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Ich öffnete die Schranktür und griff vorsichtig unter eines meiner T-Shirts, die gestapelt auf einem der Bretter lagen. Behutsam zog ich die Klinge hervor und schloss die Schranktür wieder. 
Ich hatte es versucht. Wirklich versucht. Aber ich fand einfach keinen Schlaf, solange meine Gedanken so sehr an ihr hingen.
Ich ließ mich seufzend auf einen der Stühle fallen und betrachtete das silberne Stück Metall.
,,Was tue ich hier nur?", ich atmete heftig aus und wischte mir über die Augen. Meine Hand zitterte, während ich sie hin und her drehte. So wunderschön und gleichzeitig so grausam tödlich.
,,Wieso tue ich mir das an?", ich schloss meine Augen für einen Moment und seufzte. Mein Flüstern schien mir zu laut für diese Welt zu sein. Ich schob widerwillig den Ärmel meines Hoodies hoch und betrachtete die Schnitte darauf. Der tiefste war mit dunkelrotem Blut überdeckt. Offenbar war er heute irgendwann wieder aufgegangen. Aber wirklich wundern tat es mich nicht bei dem Tag.
Ich musterte die blaue Ader, die mein Handgelenk zierte. Mit meinem Zeigefinger fuhr ich darüber und zog meine Hand beihahe sofort zurück. Es schien so einfach zu sein. Probeweise setzte ich die Kinge an meinem Handgelenk an.
,,Ich müsste nur durchziehen...", flüsterte ich matt und kniff die Augen zusammen. Tat es weh? Natürlich würde es wehtun. Jeder Suizidversuch war schmerzhaft.
Ich ließ meine Hand wieder sinken. So sehr ich es auch tun wollte, ich konnte nicht. Noch nicht. Stattdessen setzte ich die Klinge weiter oben am Unterarm an und übte Druck aus. Lass mich etwas fühlen!
Erst als sie in die Haut schnitt, zog ich durch. Aber der Druck war so schwach, sodass sich nur winzige Blutstropfen bildeten. Ich drehte die Klinge im Licht, dass von draußen durch das Fenster schien.
Hatte ich sie wirklich schon so oft genutzt, dass sie jetzt stumpf wurde? Mein Blick fiel auf meinen Arm. Ja, hatte ich. Die neuen Schnitte zeichneten sich deutlich von den älteren Narben ab.
,,Ich bin so scheiße...", flüsterte ich und fuhr über den tiefsten Schnitt. Ich brauchte nur einen Moment zum Nachdenken, dann setzte ich die Klinge genau dort an. Das würde wehtun. Es musste wehtun.
Ich drückte die Klinge auf den Schnitt und zog durch. Sofort schossen mir Tränen in die Augen und ich biss mir in den Stoff meines Hoodies. Scheiße.
Ich ließ die Klinge auf den Tisch fallen und zischte auf. Der Schmerz schoss durch meinen Arm und Blut rann aus dem Schnitt. Eine Träne tropfte auf den Tisch und ich sprang auf. Erneut musste ich mir in meinen Hoodie beißen und atmete zitternd aus.
Diese Art von Schmerz hatte ich schon ganz vergessen. Ich war nie ein Fan vom Schneiden gewesen. Die Narben waren tiefer, der Schmerz stärker, aber der Zweck war derselbe.
,,Du bist so ein Idiot!", fluchte ich leise und kniff mir in den Arm. Immernoch schoss der Schmerz durch meinen Kopf und blockierte meine Gedanken. Wieso tat es so verdammt weh? Ich spürte wie weitere Tränen über mein Gesicht liefen.
,,Aua..", ich lief durch mein Zimmer und kniff mir immer wieder in den Arm, um irgendwie den Schmerz zu reduzieren. Ergebnislos.
Ich warf einen Blick auf den Schnitt und sah sofort wieder weg. Er blutete und tropfte meinen Arm herunter. ,,Wie dumm kann man sein!", zischte ich und sah verzweifelt nach draußen.
Es war nicht der erste Schnitt dieser Art gewesen. Aber es hatte seine Gründe gegeben, weswegen ich nicht viele davon hatte. Mein Arm began sich langsam taub anzufühlen, auch wenn der Schmerz stumpf weiterpochte.
,,Fuck", ich stürzte zum Tisch und griff mit meiner rechten Hand nach der Klinge. Dann schob ich meinen rechten Ärmel hoch und zog die Klinge einige male über meinen Arm.
Erst als auch dort der Schmerz wahrnehmbar einsetzte, schmiss ich die Klinge auf den Tisch zurück und wischte mir über die tränenden Augen. Was tat ich?
Ich ging zur Wand und ließ mich daran herunter. Dann schlug ich meine Hände über meinem Kopf zusammen und schluchzte. Wieso weinte ich schon wieder? Wieso tat ich mir schon wieder weh? Wieso war schon wieder alles so scheiße?
,,Wann endet es?", ich zitterte und drückte mich verzweifelt an die Wand hinter mir.
Ich riskierte einen weiteren Blick auf meine Arme und kniff enttäuscht die Augen zusammen. Mein rechter Arm began meinem linken zu ähneln mit den neuen Schnitten. Aber der tiefe Schnitt am linken Arm bluetet immernoch.
Ich stand auf und ging zum Schrank. Unentschlossen öffnete ich ihn und griff nach einer schwarzen Socke. Etwas ungelenk wickelte ich sie auf den Schnitt und zog sie fest. Kein Verbandersatz, aber das einzige was ich hatte, wenn ich nicht alles vollbluten wollte.
Kam man hier überhaupt an Verbände oder Pflaster? Rezo hatte welche, aber bei ihm hatten die Pfleger die Schnitte versorgt.
,,Du bist echt so dämlich", ich wischte mir über die Augen und griff erneut nach der Klinge. Dann ließ ich sie wieder unter meinen T-Shirts verschwinden und schloss den Schrank.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und starrte an die Decke. Der Schmerz pochte immernoch unter meinem provisorischen Verband. Jetzt würde er mich wachhalten. Ob es besser war, als die Gedanken, da war ich mir nicht sicher.
Ich schob die Ärmel meines Hoodies so gut es ging über meine Arme. Auch wenn die Nachtpfleger vermutlich nicht genau hinsahen, sie sollten davon nichts erfahren. Niemand sollte das. Ich schloss meine Augen.
,,Wieso lebe ich noch?", diese Frage ließ mich nicht los. Die Tabletten hatten ihren Zweck nicht erfüllt. Stattdessen war ich hier und tat mir dennoch die selben Schmerzen an wie davor. Nichts hatte sich gebessert.
Klar hatte ich sowas wie Freunde, aber am Ende würde ich sie dennoch verlassen und sie würden mit hineingezogen werden. Es wäre wirklich besser für alle gewesen, wenn ich nicht mehr aufgewacht wäre. Nur war ich das leider. Das Leben quälte mich warscheinlich einfach zu gerne. Oder aber ich hatte es so verdient.
Egal was es war, am Ende würde ich es dennoch beenden. Egal wie viele Schmerzen es mir zufügte. Ich wurde nur schwächer, nicht stärker.

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