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Ich saß eine ganze Weile so da und versuchte irgendwie die Schmerzen und das Zittern los zu werden.
Schließlich stand ich auf und sah mich unschlüssig im Zimmer um. Gleich würden Rezo und Julien kommen um mich abzuholen. Darauf konnte ich gerade wirklich verzichten. Aber hatte ich eine Wahl?
In dem Moment klopfte es auch schon an der Tür. Sofort zog ich mir meine Kapuze über den Kopf.
Rezo betrat das Zimmer und grinste mich an:,,Kommst du, Schnecke?" Ich schüttelte den Kopf.
,,Hab gleich Therapie. Hatte ich ganz vergessen", murmelte ich schnell. Wow, etwas besseres fällt dir nicht ein?
Rezo musterte mich und kurz dachte ich er würde mir nicht glauben. Sein Grinsen verschwand:,,Okay, schade. Dann bis später."
Julien sah kurz zu mir:,,Nimms nicht zu ernst. Therapeuten sind einfach blöd."
Rezo boxte ihm in die Schulter:,,Sagst du. Du flirtest doch immer mit deiner."
,,Tu ich nicht", Julien grinste und boxte zurück. Dann verließen sie das Zimmer und ich atmete auf.
Ein Problem weniger. Blieb ein anderes. Wenn ich jeden Tag nur einmal Tabletten bekam, würde es ewig dauern, bis ich genug zusammenbekam. Aber auch dafür gab es sicher Wege. Und einen konnte ich gleich ausprobieren.
Ich griff mir die Netzstulpen, öffnete die Zimmertür und sah kurz auf den Flur, aber Julien und Rezo waren nicht zu sehen. Also verließ ich das Zimmer und ging in Richtung des Pflegerzimmers. Gerade verließen die beiden die Station durch die Glastür.
Als sie sich geschlossen hatte klopfte ich an die Tür zum Pflegerzimmer. Eine Frau öffnete mir. Den Namen konnte ich mir einfach nicht merken, aber ich kannte sie. Sie sah mich etwas überrascht an.
,,Was gibt es Maximilian?", sie öffnete die Tür nun ganz und ich warf einen kurzen Blick in den Raum dahinter. Sie war gerade alleine hier. Es konnte also klappen.
,,Mir gehts nicht so gut", sagte ich langsam. Es war nicht mal gelogen, aber überzeugend klang ich nicht gerade.
,,Inwiefern?", hakte sie sofort nach.
,,Ich wollte etwas Schlaf nachholen, aber meine Gedanken...", ich suchte nach den richtigen Worten, ,,...ich weiß einfach nicht wie ich so schlafen soll."
Ich biss mir auf die Lippen. Das lief ja super. So wie ich das hier machte, konnte ich vielleicht ein kleines Kind anlügen, aber eine Pflegerin einer Psychiatrie? Wohl kaum.
,,Ich verstehe. Ihr sollt tagsüber eigentlich nicht schlafen, aber deine Schlafprobleme stehen auch in deiner Kartei ", murmelte die Pflegerin. Dann sah sie kurz hinter sich.
,,Warte kurz", sie ließ die Tür offen, setzte sich an den Computer und tippte etwas ein.
,,Du kannst Bedarfsmedikamente haben", sagte sie nach einer Weile, die mir ewig vorkam.
,,Was ist das?", fragte ich.
,,Das sind Medikamente, die wir euch geben können, wenn es euch nicht gut geht. Doxepin hat Frau Ohle dir als Bedarfsmedikament empfohlen", erklärte sie und suchte das Medikament in einem Schrank.
Ich kannte das Medikament, also schwieg ich. Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet ein Medikament so bekommen zu können und Doxepin war keine schlechte Wahl, auch wenn der kritische Part noch kam.
,,Hier", die Pflegerin hielt mir einen der Becher mit einer Tablette darin hin. Ich nahm ihn und sie wollte mir gerade meine Wasserflasche reichen, aber ich war schneller:,,Die Netzstulpen wollte ich noch zurückgeben. Sie waren zu lang."
Die Pflegerin nahm sie entgegen.
,,Echt?", sie runzelte die Stirn, ,,Normalerweise passen sie immer." Ich zuckte unschuldig mit den Schultern.
,,Na schön, willst du gleich Neue?", fragte sie.
Sofort schüttelte ich den Kopf:,,Kann ich zur nächsten Sporttherapie holen. Ich brauche sie gerade nicht."
Sie nickte und drehte sie um, um sie in den Mülleimer hinter sich zu schmeißen.
Darauf hatte ich gewartet. Ich kippte die Tablette in meine Handfläche und ließ sie in meiner Hoodietasche verschwinden. Dann hielt ich den Becher wieder wie zuvor. Meine Hand schmerzte kurz von der schnellen Bewegung, aber ich ließ es mir nicht anmerken.
,,Dein Wasser, stimmt", die Pflegerin reichte mir das Wasser und ich tat so als würde ich die Tablette in meinen Mund schütten. Dann "spülte" ich sie mit Wasser runter und verzog kurz das Gesicht.
,,Nicht lecker, aber sollen ja auch nicht schmecken, sondern wirken", lachte die Pflegerin und nahm mir die Flasche wieder ab.
Ich nickte. Immerhin das war überzeugend gewesen.
,,Dann gute Besserung", fügte sie hinzu, als ich mich bedankte. Sie schloss die Tür wieder und ich konnte mir ein kurzes Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn es nur eine Tablette war, konnte sie später entscheiden ob mein Versuch klappte oder nicht.
Ich ging den Flur zurück zu meinem Zimmer und atmete erst richtig wieder auf, als ich die Tür hinter mir schloss. Ich zog die Tablette aus meiner Tasche und legte sie auf meinen Nachttisch. Die von heute Morgen legte ich daneben.
Ja, es würde dauern genug zusammen zu sammeln. Und es würde sicher auch nicht jeden Tag klappen. Aber es war ein Plan, ein Ausweg. Und das war wohl das einzige was zählte.
Ich sah mich im Zimmer um. Jetzt brauchte ich ein sicheres Versteck. In der Hosentasche waren sie nicht sicher, wie sich gezeigt hatte. Aber von Julien wusste ich auch, dass teilweise Zimmer durchsucht werden konnten. Aber sicher würden sie das ohne einen konkreten Verdacht nicht allzu gründlich tun. Aber wo konnte ich sie genauso verstecken?
Ich öffnete meine Schranktür und überflog meine Sachen. Außer Klamotten hatte ich nicht viel mitbekommen von meiner Mutter. Ein Buch, dass ich eh nicht lesen würde und die Karte von ihr auf der "Werd schnell wieder Gesund" gedruckt war. Auf der Rückseite hatte sie nicht mal was geschrieben. Hässliches Ding.
Also blieben mir nur meine Klamotten. Aber wirklich sinnvoll erschien mir keine der Optionen. Ich sah mich im Zimmer um und überlegte.
Dann kam mir eine Idee. Aber dafür musste ich schnell sein.
Ich verließ das Zimmer und ging den Flur bis zu Rezos und Juliens Zimmer. Ich betrat es und schnappte mir eines der Papiere auf dem Tisch. Damit ging ich in mein Zimmer zurück. Ohne das jemand mich sah, mal wieder schien das Glück auf meiner Seite zu sein.
Ich zerriss das Papier und wickelte dann die Tabletten in das Papier. Die Papierknüddel steckte ich in ein Paar Socken und legte sie erneut zusammen. Selbst wenn man sie abtastete, solange man sie nicht einzeln befühlte, fiel es nicht auf. Und das würden sie wohl kaum ohne einen Verdacht.
Und wieder musste ich lächeln. Es gab eine Chance, eine kleine, doch zu entkommen.

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