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Gerade als ich mich wieder zu Felix umdrehen wollte, hörte ich Schritte hinter mir und drehte meinen Kopf zur Seite. Zu meinem Bedauern war es Frau Meier, die neben mir stehen blieb und mich kurz musterte. Ich schloss die Augen und schüttelte innerlich den Kopf. Auf ein Gespräch konnte ich gerade wirklich verzichten.
,,Hallo, Maximilian", begrüßte sie mich, ,,Ich würde gerne mit dir über einige Dinge reden." Ich aber nicht.
Für einen Moment fühlte ich mich in meine erste Therapiestunde zurückversetzt. Damals hatte ich genau das gleiche gefühlt. Damals ist Vergangenheit.
Mühsam zog ich mich am Stuhl hoch und sah widerwillig zu der Psychologin hoch.
,,Passt es dir jetzt?", fragte sie. Nein, aber eine Wahl habe ich ja doch nicht. Also nickte ich stumm.
Dann wandte ich den Kopf zu Felix, der mir jedoch nur einen mitleidigen Blick zuwarf und ein "Bis dann" murmelte. Aber übel nehmen konnte ich es ihm nicht.
Vermutlich hatte ihn Rezos Tod genauso sehr getroffen wie mich. Und die Medikamente erledigten den Rest.
Frau Meier drehte sich um und ging in Richtung der Tür. Nach kurzem Zögern folgte ich ihr und wir bogen in den Hauptflur ein. Frau Meier drehte sich immer wieder zu mir um, um sicher zu gehen, dass ich ihr immernoch folgte. Übertrieben.
Dann hielt sie vor einer der Türen und schloss diese auf. Dahinter lag ein geräumiges Büro, das ein wenig an das von Frau Ohle erinnerte.
,,Hereinspaziert", sie hielt die Tür offen und ich betrat den Raum. Anstatt eines hässlichen Teppichs, war der Boden aus blauem Laminat und in der Mitte stand ein runder Tisch mit drei schwarzen Stühlen.
,,Setz dich gerne", bot sie mir an und ließ die Tür ins Schloss fallen. Etwas unbeholfen zog ich einen der Stühle zurück und ließ mich darauf nieder.
Frau Meier ging an mir vorbei zu einem Schreibtisch in der Ecke des Zimmers. Ein Bildschirm und mehrere Ordner standen darauf. Dahinter befand sich ein Fenster, auf dessen Fensterbank unzählige Pflanzen standen. An der anderen Wand zu meiner rechten standen mehrere gefüllte Regale und zwei größere Schränke.
,,So", Frau Meier tippte etwas in den Computer ein, dann griff sie sich einige Zettel und einen Stift und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.
,,Wie geht es dir heute?", fragte sie die altbekannte Frage und musterte mich interessiert.
,,Super", log ich und verschränkte die Arme. Wenn es jetzt eine Therapiestunde wie auf 3 werden sollte, konnte ich wirklich verzichten. Die verdammte Therapie hatte Rezo nicht gerettet, also brauchte ich es auch nicht weiter zu versuchen.
Frau Meier nickte nur und griff nach einem der Zettel:,,Ich möchte mit dir über einige organisarische Dinge mit dir reden." Aha. Wenig begeistert ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen.
,,Die letzten Wochen waren nicht einfach und wir sind nicht wirklich zu dir durchgedrungen", began sie, ,,Der Tod eines engen Freundes kann einem ähnliche seelische Schmerzen zufügen, wie ein körperlicher Schaden, etwa wie ein Beinbruch. Wusstest du das?" Nein, ist mir aber auch egal. Ich schwieg.
,,Wir dürfen trauern, es ist menschlich", fuhr sie unbeirrt fort, ,,Aber das Leben muss weitergehen. Wir dürfen uns nicht an ihr festbeißen." Wieso wir? Wie nahe standen sie Rezo schon? Aber vermutlich war es einfach nur ihre Art zu reden.
,,Wir wollten bereits vor drei Wochen ein Familiengespräch machen um über deine Situation und Zukunft hier zusammen mit deinen Eltern zu beratschlagen. Jedoch haben wir dich bisher nicht als stabil genug einschätzen können, um sie nachholen zu können", sie lächelte milde, ,,Das würden wir gerne morgen tun."
Morgen. Familientherapie. Ich wollte lachen. Hatte es nicht genauso bei Rezo angefangen?
,,Deine Eltern sind mit dem Termin einverstanden,  jedoch hat man mir mitgeteilt, dass dein letztes Gespräch mit ihnen damals nicht optimal verlaufen ist. Deswegen möchte ich jetzt von dir wissen, ob es etwas gibt, was dir das Gespräch erleichtern würde?", sie sah frangend zu mir. Wir könnten es zum Beispiel lassen.
Doch ich schwieg nur und schüttelte den Kopf. Bringt doch eh nichts. Aber allein der Gedanke wieder mit meinen Eltern reden zu müssen, ließ mein Herz schneller schlagen.
,,Gut", Frau Meier nickte verständnisvoll, ,,Wie bereits erwähnt möchte ich morgen mit deinen Eltern über das weitere Vorgehen reden. Eine Verlegung auf eine andere Station kommt jedoch für uns erstmal nicht in Frage. Uns ist bewusst, dass du Freunde auf den anderen Stationen hast, jedoch können wir bei dir eine Eigengefährdung noch nicht ausschließen. Stimmst du mir da zu?" Wieder ein fragender Blick. Ja.
,,Was soll ich schon machen?", rutschte es mir heraus und ich warf ihr einen fordernden Blick zu.
Die Psychologin tippte auf einen der Zettel in ihrer Hand:,,Kurz vor deiner Verlegung auf 2 sind uns frische Schnittverletzungen am linken und rechten Unterarm aufgefallen, die du dir hier zugefügt haben musst. Außerdem haben wir mehrere Tabletten deiner Medikation in deinen Klamotten gefunden."
Scheiße. Ich spürte wie meine Hoffnung sank. Irgendwie hatte ich gehofft, sie hätten sie nicht gefunden. Aber das erklärte, weswegen die Pfleger hier so akribisch kontrollierten, ob ich meine Medikamente auch wirklich nahm.
,,Dennoch gibt es ein paar Ausnahmen, die deine Eltern für dich treffen könnten, die dich nicht dauerhaft an diese Station binden würden", Frau Meiers Stimme wurde weicher, ,,Aber das möchte ich morgen gerne besprechen." Ich nickte stumm.
,,Wir haben deine Sachen und dein Zimmer zwar durchsucht, jedoch keine Klinge oder einen anderen spitzen Gegenstand gefunden", griff Frau Meier das letzte Thema wieder auf, ,,Besitzt du noch etwas in der Art oder möchtest jetzt mit mir darüber reden?"
Sofort schüttelte ich den Kopf. Nein, niemals.
Die Erinnerungen an die Klinge schmerzten. Es machte es nicht besser, wenn sie mich wieder genau daran erinnerte.
,,Dann werde ich diesbezüglich noch ein Gespräch mit dir in den nächsten Tagen führen", sie nickte. Dann zog sie einen Zettel aus dem Stapel vor sich.
,,Hast du noch irgendeinen Wunsch oder irgendwas, was wir hier für dich tun können?", fragte sie und schrieb etwas auf einen der Zettel.
Ich wollte wieder lachen. Mich entlassen. Doch dann schoss ein anderer Gedanke durch meinen Kopf und ich nickte langsam.
,,Welchen denn?", Frau Meier lächelte erfreut.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt