dich zu dem, der du bist."
,,Ich mag mich nicht", entgegnete ich sofort.
,,Wer mag sich schon, wenn er hier ist?", fragte Rezo.
Ich zuckte mit den Schulter.
Rezo wirkte als würde er sich mögen. Aber vielleicht war auch das gelogen?
,,Darf ich?", fragte er, bevor ich eeiter darüber nachdenken konnte.
Ich sah ihn fragend an, aber der schob meine Ärmel bereits weiter hoch.
Ich erstarrte. Nein, das sollte er nicht sehen.
Aber ich zog meine Häbde auch nicht weg.
Rezo betrachtete meine Unterarme und ich hatte das Gefühl als würde sein Blick auf den Narben brennen.
Einige waagerecht, einige senkrecht, einige kreuz und quer.
Weiße Linien neben roten. Tiefe, neben oberflächlichen.
Ich hasste den Anblick.
Rezo wendete meine Arme ein paar mal, dann seufzte er.
,,Auch ein kleiner Tiger", er lächelte wieder, aber es war eher ein trauriges Lächeln.
,,Sind nichtmal schlimm", murmelte ich etwas beschämt.
,,Narben sind immer schlimm", entgegnete Rezo.
Ich griff nach seinen Ärmeln und schob diese hoch. Rezo sah mir dabei einfach nur zu.
Ich betrachtete seine vernarbten Unterarme. An seinem linken waren einige weiße Pflaster über die Schnitte von gestern geklebt worden.
,,Selber Tiger", brummte ich, wenig begeistert.
Rezo musterte seine Arme.
Ich hielt seinen linken Arm vor sein Gesicht. Eine besonders tiefe auffallende Narbe am Handgelenk stach hervor.
,,Mein zweiter Versuch", sagte er unbeeindruckt.
Ich strich darüber. Die Haut hob sich stark hervor und wirkte doch so dünn.
,,War en bessere Idee, als meine", gab ich zu und bereute wieder, mir nicht die Pulsadern aufgeschnitten zu haben.
,,Ne glaub mir, ist nen dummer Weg", sagte Rezo und zog seine Arme aus meinen Händen.
,,Tabletten waren ein dummer Weg", sagte ich.
,,War auch mein erster Versuch. Aber wenn man nur eine halbe Packung hat, wirds schwierig", grinste Rezo.
Du versuchst nur zu überspielen, wie weh es tut, das es nicht geklappt hat.
Ich sah weg. Es versetzte mir einen Stich ihn so zu sehen.
,,Mit mehreren Schachteln klappts auch nicht", versuchte ich sein trauriges Grinsen zu ignorieren.
Rezo schwieg und ich senkte den Kopf.
Es war ein komisches Gespräch.
Ein trauriges Gespräch.
,,Schwere Depressionen und Borderline-Verdacht", Rezo streckte mir seine Hand entgegen und ich sah ihn verwirrt an.
Dann begriff ich und griff seine Hand:,,Verdacht auf schwere Depressionen. Noch Diagnoselos."
Ich schüttelte seine Hand, während er lächelte.
,,Schön dich kennenzulernen, Mexi. Willkommen auf Station 3", sagte er.
Ich nickte.
In dem Moment wurde die Tür geöffnet und Julien betrat das Zimmer.
Etwas verwirrt sah er uns an.
Ich musterte ihn, bis ich begriff, das Rezo und ich mit hochgekrämpelten Ärmeln voreinander auf dem Bett saßen.
,,Oh noch ein Tiger", Julien lächelte und zog seine Ärmel ebenfalls hoch.
Seine Narben waren blasser und es waren keine frischen Wunden, wie bei Rezo.
Rezo zog Julien zu uns aufs Bett und ich rückte zur Seite.
,,Mexi, das ist Julien. Schwere Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörung", stellte Rezo Julien scherzhaft vor. Julien gab mir die Hand und ich wiederholte meinen Satz.
,,Dieser Ort ist scheiße, Mexi. Keine Frage. Aber wenn man Freunde hat, hält man es irgendwie aus", sagte Rezo und legte seinen Arm um Julien.
,,Ihr wirkt viel glücklicher", murmelte ich und musterte die beiden.
Ohne ihre Narben könnte man sie für zwei beste Freunde in einem Schullandheim halten.
,,Phasen kommen und gehen. Man lernt zu verstecken", Juliens Stimme klang trauriger, als ich sie je gehört hatte. Rezo nickte.
,,Du gehörst jetzt zu uns Mexify", Rezo zog mich zu sich und ich rückte näher.
Ein Teil von mir wollte das. Er wollte diese Freundschaft.
Aber der andere Teil, der Teil der viel stärker war, wollte genau das nicht.
Ich werde sterben. Sobald ich die Gelegenheit habe. Und ich will euch nicht verletzen...
Aber diesen Teil schob ich fort. Ich hatte keine Wahl. Sie waren beide sehr nett und die ersten Menschen bei denen ich mich irgendwie normal fühlte.
Weil sie so waren wie ich vermutlich...
Wir können Freunde sein. Für den Moment. Ein paar Tage, ein paar Wochen. Aber dann gehe ich.
Es klang nicht fair, aber das war es auch nicht.
,,Gehen wir zum Essen", Rezo stand zuerst auf.
,,Tigerstreifen verstecken", grinste Julien und zog seine Ärmel wieder über seine Unterarme.
Ich versuchte ebenfalls ein Grinsen und zog meine Ärmel wieder runter.
Dann folgte ich den beiden.
Freunde auf Zeit...

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt